Die Schwerpunkte der konventionellen Saatzucht sind in der Regel andere als in der ökologischen Getreidezüchtung. Im Fokus der konventionellen Züchtung steht vor allem der Ertrag pro Hektar. Die Züchtungsansätze im ökologischen Bereich liegen dagegen auf Eignung für den ökologischen Anbau und Verarbeitung. Außerdem wird die Pflanze ganzheitlich betrachtet. Beim Getreide gibt es zwar einen wachsenden Anteil von ökologisch gezüchteten Sorten, dennoch ist das Sortenspektrum bisher noch unzureichend. Dies hat zur Folge, dass oft konventionelle Sorten zur ökologischen Vermehrung zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund ist eine Förderung der ökologischen Getreidezüchtung sowie die Entwicklung von eigenen Züchtungsmethoden und Qualitätskriterien sinnvoll.
Weizen
Im Anbau braucht Weizen Stickstoff für Proteine, die einen Kleber für beste Backergebnisse bilden. In der ökologischen Landwirtschaft wird weitestgehend auf mineralische Düngung verzichtet, deshalb werden Sorten gebraucht, die mit den gegebenen Böden in der ökologischen Landwirtschaft beste Backergebnisse aufweisen können.
Roggen
Die auf dem Markt erhältlichen Hybrid-Roggensorten sind heute zunehmend auf Auswuchsresistenz gezüchtet. Selbstverständlich bringt das einige Vorteile, aber für die Bäckereien ist die veränderte Enzymatik bezüglich Backeigenschaften ein Problem. Deshalb sind Bio-Bäckerinnen und -Bäcker auf ökologische Züchtungen bei Populationsroggen angewiesen. Diese sind zwar nicht auswuchsresistent, aber weisen gute Backeigenschaften auf. Derzeit muss hauptsächlich auf konventionelles Saatgut zurückgegriffen werden, da es nur wenige Züchtungsprojekte bei Roggen gibt. Verfügbare ökologisch gezüchtete Roggensorten sind Lichtkornroggen und Firmamentroggen, die aufgrund des etwas höheren Preises der Rohware hauptsächlich als sortenreine Produkte mit einem höheren Verkaufspreis angeboten werden.
Urgetreidesorten: Dinkel, Emmer und Einkorn
Im Spannungsfeld zwischen alten und neuen Sorten liegt der Erhalt der Biodiversität. Auch alte Sorten beziehungsweise Urgetreidesorten wie Einkorn, Emmer und Dinkel müssen weitergezüchtet werden, um die Anpassung an heutige Standortbedingungen zu gewährleisten. Der geringere Ertrag pro Hektar der Sorten gegenüber Weizen muss mittels eines höheren Preises für die Landwirtin oder den Landwirt kompensiert werden.
Know-how in der Backstube
Die Urgetreidesorten Einkorn, Emmer und Dinkel haben das Potenzial, einen sehr hohen Proteingehalt mit sehr weichen Klebern zu bilden. Das hat die Folge, dass insbesondere Einkorn und Emmer die Tendenz zu klebrigen, laufenden Teigen ohne Gärstabilität haben. Die Verarbeitungseigenschaften der Urgetreidesorten sind zum Teil deutlich anders als beim Weizen. Das erfordert handwerkliches Know-how und Geschick: eine Chance für handwerkliche Kleinbäckereien, sich mit eigenen Konzepten gegen Großbäckereien abzuheben und dadurch das Überleben zu sichern.
Im Netzwerk arbeiten nützt allen
Eine erfolgreiche Marktversorgung mit ökologisch gezüchtetem Saatgut, das den Bedürfnissen aller in der Wertschöpfungskette Beteiligten entspricht, hängt von der partnerschaftlichen Zusammenarbeit ab. Ein Netzwerk von Züchterinnen und Züchtern, Bäuerinnen und Bauern, Müllerinnen und Müllern und Bäckerinnen und Bäckern bringt für alle Vorteile und dient der Etablierung von gewünschten Sorten und letztlich zufriedener Kundschaft. Vertragsanbau mit sicheren Preisen und Absatzwegen ist ein guter Weg, um Landwirtinnen und Landwirte mit Verarbeitungsunternehmen in den Dialog zu bringen. Die handwerkliche Verarbeitung der ökologischen Getreidesorten nach traditionellen Rezepturen zu beispielsweise Lichtkornroggenbrot oder auch Broten aus Urgetreidesorten wie Emmer fördert die Sortenvielfalt und bereichert das Brotsortiment für die Kundschaft.