True Cost: Der wahre Preis unserer Lebensmittel

True Cost: Der wahre Preis unserer Lebensmittel

Bei der Erzeugung von Lebensmitteln entstehen Kosten, die nicht über den Ladenpreis abgedeckt sind. Zu diesen sogenannten Externalitäten zählen soziale und Umweltfolgekosten, die beispielsweise durch den Verlust der Artenvielfalt oder der Belastung des Trinkwassers entstehen.

Seit einigen Jahren berechnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit Herstellungs- und Handelsunternehmen auf Grundlage der Externalitäten – den Kosten, die von Produzierenden verursacht, aber von der Gesellschaft getragen werden – den wahren Preis für Lebensmittel. Diese externen Kosten sehen die Verbraucherinnen und Verbraucher zwar nicht auf dem Preisschild, bezahlen sie aber über Steuern, Trinkwasserkosten oder Krankenkassenbeiträge schlussendlich mit. De facto sind unsere Lebensmittel im Laden folglich günstiger als sie sie real sind. 90 Milliarden Euro jährlich, so hoch sind die Schäden der Landwirtschaft in Deutschland an Gemeingütern, die nicht Teil der Lebensmittelpreise im Supermarkt sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahre 2019.

"Es ist schon lange überfällig, das Thema wahre Kosten zu diskutieren, weil wir bei der Herstellung von Lebensmitteln große, auch gesellschaftliche Folgeschäden verursachen. Mit einem anderen Preisansatz könnten die Auswirkungen der Klimakrise abgemildert werden", so die Erkenntnis von Herrn Prof. Dr. Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg. Dafür müssten Unternehmen, die beispielsweise bei der Herstellung ihrer Produkte viel CO2 emittieren, schon frühzeitig zur Kasse gebeten werden. Dadurch würde sich das Preisgefälle zwischen Produkten mit kleinem beziehungsweise großem Fußabdruck verringern oder sogar umdrehen, so dass die Kundschaft verstärkt zur nachhaltigeren Variante greift. Gleichzeitig lohne sich für die Unternehmen die Produktion umweltschädlicher Lebensmittel nicht mehr.

Die Berechnung der wahren Kosten eines Produktes (True Cost Accounting) ist die Bilanzierung aller Kosten und Folgekosten, die im Zusammenhang mit der Herstellung des Produktes entstehen. Die Produktion eines Lebensmittels hat zum Beispiel externe Effekte auf die Natur (beispielsweise durch die Belastung des Bodens, die Verschmutzung von Wasser oder die Verringerung der Artenvielfalt) oder die an der Produktion beteiligten Menschen (zum Beispiel psychische und physische Belastungen oder Berufskrankheiten). Wie negativ diese Auswirkungen sind, hängt vom Produktionssystem ab. 

Folgekosten unseres Konsums sichtbar machen

Auch der Lebensmitteleinzelhandel nimmt sich mehr und mehr des Themas wahre Kosten an. So stellte bereits im Jahr 2020 der Discounter Penny in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Greifswald eine Berechnung wahrer Verkaufspreise vor. Für acht ausgewählte konventionell und ökologisch erzeugte Eigenmarken-Produkte wurden die über die Lieferketten anfallenden Auswirkungen von Stickstoffeinsatz, Treibhausgasen, Energienutzung und Landnutzungsänderungen auf den Verkaufspreis miteingerechnet. Bei Betrachtung der Preisaufschläge wird deutlich, dass ökologisch erzeugte Lebensmittel besser abschneiden als konventionelle. "Je pflanzenbasierter und je mehr bio, desto besser ist es für Umwelt und Klima", so Prof. Dr. Tobias Gaugler in einem Beitrag für das Bioland-Magazin (3/2023).

Übersicht der ungewichteten True Costs-Berechnung der Universität Greifswald
ProduktPreisaufschlag konventionell (Prozent)Preisaufschlag bio (Prozent)
Apfel84
Banane199
Kartoffel126
Tomate125
Mozzarella5230
Gouda8833
Milch12269
Gemischtes Hackfleisch173126

Wahre Preise im Supermarkt "ECHT" auf der Biofach 2023

Die Biofach hat im Jahr 2023 den Kongressschwerpunkt auf das Thema "Bio. Ernährungssouveränität. Wahre Preise." gesetzt. Forschende und Studierende der Technischen Hochschule Nürnberg haben hierzu unter der Leitung von Prof. Dr. Tobias Gaugler die wahren Preise von Lebensmitteln ermittelt und im Wahre Preise Supermarkt "ECHT" dem Publikum anschaulich präsentiert. "Die zum Anfassen dargestellten Lebensmittel und Berechnungen führten zu angeregten Gesprächen und Diskussionen, wir sehen das als geeignetes Format der Wissenschaftskommunikation. Die Resonanz vor Ort sowie die anschließende mediale Berichterstattung war überaus positiv und für alle Beteiligten ein voller Erfolg. An diese Form der Wissenschaftskommunikation möchten wir gerne anknüpfen", so das Fazit von Prof. Dr. Gaugler.

