Oekolandbau.de: Wie zufrieden waren die Bäckerinnen und Bäcker mit dem Mehl des Populationsweizens?
Siegmeier: Für die Bäckereien gab es keinerlei Einschränkungen. Die Qualität ist absolut vergleichbar mit den Rohstoffen, die sie sonst verbacken. Manche sagten sogar, sie könnten eins zu eins ihre gesamten Weißmehlprodukte mit dem Populationsmehl backen, es sei komplett austauschbar. Es gab also auch für die Bäckerinnen und Bäcker keine zusätzlichen Herausforderungen. Dass ein Rezept bei einer neuen Mehlcharge auch mal angepasst werden muss, liegt in der Natur des handwerklichen Backens mit regionalen Rohstoffen.
Oekolandbau.de: Schmecken Brote und Backwaren aus Populationsweizen eigentlich anders?
Siegmeier: Das können definitiv nur Profis, also Sensorikfachleute oder die Bäcker selbst herausschmecken. Aus einer französischen Sensorikstudie wissen wir, dass Populationsweizen nussiger schmecken kann. Außerdem ist das Mehl gelblicher und nicht so weiß. Was ich am Ende schmecke, hängt von der Rezeptur ab und nicht maßgeblich von einer einzelnen Zutat. Ausschlaggebend für den Geschmack ist also, was in der Backstube mit dem Rohstoff passiert. Unsere Partnerbäckereien haben Anfang des Jahres verschiedenste Backwaren aus Populationsweizen hergestellt. Darunter waren Krustenbrot, Seelen oder Brioche. Die Kundschaft war durchweg begeistert.
Oekolandbau.de: Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, dass mehr Populationsweizen auf unsere Felder kommt?
Siegmeier: Entscheidend für die Erzeugerinnen und Erzeuger ist ja, dass sie ihre Ernte gut vermarkten können. Und dafür brauchen sie die Nachfrage der Bäckereien und deren Kundschaft. Umso wichtiger ist es, dass die Verbraucher lokale Handwerksbetriebe unterstützen - statt kurzfristigen Trends wie etwa Urkorngetreide hinterherzulaufen. Wenn ich bei einer handwerklich arbeitenden Bäckerei vor Ort einkaufe, kann ich nach Populationsweizen fragen. Schließlich spielen die Bäckereien eine entscheidende Rolle im Transformationsprozess hin zu anderen Anbauverfahren und anderen Sorten. Sie sind diejenigen, die bei ihren Erzeugern oder der Mühle bestimmte Qualitäten verlangen können.
Oekolandbau.de: Von welchen Nutzpflanzen gibt es schon heterogene Populationen?
Siegmeier: In Deutschland haben wir schon Mais, Winter- und Sommerweizen und Roggen. In Italien gibt es Hartweizen und anderswo in Europa bereits Hafer und Gerste. All diese Nutzpflanzenarten durften bis 2020 nur zu Forschungszwecken temporär angebaut werden. Seit Januar 2022 erlaubt die EU-Öko-Verordnung den Anbau von sogenanntem ökologisch heterogenem Material, darunter fallen auch die Weizenpopulationen. Das wird der genetischen Vielfalt auf dem Acker auf jeden Fall einen Schub geben.
Oekolandbau.de: Wie lautet Ihre Prognose? Werden auf lange Sicht heterogene Populationen die herkömmlichen Sorten vom Acker verdrängen?
Siegmeier: Nein, im Ökolandbau sind heterogene Populationen eine Alternative, die mehr Vielfalt bringen. Die traditionelle Züchtung ist unsere Grundlage für Ertragszuwächse und wird es auch in Zukunft bleiben. Aber wir wissen nicht, was der Klimawandel bringen wird. Und auch nicht, mit welchen Schädlingen wir es zukünftig zu tun haben werden. Wir brauchen deshalb so viele Optionen wie eben möglich, also nicht nur möglichst viele Sorten, sondern auch Populationen. Das muss man sich wie bei einem Aktienfond vorstellen: Wenn ich investiere, setze ich auch nicht nur auf eine oder zwei Aktien. Stattdessen bastele ich mir ein Portfolio, wo ich das Risiko möglichst breit streue. So müssen wir das auch für unser Ernährungssystem sehen und im Anbau umsetzen.