Oekolandbau.de: Wie steht es aktuell um die Eiweißversorgung in Deutschland?
Astrid Donalies: Es besteht hierzulande kein Versorgungsproblem. Die mittlere Proteinzufuhr liegt in allen Altersklassen über dem Referenzwert für die Proteinzufuhr. Bei veganer Ernährung gehören Protein beziehungsweise die unentbehrlichen Aminosäuren aber zu den potenziell kritischen Nährstoffen. Durch gezielte Kombination und vielfältige Auswahl pflanzlicher Proteine aus Getreide, Hülsenfrüchten und Kartoffeln kann der Proteinbedarf aber auch bei einer veganen Ernährung gedeckt werden, sofern die Energiezufuhr ausreichend ist (bei unter dem Bedarf liegender Energiezufuhr wird Nahrungs- und Körperprotein zur Energiegewinnung genutzt).
Eine höhere Proteinzufuhr wird im Vergleich zu einer niedrigeren Proteinzufuhr mit einer stärkeren Sättigung und dadurch in einer Diät mit einer größeren Gewichtsabnahme in Verbindung gebracht. Verschiedenen Untersuchungen nach scheint eine kurzfristige Ernährung von drei bis sechs Monaten mit einer hohen Proteinzufuhr (im Vergleich zu einer niedrigeren Proteinzufuhr) zu einer größeren Gewichtsreduktion zu führen. Mit zunehmender Dauer einer proteinreichen Ernährung wird der Effekt kleiner oder verschwindet ganz. Zu diesem Zusammenhang sind weitere Untersuchungen notwendig.
Oekolandbau.de: Wie sind in diesem Zusammenhang „High-Protein-Produkte“ aus ernährungsphysiologischer Sicht einzuordnen?
Astrid Donalies: Sie sind in den meisten Fällen ernährungsphysiologisch überflüssig. Wer die Vielfalt herkömmlicher Lebensmittel nutzt, bekommt genug Protein und spart sich das Geld für die meist teureren Produkte. Viele High-Protein-Produkte sind hochverarbeitete Lebensmittel. Das sind aus kostengünstigen Zutaten – überwiegend aus industriellen Energie- und Nährstoffquellen und Zusatzstoffen – zusammengesetzte Produkte. Sie sind meist ansprechend verpackt, intensiv vermarktet, lange haltbar, verzehrfertig und schmackhaft. Wenn häufig zu diesen Produkten gegriffen wird und sie Lebensmittel wie Gemüse, Obst und Nüsse verdrängen, kann das langfristig kritisch für die Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen, Nähr- und Ballaststoffen sein und mit Übergewicht, ernährungsbedingten Krankheiten und ökologischen Nachteilen einhergehen.
High-Protein-Produkte liefern meist mehr Protein, als nötig ist. Bei gesunden Erwachsenen schadet dies zwar nicht. Überflüssiges Protein baut der Körper ab, dabei entsteht Harnstoff, der mit dem Urin ausgeschieden werden muss. Deshalb ist ausreichendes Trinken bei hoher Proteinzufuhr wichtig. Bei Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion kann viel Protein allerdings problematisch sein und zu einer Verschlechterung führen.