Zwei Fragen an zwei Experten – Prof. Dr. Gaugler und Prof. Dr. Niessen im Interview

Prof. Dr. Tobias Gaugler und Prof. Dr. Jan Niessen lehren und forschen an der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Nürnberg zum Thema wahre Kosten von Lebensmitteln.

Oekolandbau.de: Welche versteckten Kosten fallen bei der Erzeugung von Lebensmitteln an?

Prof. Dr. Gaugler: Die derzeitigen Marktpreise von Lebensmitteln beinhalten keine Externalitäten, also soziale und Umweltfolgekosten, die über die Wertschöpfungskette hinweg anfallen. Diese werden von der Gesellschaft und insbesondere künftigen Generationen an anderer Stelle (zum Beispiel über Steuern oder Wasserpreise) getragen. Es liegt folglich ein Marktfehler vor. Daher arbeiten wir daran die anfallenden versteckten oder "wahren" Kosten möglichst transparent aufzuzeigen.

Diese versteckten Kosten fallen insbesondere durch den Ausstoß von Treibhausgasen (CO2, Lachgas und Methan) sowie durch reaktiven Stickstoff (insbesondere durch Düngemittel) an. Hinzu kommen der mit der Produktion von Lebensmitteln verbundene Energieverbrauch sowie Landnutzungsänderungen wie Abholzungen, da Ackerflächen im Vergleich zu Waldflächen weniger Kohlenstoff binden. 

Externe Kosten des Einsatzes von Pestiziden sowie soziale Folgekosten, welche etwa als Gesundheitskosten oder als Kosten für fehlendes Tierwohl anfallen können, wurden bisher noch nicht final quantifiziert. Allerdings beschäftigt sich die Technische Hochschule Nürnberg im Rahmen des Forschungsprojekts FOODCoST gerade intensiv mit diesen Fragestellungen.

Oekolandbau.de:Gibt es wie beim Discounter Penny weitere Initiativen des Handels, die wahren Kosten im Laden darzustellen? Wie nimmt sich der Handel des Themas an, speziell der Bio-Handel?

Prof. Dr. Gaugler: Im Rahmen des Forschungsprojekts “HoMaBiLe”, welches an der Universität Greifswald angesiedelt ist, kam der Discounter Penny im Jahr 2020 auf uns zu, um die wahren Kosten von Lebensmitteln zu kalkulieren. Unsere Berechnungen wurden anschließend in Form eines zweiten Preisschildes im Nachhaltigkeitsstore “Grüner Weg” in Berlin Spandau dargestellt. Dadurch wurden die Externalitäten von Lebensmitteln das erste Mal im Lebensmitteleinzelhandel und damit direkt am Point of Sale, der in den meisten Fällen die einzige Schnittstelle zwischen Konsumierenden und Handel darstellt, transparent gemacht.

Zusätzlich dazu erhielten die Kundinnen und Kunden über einen Touchpoint weitere Infos zu der Zusammensetzung der wahren Preise. Die Bereitschaft des Handels für gewisse Transparenz zu sorgen, ist also zumindest seitens einzelner Akteure vorhanden. Diese Kampagne wurde nicht nur medial, sondern auch wissenschaftlich begleitet und sorgte sowohl in der Wissenschaft, Gesamtgesellschaft als auch in der Politik für großes Aufsehen. Daher beschäftigen wir uns unter anderem mit der Frage, wie eine bestmögliche Kommunikation der wahren Preise (unter anderem im Lebensmitteleinzelhandel) stattfinden kann und an welcher Stelle der Wertschöpfungskette die wahren Kosten im besten Fall internalisiert, also bezahlt werden müssen, um Externalitäten zu reduzieren. Darüber hinaus sind entsprechende politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen notwendig, um die wahren Preise tatsächlich in unserem Wirtschaftssystem zu etablieren und der ökonomischen Wahrheit damit näher zu kommen.

