100 Prozent Bio-Fütterung - was heißt das für die Praxis?

100 Prozent Bio-Fütterung – was heißt das für die Praxis?

Tierhaltende Bio-Betriebe konnten ihre Rationen bisher mit geringen Anteilen konventioneller Futtermittel optimieren. Doch seit Januar 2022 ist die 100 Prozent-Bio-Fütterung bei ausgewachsenen Tieren zur Pflicht. Was bedeutet das für die Praxis? Welche Futtermittel ermöglichen eine bedarfsgerechte Eiweißversorgung der Tiere? Wir haben dazu zwei Experten befragt.

Seit dem 1. Januar 2022 müssen ausgewachsene Tiere im Öko-Landbau wie zum Beispiel Legehennen zu 100 Prozent mit Bio-Futter versorgt werden. Ausnahmen gelten nur noch für Schweine bis zu einem Gewicht von 35 Kilogramm und für Junggeflügel bis 18 Wochen – allerdings nur noch bis zum 31. Dezember 2026.

Gravierender Einschnitt

"Das ist ein gravierender Einschnitt auf vielen Ebenen", sagt Werner Vogt-Kaute, Fütterungsberater und Geflügelexperte beim Bio-Verband Naturland. "Denn es wird die Erstellung der Rationen anspruchsvoller machen, aber auch Auswirkungen auf die angebauten Kulturen und die Herkunft einzelner Komponenten haben." Deshalb sollten sich Betriebe laut Vogt-Kaute möglichst frühzeitig Gedanken machen, wie sich die aktuellen Rationen anpassen lassen und wo zusätzlich benötigte Komponenten bezogen werden können.

Die größte Herausforderung in der ökologischen Tierhaltung liegt in der ausgewogenen Eiweißversorgung. Dabei ist nicht die Bereitstellung ausreichender Proteinmengen das Problem, sondern eine optimale Eiweißqualität. Begrenzender Faktor sind vor allem essentielle Aminosäuren wie Methionin und Lysin, die in den meisten Futtermitteln nur in geringen Mengen enthalten sind.

Keine synthetischen Aminosäuren im Öko-Landbau

Konventionelle Betriebe füllen diese Qualitätslücke, indem sie synthetisch hergestellte Aminosäuren ergänzen. Im Öko-Landbau ist das nicht zulässig. Viele Bio-Betriebe greifen stattdessen auf konventionelles Mais- oder Kartoffelklebereiweiß zurück, um die begrenzenden Aminosäuren in ausreichender Menge bereitzustellen. Das ist seit Januar 2022 nicht mehr möglich.

"Wir wissen von unseren Praxisbetrieben, dass bei Legehennen eine 100 Prozent-Bio-Fütterung funktioniert", sagt Vogt-Kaute. "Allerdings müssen Betriebe dafür an vielen Schrauben drehen, um vor allem eine ausreichende Versorgung mit Methionin sicherzustellen."

Ölkuchen als Alternative

Der Berater geht davon aus, dass die Betriebe dafür verstärkt auf methioninreiche Ölkuchen aus Soja, Sonnenblumen, Raps, Sesam, Lein oder Leindotter zurückgreifen werden. Welcher Ölkuchen eingesetzt wird, hängt von der lokalen Verfügbarkeit und den Preisen ab, aber auch von der eingesetzten Ration und den Möglichkeiten zur Aufbereitung. Ölkuchen aus Sonnenblumen ist zum Beispiel relativ günstig, hat aber den Nachteil, dass die Schalen hohe Rohfasergehalte aufweisen.

Bei Betrieben, die ihr Futter selbst mischen, kann der Einstieg oder die Ausweitung des Ölpflanzenanbaus deshalb sinnvoll sein. Allerdings ist dafür der Zugang zu Aufbereitungsanlagen wie Ölpressen oder Toastanlagen für Soja notwendig. Die größeren Futtermühlen werden laut Vogt-Kaute wahrscheinlich verstärkt auf EU-Soja als bewährtes Eiweißfuttermittel setzen, um die Zahl der Mischkomponenten gering zu halten.

Kurz gefasst

Mehr Importe, weniger regionales Getreide

Grundsätzlich wird deshalb die Nachfrage nach Ölkuchen in Bioqualität steigen – und damit auch die Preise. Derzeit liegt der Selbstversorgungsgrad für Ölpflanzen in Deutschland nur bei 15 bis 20 Prozent. Vogt-Kaute ist sich deshalb sicher, dass die Importe von Bio-Futtermitteln durch die neue Regelung zunehmen werden. Dagegen wird der Einsatz von regional angebautem Getreide zurückgehen, da steigende Anteile hochkonzentrierter Eiweißkomponenten wie Ölkuchen den Getreideanteil in der Ration um bis zu zehn Prozent verringern, meint Vogt-Kaute.

Als interessante, methioninreiche Alternative zu Ölpflanzen haben sich in Versuchen eines BÖL-Projektes Nackthafer und Rispenhirse herauskristallisiert. Vogt-Kaute bestätigt, dass viele Praxisbetriebe des Verbandes, die ihr Futter selbst mischen, beide Komponenten bereits seit längerem erfolgreich bei der Fütterung ihrer Legehennen einsetzen. Zudem sind beide Getreidearten anspruchsloser im Anbau als die meisten Ölpflanzen. So ist etwa Rispenhirse auch für trockene Sandstandorte geeignet. Der Anbau dieser Kulturen könnte ein weiteres Puzzleteil für einzelbetriebliche Lösungen sein.

Steigen die Futterkosten?

Obwohl die Rationen durch die Pflicht zur 100 Prozent-Bio-Fütterung durch alternative Eiweißkomponenten angepasst werden müssen, geht Vogt-Kaute nicht von wesentlich höheren Futterkosten aus: "Konventionelles Mais- und Kartoffeleiweiß sind auch keine günstigen Komponenten. Vielmehr wird es darauf ankommen, dass jeder Betrieb die passende Eiweißergänzung findet, die zu den betrieblichen Voraussetzungen passen."

Die Frage nach höheren Futterkosten sieht Martin Kötter-Jürß, Bioland-Fachberater für Schweinehaltung, etwas skeptischer: "Wenn wir konventionelle Eiweißkomponenten durch verbandszertifizierten Sojakuchen ersetzen, liegen wir preislich schon 30 bis 40 Euro pro Doppelzentner höher." Letztlich sei die entscheidende Frage bei den Kosten aber, ob es genug Ware am Markt gibt.


Letzte Aktualisierung 19.12.2024

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