Unverpackt-Kundinnen und -Kunden im Visier

Unverpackt-Kundinnen und -Kunden im Visier

Mittlerweile gibt es in Deutschland über 200 Unverpackt-Läden. Auch manche etablierten Bio-Supermärkte haben auf diesen Trend reagiert und Abfüllstationen für ausgewählte Lebensmittel eingeführt. Wer kauft eigentlich verpackungsfrei? Welche Hürden bestehen aus Sicht der Kundschaft? Und welche Produkte werden unverpackt erworben?

Ein Forschungsteam der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) hat daher diese Kundengruppe ins Visier genommen. Finanziert wurde die Studie aus dem Jahr 2020 vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN). Zusammen mit der Praxis – insbesondere den "Unverpackt"-Läden – wollten die Forscherinnen und Forscher herausfinden, wie das Unverpackt-Konzept funktioniert und sich weiter optimieren und verstetigen lässt. Denn auch im klassischen Lebensmittelhandel und im Naturkostfachhandel ist es dringend erforderlich, den Verpackungsmüll zu reduzieren.

Tagebuch statt Umfrage

Im Gegensatz zu den meisten Konsumstudien basiert diese Studie nicht auf einer einmaligen retrospektiven Umfrage, sondern auf der sogenannten Tagebuchmethode, kombiniert mit einer Vorabbefragung. Der Grund: Ähnlich wie bei Erhebungen zu Fleischkonsum oder Bio-Einkauf ist davon auszugehen, dass eine retrospektive Befragung das tatsächliche Konsumverhalten nicht widerspiegelt. "Denn nur einmalig befragt, ist es für Kunden sehr schwierig, im Rückblick exakt wiederzugeben, welche Einkäufe sie getätigt haben", erläutert Dr. Melanie Kröger, die verantwortliche Studienkoordinatorin an der HNEE.

An der ersten Befragung nahmen 165 Kundinnen und Kunden von zwei Unverpackt-Läden in Hamburg und Münster teil, an der anschließenden Tagebuchstudie 48 Kundinnen und Kunden. Hinsichtlich Alter, Einkommen und Wohnsituation war die Stichprobe recht heterogen. Über einen Zeitraum von drei Wochen haben die Studienteilnehmenden im Detail erfasst, was genau sie wo gekauft haben. Dabei haben sie jede aufgesuchte Einkaufsstätte und jeden Einkauf über fünf Euro protokolliert und bewertet. Als zusätzliche Datenquelle dienten die Kassenbons zu den einzelnen Einkäufen. Die Zahl der dabei erfassten Einkäufe summierte sich auf 575, die der eingekauften Produkte auf 4.452. Das entsprach einem Einkaufsbudget von 11.234 Euro.

Wer kauft unverpackt?

Bei der Analyse der Tagebuchaufzeichnungen haben sich drei sehr unterschiedliche Käufertypen herauskristallisiert:

  • die "Seltenkäufer mit niedrigem Budget",
  • die "besserverdienenden Neukunden"
  • und die "unverpackt-Intensivkunden". 

Alle nutzen regelmäßig einen Unverpackt-Laden – aber in ganz unterschiedlichem Maße, erläutert Melanie Kröger: "Die Seltenkäufer kaufen dort in erster Linie Non-Food wie etwa Hygieneprodukte. Die Neukundenkombinieren Unverpackt-Läden vor allem mit Supermärkten. Und die Intensivkunden gehen insgesamt seltener einkaufen als die anderen und versorgen sich tatsächlich primär im Unverpackt-Laden."

Am häufigsten griffen die Studienteilnehmenden im Unverpackt-Laden zu Molkereiprodukten und Gemüse, gefolgt von Süßwaren, Snacks sowie Flocken und Müsli. Hinzu kommen Nüsse und Saaten, Obst und Hygieneprodukte. Sie kauften dort auch Lebensmittel, die sie nur selten oder in kleinen Mengen benötigen: zum Beispiel Reis, Flocken, Nüsse und Trockenfrüchte. Zwar machen Milchprodukte und Gemüse – mit jeweils rund elf Prozent – einen relativ großen Anteil des Unverpackt-Einkaufs aus. Dennoch werden diese beiden Warengruppen überwiegend anderswo gekauft. Nach Einschätzung des Forschungsteams hängt das sicherlich auch damit zusammen, dass das Angebot an Frischwaren in den meisten Unverpackt-Läden eher kleiner ist. Auch Obst, Käse und Wurst sowie Getränke wie Bier und Saft besorgten Unverpackt-Kundinnen und -Kunden eher in klassischen Geschäften. Denn solche Lebensmittel sind dort in großer Auswahl und häufig auch als lose Ware oder in Mehrwegverpackungen erhältlich.

Bevorzugte Einkaufsstätten

Der Supermarkt und der Unverpackt-Laden sind für die Kundinnen und Kunden die wichtigsten Einkaufsstätten, gefolgt vom Bio-Laden. Dort erledigen sie fast alle ihre Einkäufe und geben einen Großteil ihres Budgets aus. Ebenfalls relevant sind noch der Hofladen und der Wochenmarkt. Im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung spielt der Discounter bei diesem Kundenkreis keine wichtige Rolle.Ausschlagend für den Einkauf im Unverpackt-Laden ist genau das, was das Besondere eines solchen Ladenkonzeptes ausmacht: das Sortiment an unverpackten Produkten und damit verbunden die Möglichkeit, Verpackungsmüll einzusparen. Mit 55 von insgesamt 139 Nennungen rangiert dieser Aspekt ganz oben. An zweiter Stelle nannten die Befragten die angenehme Atmosphäre und Ladengestaltung, gefolgt von der Freundlichkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und dem Angebot an besonderen Produkten. Erst dann kommen die räumliche Lage und das Angebot an Bio-Produkten. Insgesamt handelt es sich, so Kröger, um "qualitätsorientierte Konsumenten, die ihre individuelle Abfallmenge reduzieren wollen und die Geschäfte als besonderen Ort wahrnehmen sowie deren besonderes Angebot schätzen."