In der Bio-Branche besteht großes Interesse für die Thematik, beispielsweise seitens des Dachverbandes BÖLW mit verschiedenen Initiativen. Dazu gehört auch die Forderung von null Prozent Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte, die auf wissenschaftlichen Empfehlungen und der damit verbundenen Reduktion der angesprochenen Externalitäten basiert. Diese Positionierung zur Thematik hat auch der Kongressschwerpunkt „Wahre Preise“ auf der diesjährigen Biofach in Nürnberg unterstrichen. Darüber hinaus gibt es von weiteren Akteurinnen und Akteuren des Lebensmittelhandels Interesse, an dem Thema mit uns zusammen zu arbeiten.

"Es geht um Nachhaltigkeitsleitungen für die Gesellschaft"

Oekolandbau.de:Welche politischen Rahmenbedingungen sind vor dem Hintergrund der versteckten Kosten notwendig, um die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft voranzubringen?

Prof. Dr. Niessen: Die Rahmenbedingungen können wirtschaftspolitisch so ausgestaltet werden, dass die versteckten Kosten, also die Schäden mit den Schadenskosten gar nicht erst entstehen oder nur gering ausfallen. Was wir als Gesellschaft ja brauchen, sind Nachhaltigkeitsleistungen aus der Landwirtschaft, also sauberes Wasser, Artenvielfalt, Humusaufbau im Boden oder ethisch vertretbare, flächengebundene Tierhaltung. Und dafür bezahlen wir unsere Landwirtinnen und Landwirte, weil sie dafür sorgen, neben der Lebensmittelerzeugung auch diese mittlerweile sehr knappen und für uns alle existenziellen Güter und Ökosystemleistungen zu bewirtschaften, leistungs- und funktionsfähig zu erhalten.

Darauf sollte die nächste Runde der GAP europaweit und konsequent ausgerichtet werden. Es geht um Nachhaltigkeitsleistungen für die Gesellschaft, auf die wir dringend angewiesen sind. Internationale Handelsabkommen beispielsweise sind so auszurichten, dass kein Öko- und Sozialdumping in anderen Teilen der Welt unsere Landwirte hier in Europa ausspielen.

Oekolandbau.de:Wo sehen Sie hier konkrete Ansätze?

Prof. Dr. Niessen: In den letzten zehn bis 20 Jahren sind verschiedene Ansätze entwickelt worden. Es gibt mehrere Forschungseinrichtungen, Think Tanks und Unternehmen, die Modelle und Methoden entwickelt haben. Mit denen können die Nachhaltigkeitsleistungen in der Landwirtschaft gemessen, bewertet und honoriert werden. Denn wenn wir als Gesellschaft diese gesellschaftlichen Leistungen wünschen – und wir brauchen sie sehr dringend – müssen wir ja sicherstellen, dass wir sie auch tatsächlich, messbar und nachweislich, bekommen. Die effektive und effiziente Verwendung von Steuermitteln kann so sichergestellt werden. Denn wir müssen hier ja umsteuern mit diesen Steuermitteln und dabei den Kurs Richtung Nachhaltigkeit im Blick, also im Controlling, haben.

Es ist gut, dass verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen entwickelt und getestet werden. Ich bin nun seit gut 20 Jahren in Forschung, Lehre und Praxis der Öko-Branche tätig. Wir können jetzt nicht nochmal viele Jahre Studien machen, bevor wir mit der Transformation des Ernährungssystems starten. Es gilt nun, die anwendungsreifen Modelle versuchsweise in die Praxis zu bringen und dann im Sinne transformativer Forschung zu sehen, welche am besten geeignet sind, unsere Ziele zu erreichen. Der Regionalwert-Leistungsrechner beispielsweise erhält von Anwendenden wie Landwirtinnen und Landwirten und deren Kundschaft, also verarbeitenden Unternehmen, sehr positive Rückmeldungen. Denn das Ganze muss auch in der Praxis funktionieren, die Belastung mit Dokumentation und Bürokratie muss so gering wie möglich gehalten werden.

Bürokratieabbau sehe ich übrigens auch als Voraussetzung, dass wir überhaupt weiter kommen können in Sachen nachhaltige Landwirtschaft, aber auch im nachgelagerten Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. Das Kerngeschäft der Betriebe muss der Nachhaltigkeit dienen, nicht der Bürokratie, die wiederum selbst einen Rahmen zur Ermöglichung bieten und nicht verhindern sollte.

Letzte Aktualisierung 11.04.2023

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