Oekolandbau.de: Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit Zweinutzungsrassen der Standard werden?
Weigend/Tiemann: Inwieweit Zweinutzungsrassen generell zum Standard in der Hühnerhaltung werden und werden sollen, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht abschätzen. Der erwähnte Merkmalsantagonismus zwischen Mast- und Legeleistung wird der Zucht Grenzen bezüglich der Effizienz setzen. Um dem Dilemma des Tötens der männlichen Eintagsküken der Legerichtung zu entkommen, gibt es – wie aufgezeigt – auch andere Lösungswege. Bei der Bewertung der Effizienz einer Zweinutzung wird der Aufwand sowohl für die Mastleistung als auch für die Eierproduktion gemeinsam betrachtet werden müssen. Andererseits gelten Zweinutzungshühner als robust, resilient und anpassungsfähig. Mit diesen Eigenschaften erreichen sie auch unter suboptimalen Bedingungen möglicherweise einen besseren Tierwohlstatus. Ob dem wirklich so ist, soll Gegenstand der Forschung in naher Zukunft sein.
Oekolandbau.de: Gibt es unterschiedliche Herausforderungen für bio und konventionell?
Weigend/Tiemann: Im ökologischen Landbau ist die Zweinutzung eine generell angestrebte Zielsetzung. Dafür sind noch eine Reihe von Fragen zu lösen, beginnend bei der Definition "Zweinutzung" und der Ableitung von Zuchtzielen. In diesem Kontext stellt sich jedoch die Frage, ob "Zweinutzung" als Mästbarkeit der Hähne und Eiererzeugung durch die Hennen tatsächlich das alleinige Ziel ist, oder ob Merkmalskomplexe wie
- die Produkt-Eigenschaften und -Diversität,
- die Eignung für unterschiedliche Haltungsformen und Bestandgrößen,
- kleinbäuerliche Haltungen versus größere Tierbestände,
- die Haltungen unter unterschiedlichen Umweltbedingungen in verschiedenen Regionen
nicht letztlich eine diversere Zuchtbasis erfordern. All das sind Fragen, mit der die Entwicklung der Züchtung im Bereich des ökologischen Landbaus konfrontiert ist und deren Lösung weiteren intensiven Forschungsbedarf begründet. Dafür wird es gesellschaftlicher Anstrengungen und Unterstützung durch die öffentliche Seite bedürfen.
Erste Schritte sind an unterschiedlichen Stellen bereits gemacht und müssen nun verstetigt werden. Neben der Zucht ist die Infrastruktur der verlässlichen Bereitstellung solcher Tiere für die Landwirtschaft aufzubauen. Dazu gehören Brütereien, Junghennen-Aufzüchterinnen und -Aufzüchter und die Entwicklung von Vermarktungswegen. Das wird Zeit erfordern und letztlich wird der Erfolg des Ansatzes "Zweinutzungshühner", das heißt deren Etablierung im Markt, von den Akteurinnen und Akteuren in der Produktion und insbesondere von der Akzeptanz durch Verbraucherinnen und Verbraucher abhängen. Ein Zweinutzungshuhn, das unter den Anforderungen des ökologischen Landbaus Lebensmittel erzeugt wird, wird auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit höheren Produktpreisen verbunden sein.