Oekolandbau.de:Welche politischen Rahmenbedingungen sind vor dem Hintergrund der versteckten Kosten notwendig, um die Transformation der Land- und Ernährungswirtschaft voranzubringen?
Prof. Dr. Niessen: Die Rahmenbedingungen können wirtschaftspolitisch so ausgestaltet werden, dass die versteckten Kosten, also die Schäden mit den Schadenskosten gar nicht erst entstehen oder nur gering ausfallen. Was wir als Gesellschaft ja brauchen, sind Nachhaltigkeitsleistungen aus der Landwirtschaft, also sauberes Wasser, Artenvielfalt, Humusaufbau im Boden oder ethisch vertretbare, flächengebundene Tierhaltung. Und dafür bezahlen wir unsere Landwirtinnen und Landwirte, weil sie dafür sorgen, neben der Lebensmittelerzeugung auch diese mittlerweile sehr knappen und für uns alle existenziellen Güter und Ökosystemleistungen zu bewirtschaften, leistungs- und funktionsfähig zu erhalten.
Darauf sollte die nächste Runde der GAP europaweit und konsequent ausgerichtet werden. Es geht um Nachhaltigkeitsleistungen für die Gesellschaft, auf die wir dringend angewiesen sind. Internationale Handelsabkommen beispielsweise sind so auszurichten, dass kein Öko- und Sozialdumping in anderen Teilen der Welt unsere Landwirte hier in Europa ausspielen.
Oekolandbau.de:Wo sehen Sie hier konkrete Ansätze?
Prof. Dr. Niessen: In den letzten zehn bis 20 Jahren sind verschiedene Ansätze entwickelt worden. Es gibt mehrere Forschungseinrichtungen, Think Tanks und Unternehmen, die Modelle und Methoden entwickelt haben. Mit denen können die Nachhaltigkeitsleistungen in der Landwirtschaft gemessen, bewertet und honoriert werden. Denn wenn wir als Gesellschaft diese gesellschaftlichen Leistungen wünschen – und wir brauchen sie sehr dringend – müssen wir ja sicherstellen, dass wir sie auch tatsächlich, messbar und nachweislich, bekommen. Die effektive und effiziente Verwendung von Steuermitteln kann so sichergestellt werden. Denn wir müssen hier ja umsteuern mit diesen Steuermitteln und dabei den Kurs Richtung Nachhaltigkeit im Blick, also im Controlling, haben.
Es ist gut, dass verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen entwickelt und getestet werden. Ich bin nun seit gut 20 Jahren in Forschung, Lehre und Praxis der Öko-Branche tätig. Wir können jetzt nicht nochmal viele Jahre Studien machen, bevor wir mit der Transformation des Ernährungssystems starten. Es gilt nun, die anwendungsreifen Modelle versuchsweise in die Praxis zu bringen und dann im Sinne transformativer Forschung zu sehen, welche am besten geeignet sind, unsere Ziele zu erreichen. Der Regionalwert-Leistungsrechner beispielsweise erhält von Anwendenden wie Landwirtinnen und Landwirten und deren Kundschaft, also verarbeitenden Unternehmen, sehr positive Rückmeldungen. Denn das Ganze muss auch in der Praxis funktionieren, die Belastung mit Dokumentation und Bürokratie muss so gering wie möglich gehalten werden.
Bürokratieabbau sehe ich übrigens auch als Voraussetzung, dass wir überhaupt weiter kommen können in Sachen nachhaltige Landwirtschaft, aber auch im nachgelagerten Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. Das Kerngeschäft der Betriebe muss der Nachhaltigkeit dienen, nicht der Bürokratie, die wiederum selbst einen Rahmen zur Ermöglichung bieten und nicht verhindern sollte.