Tina Andres: 60 Prozent Bio in öffentlichen Kantinen

Tina Andres: 60 Prozent Bio in öffentlichen Kantinen

Die Umstellung auf Bio in Großküchen bringt einen wichtigen Pull-Effekt für die ganze Wertschöpfungskette, sagt Tina Andres, die neue Vorstandsvorsitzende des BÖLW. Im Interview mit Oekolandbau.de erläutert die Nachfolgerin von Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, warum ihrer Meinung nach beim Thema Außer-Haus-Verpflegung "der Ball im Feld der Politik liegt".

Die Diplom-Biologin Tina Andres bringt als langjährige geschäftsführende Vorständin der EVG Landwege e.G. in Lübeck viel Erfahrung aus der Praxis mit: Die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft mit rund 30 Mitgliedshöfen verbindet Stadt und Land bzw. Produktion, Verarbeitung und Handel auf der einen und Konsumentinnen und Konsumenten auf der anderen Seite. Durch ihre Verbandsarbeit im Vorstand des Bundesverband Naturkost Naturwaren kennt sie die Strukturen und aktuellen Herausforderungen im deutschen Naturkostmarkt im Detail. Dieses Ehrenamt wird sie jedoch aus Zeitgründen nicht weiter ausführen.

Oekolandbau.de: "Organic.Climate.Resilience." – so lautet der Kongress-Schwerpunkt der Biofach 2022. Welche Rolle spielt bei diesem Thema die Außer-Haus-Verpflegung?

Andres: Die Außer-Haus-Verpflegung ist für mich persönlich ein Herzensthema, weil es in so viele Richtungen eine Strahlkraft für die Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungssystems hat. Die Umstellung auf Bio in Küchen kann einen wichtigen Pull-Effekt auf die ganzen Wertschöpfungskette entwickeln. Denn es geht um viel mehr als nur darum, konventionelle durch biologische Produkte zu ersetzen. Wir brauchen einen Systemwechsel, für den auch die Ernährungsbildung und -prägung wichtige Faktoren sind. Das zeigen die Erfahrungen aus Kopenhagen oder jetzt auch mit der Kantine Zukunft in Berlin. Dafür brauchen wir ein ambitionierteres Ziel als 20 Prozent Bio in der AHV. Denn wenn Küchen nur zehn oder 20 Prozent Bio einsetzen, findet kein Systemwechsel statt. Grundlegenden Veränderungen kommen dann auf den Weg, wenn der Bio-Anteil bei 50, 60 oder mehr Prozent liegt. Meine Forderung wäre deshalb: Ein Ziel von 50 Prozent Bio in öffentlichen Kantinen, um für diese Prozesse einen deutlichen Anreiz zu setzen.

Oekolandbau.de: … aber mit so einer Forderung allein wird sich nicht viel bewegen.

Andres: Das bedeutet deshalb auch, dass man eine andere Beratungs- und Förderpolitik braucht. Man muss den Fachkräften vor Ort wieder nahebringen, richtig zu kochen: Mit weniger Fleisch, mehr attraktiven vegetarischen Gerichten, weniger Lebensmittelverschwendung, mehr Wertschätzung für Lebensmittel und vieles mehr. Dazu benötigen die Küchen mehr Unterstützung, also eine kontinuierliche Beratung. Da müsste viel mehr geschehen als bisher. In Kopenhagen hat die öffentliche Hand für diese Prozesse rund einen Euro pro Kopf und Jahr ausgegeben, dreimal so viel wie in Berlin. Es ist hier nicht mit einem Flyer und einem Infotag getan. Man muss in die Küchen gehen und bei den Umstellungsprozessen konkret unterstützen.

Oekolandbau.de: … das kostet Geld...

Andres: Ja, ein Systemwechsel wird nicht ohne zusätzliche Kosten funktionieren. Aber es kostet uns viel mehr, diese Veränderungen nicht einzuleiten. Wir geben schon jetzt in Deutschland jährlich Milliarden von Euro für die Behandlung von Krankheiten aus, die im Zusammenhang mit unserer Ernährung stehen. Jetzt können wir den Wandel noch gestalten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Transformationsaufgabe, der sich alle Player stellen müssen. Und wir müssen das hinbekommen, ohne bestehende Gräben in der Gesellschaft noch zu vertiefen.

Oekolandbau.de: Liegt da nicht auch der Ball bei der Bio-Branche, das Angebot und die Lieferstrukturen für die Bedürfnisse der Außer-Haus-Verpflegung zu verbessern?

Andres: Ich finde der Ball liegt hier eher im Feld der Politik, sich mehr für die Entwicklung regionaler Absatzmärkte einzusetzen. Der Markt allein wird das nicht regeln. Das ist für die eher klein- und mittelständisch geprägte Bio-Branche eine große Herausforderung. Die Schlüsselrolle kommt den politischen Steuerungs- und Fördermöglichkeiten zu. Kommunen müssen Anreize für die Umstellung ihrer AHV bekommen, um die Nachfrage der Küchen nach ökologischen Produkten zu stärken. Das hätte positive Effekte auf Produktions- und Verarbeitungsstrukturen in ländlichen Regionen. Aktuell gehen uns mittelständische Verarbeitungskompetenzen und Strukturen verloren und das Höfesterben geht ungebremst weiter. Absatzmärkte sind die Voraussetzung für die Umstellung auf ökologischen Landbau. Die AHV ist ein weiterer wichtiger Markt für Akteure entlang der Wertschöpfungsektte.

Oekolandbau.de: Nennen Sie uns zum Abschluss noch ein konkretes Vorhaben auf Ihrer Agenda für eine nachhaltigere AHV?

Andres:: Wir laden zum Beispiel die Mitglieder des Bundestages in die Trainings-Küche der Kantine Zukunft in Berlin ein. Solche Besuche zeigen anschaulich, dass es kein Hexenwerk ist, deutlich über einen Bio-Anteil von 20 Prozent hinauszukommen. Und mit dem jungen Geist im neuen Bundestag hoffen wir auf mehr Resonanz und Unterstützung.


Letzte Aktualisierung 08.11.2021

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