Gründe für die Wahl einer Einkaufsstätte

Was ist anders?

Wer im Unverpackt-Laden einkaufen will, muss sich zunächst umstellen. Gänzlich unvorbereitet einkaufen zu gehen, funktioniert nicht: "Man plant anders als üblich, muss Behälter vorrätig haben und diese mitnehmen", erläutert Alexandra Wittwer von der HNEE. Befragt nach den Hürden beim unverpackten Einkauf gaben die Befragten unter anderem das "Behältermanagement" an. Als Ersatz für die gängige Produktverpackung seien geeignete Utensilien wie etwa gut verschließbare Gläser, Flaschen oder Stoffbeutel mitzunehmen. Zudem sei der Einkaufsprozess im Laden selbst zunächst ungewohnt. Die erforderlichen Handgriffe wie das Wiegen und Abfüllen der Produkte müsste man eventuell erst einüben. Außerdem müsse man sich mit der Abfüllstation vertraut machen. Aber: "Die Kundschaft berichtet uns, dass ihnen nach einer kurzen Gewöhnungszeit der Einkauf im Unverpackt-Laden und insbesondere die Nutzung der Spender Spaß macht und leicht von der Hand geht", so Projektleiter Professor Jens Pape. Als möglicher Nachteil wurde lediglich – je nach Wohnlage der Kundin oder des Kunden und Standort des Geschäftes – die Entfernung zum Laden genannt. 

Unverpackt-Einkauf wird schnell zur Routine

Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die neuen Handgriffe und Tätigkeiten sehr schnell zur Routine werden können und der Einkauf im Unverpackt-Laden so zur Gewohnheit wird. Die mit der Einkaufsplanung und -vorbereitung einhergehende Konzentration auf das, was man wirklich braucht, nehmen manche Kundinnen und Kunden durchaus als Alltagserleichterung und als großen Vorteil des Konzeptes wahr. "Produkte unverpackt zu kaufen, ist nicht per se schwieriger, sondern anders", bringt es Alexandra Wittwer auf den Punkt. Hilfreich für den Einkauf sei alles, was Planung und Spontaneinkäufe und die Integration in den Alltag erleichtere. Daher stellen die meisten Läden kostenlose oder preisgünstige Behälter zur Verfügung, verbreiten Kundentipps für leichte und ungewöhnliche Behälter, beraten und unterstützen die (Neu-) Kundinnen und -Kunden bei Bedarf und stellen Produktlisten für die ersten Einkäufe bereit. Manche Läden bieten auch Lieferservices nach Hause an.

Mehr Aufwand für Lagerhaltung und Beratung

Wer einen klassischen Naturkostläden betreibt, muss sich bei aller Begeisterung für den unverpackt-Gedanken über Folgendes im Klaren sein: Die Arbeitsweise von Unverpackt-Läden ist komplexer als in Bio-Läden. "Es fallen andere und zusätzliche Aufgaben an, etwa in den Bereichen Lagerhaltung, Reinigung, Kennzeichnung und Beratung", sagt Jens Pape. Hinzu kommt, dass die Herstellerfirmen und der Großhandel oftmals noch überzeugt werden müssten, vermehrt Mehrweglösungen zu nutzen und die Warenlogistik möglichst verpackungsarm zu gestalten. Gleichwohl zeigen die Unverpackt-Läden und ihre sehr dynamische Entwicklung, dass die Themen Plastikabfall und  Verpackungsreduktion gerade qualitätsaffine (Bio-) Kundinnen und Kunden zunehmend beschäftigen und sie vom Handel Lösungen erwarten. "Die Unverpackt-Läden haben einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Thematisierung und Diskussion der existierenden Probleme. Das Unbehagen am Umgang mit Kunststoffen und Verpackungen wird eher zu- als abnehmen", ist sich Melanie Kröger sicher.

Das Folgeprojekt an der HNEE "Unverpackt 2.0 – Standards zur Professionalisierung der verpackungsreduzierten, effizienten und nachhaltigen Warenversorgung in Wertschöpfungsketten des unverpackt-Handels", welches von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert wird, zielt darauf ab, mindestens einen Standard zur Warenversorgung von Unverpackt-Läden zu entwickeln. Denn auf allen Stufen der Wertschöpfungskette fallen durch Aus- und Umpacken und Transport große Mengen an Verpackungen an, die für die Endkundschaft von Unverpackt-Läden nicht sichtbar sind. Systemische Lösungen und Infrastrukturen existieren bisher nicht für die Unverpackt-Branche, vielmehr bestehen individuelle, oftmals aufwändige und ineffiziente Lösungen. Mit der Schaffung von Standards können nicht nur Effizienz, Nachhaltigkeit und Professionalität erhöht werden, sondern auch Kosteneinsparungen realisiert werden. Die Arbeitsgruppe Verpackungsreduktion beschäftigt sich im Projektzeitraum 1. April 2021 bis 31. August 2024 intensiv mit Lösungen.


Letzte Aktualisierung 23.09.2024

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