Insbesondere Herstellerinnen und Hersteller von Bio-Pflanzendrinks haben ihre Produkte über viele Jahre hinweg mit dem – damals noch konventionell produzierten – Algenpulver versetzt und diese mit Aussagen wie "& calciumreiche Alge" oder "mit calciumreichem Rotalgenpulver" beworben. Doch der Einsatz des Lithothamnium calcareum-Pulvers im Zusammenhang mit einer Auslobung als Bio-Produkt wurde 2005 durch eine Anweisung einer Öko-Landesbehörde an ein Bio-Unternehmen untersagt. Die Behörde wies das Unternehmen an, die Bio-Hinweise von den Produkten zu entfernen, da das Algenpulver in diesem Zusammenhang als reiner Mineralstoffzusatz betrachtet wurde und das ist in Bio-Produkten verboten.
EuGH-Gerichtsverfahren zum Einsatz von Lithothamnium
Gegen diese behördliche Anweisung hat das Unternehmen geklagt. Der Fall wurde auf Verwaltungsebene durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht durchgereicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren am 05. September 2019 mit dem Beschluss 3C 1/18 ausgesetzt und die Frage an den europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergegeben.
Der EuGH urteilte am 29. April 2021 zur Rechtssache C-815/19 folgendermaßen:
"Die Verwendung einer nichtökologischen/nichtbiologischen Zutat landwirtschaftlichen Ursprungs in ökologischen/biologischen Lebensmitteln ist nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet […]. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Kriterien hinsichtlich des in Rede stehenden Pulvers erfüllt sind."
Und weiterhin führt der EuGH aus:
"Das Unionsrecht enthält zudem strenge Vorschriften für den Zusatz von Mineralstoffen wie Calcium bei der Herstellung ökologischer/biologischer Lebensmittel. Es schließt grundsätzlich die Verwendung von Calciumcarbonat zur Anreicherung von Erzeugnissen mit Calcium aus, so dass der Zusatz von Calcium bei der Verarbeitung ökologischer/biologischer Lebensmittel wie den in Rede stehenden Reis- und Sojagetränken allein zu deren Anreicherung mit Calcium untersagt ist."
Auswirkungen des EuGH-Urteils
Die Wirtschaft reagierte auf das Urteil und bezog die Alge nun aus ökologischer Wildsammlung. Das entsprechende Algenpulver war nun also auch in biologischer Qualität erhältlich und wurde erneut in Pflanzendrinks eingesetzt. Der Calciumgehalt wurde entsprechend ausgelobt.
Doch damit ist die Kontroverse um die calciumreiche Rotalge nicht abgeschlossen. Denn die Bio-Verordnung (EU) 2018/848 umfasst in Artikel 7 und Anhang II Teil IV 2.2.2 f) ein generelles Supplementationsverbot, es sei denn die Supplementation ist in anderen nationalen oder Unions-Rechtsakten explizit gesetzlich vorgeschrieben. Ob dieses Supplementationsverbot auch für den Einsatz von natürlicherweise nährstoffreichen ökologischen Zutaten in Bio-Produkten (wie Bio-Lithothamnium) gilt, war lange strittig. Denn diese natürlicherweise nährstoffreichen ökologischen Zutaten dürfen in Reinform als Bio-Produkt/-Zutat vermarktet werden und in diesem Zusammenhang wäre die Auslobung des Nährwertes unstrittig. Zudem enthalten sie meist auch geschmacks- und konsistenzgebende Eigenschaften und tragen somit zur Gesamtkomposition des Bio-Produktes bei.
Aktueller Stand und Ausblick
Aus diesem Grund hat sich die Europäische Kommission der Thematik angenommen und das Thema des Einsatzes von Lithothamnium im Dezember 2023 in ihr FAQ-Dokument zur EU-Öko-Verordnung (PDF-Dokument) aufgenommen. Dort wird klargestellt:
"Der Hauptbestandteil von Lithothamnium calcareum ist Calciumcarbonat und seine Hauptfunktion in verarbeiteten Lebensmitteln entspricht dem Zusatz von Calcium. Da es sich bei Calciumcarbonat um einen Mineralstoff handelt, kann dieser nur verwendet werden, wenn dieser Zusatz wie in Anhang II Teil IV Nummer 2.2.2 f) der Verordnung (EU) 2018/848 bestimmt, unmittelbar gesetzlich vorgeschrieben ist."
Als Folge der Veröffentlichung der FAQs untersagten die Öko-Kontrollbehörden der Mitgliedsstaaten den Einsatz von Lithothamnium in biologischen Produkten erneut. Ob diese Entscheidung endgültig ist, bleibt offen, denn auch gegen diese behördliche Anweisung wurde bereits Klage eingereicht. Das Urteil, ob es sich beim Einsatz von Lithothamnium um eine unerlaubte Anreicherung handelt, müssen wohl Gerichte abschließend fällen.