oekolandbau.de: Warum schneidet der Ökolandbau in Bezug auf die Langlebigkeit kaum besser ab?
König: Im Ökolandbau gibt es keine systematische eigenständige Züchtung, die die besonderen Ansprüche der ökologischen Haltungsbedingungen berücksichtigt. Bio-Betriebe müssen deshalb überwiegend auf Bullen zurückgreifen, deren Töchter sich unter konventionellen Bedingungen bewährt haben. Doch deren Eigenschaften passen oft nicht zu den ökologischen Haltungsbedingungen. So fällt es zum Beispiel Bio-Betrieben oft schwer, Hochleistungskühe unter Low-Input-Bedingungen mit wenig oder ganz ohne Kraftfutter optimal auszufüttern. Die Folge sind auch hier Stoffwechselprobleme, die häufig zum vorzeitigen Abgang der Tiere führen.
oekolandbau.de: Das heißt, es gibt einen Einfluss der Umweltbedingungen auf die Genetik der Tiere und damit auch auf die Langlebigkeit?
König: Einen sehr großen sogar. Wir haben in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass die Genetik bei den funktionalen Merkmalen wie Nutzungsdauer oder Gesundheit maximal 15 Prozent ausmacht. Der Rest wird durch die Umwelt und das Herdenmanagement beeinflusst, also etwa durch die Fütterung, die Haltungsform und sogar durch das Klima. Es ist sogar so, dass die Umwelt darüber entscheidet, ob bestimmte Gene aktiviert werden. Nehmen Sie zum Beispiel das Merkmal "Milchleistung". Hier kann es sein, dass die entscheidenden Gene für dieses Merkmal unter konventionellen Bedingungen aktiv sind, unter ökologischen Bedingungen aber nicht oder nur eingeschränkt. Deshalb bräuchten wir eigentlich eine eigenständige Züchtung für den Ökolandbau mit einer eigenständigen Zuchtwertschätzung.
oekolandbau.de: Wie können sich Bio-Milchviehbetriebe zurzeit trotzdem züchterisch weiterentwickeln und die Langlebigkeit verbessern?
König: In dem sie die Bullen wählen, deren Nachkommen sich im System Ökolandbau bewährt haben. Genau das ist ein zentrales Ergebnis unserer LongLife-Studie. Auf Basis der umfassenden Betriebsdaten aus beiden Produktionssystemen können wir genau berechnen, welche Bullen nicht nur im konventionellen Bereich gut abschneiden, sondern auch besonders geeignet sind für den Ökolandbau. In unserer nächsten Studie wollen wir sogar noch einen Schritt weitergehen und die Eignung der Bullen weiter differenzieren. Schließlich gibt es ja auch zwischen den einzelnen Bio-Betrieben große Unterschiede, etwa bezüglich der Intensität und des Kraftfuttereinsatzes. Auch hier können wir die günstigsten Bullen für bestimmte Produktionsbedingungen vorschlagen. Das wäre zeitnah machbar.
oekolandbau.de: Wann und wo wird die Liste mit den Bullen verfügbar sein, deren Nachkommen sich auch im Ökolandbau bewährt haben?
König: Diese Ergebnisse sind automatisch im Projekt "LongLife" mit angefallen. Für die Merkmale, die wir bisher analysiert haben, gibt es Zuchtwerte für Bullen in beiden Produktionssystem Öko und Konventionell. Allerdings werden in der Milchrinderzucht gegenwärtig sehr viele Merkmale züchterisch bearbeitet. Es gibt allein schon Diagnosen für über 900 Gesundheitsmerkmale. Alle diese Merkmale in einer Zuchtwertschätzung zu berücksichtigen ist natürlich sehr rechen- und zeitintensiv.
oekolandbau.de: Zu den Umwelteinflüssen gehört auch das Herdenmanagement. Welchen Einfluss hat das Management auf die Langlebigkeit?
König: Einen sehr großen. Wir schätzen auf Basis der vorliegenden Zahlen aus Praxisbetrieben, dass der Einfluss der Herdenbetreuung in Bezug auf die Langlebigkeit etwa 50 Prozent ausmacht. Mit anderen Worten: Wer seine Herde gut managt und die Arbeit mit Kühen versteht, erhöht die Langlebigkeit seiner Herde bei gleichzeitig hohem Leistungsniveau.
oekolandbau.de: Noch ein Blick in die Zukunft. Was glauben Sie, wie weit wird sich die Nutzungsdauer in der Milchviehhaltung durch Züchtung und Management anheben lassen?
König: Man sollte sich hier ruhig hohe Ziele stecken und an den Besten orientieren. In unserer Studie hatten wir Praxisbetriebe, die bei ihrer Herde schon heute im Schnitt auf fünf bis sechs Laktationen kommen, auch bei hoher Milchleistung. Ich bin zuversichtlich, dass auch die breite Masse der Betriebe irgendwann solche Zahlen erreichen wird, wenn die richtigen politischen Vorgaben gegeben sind. Wichtig hierbei ist, dass die Politik sich nicht an Meinungen der Gesellschaft orientiert, sondern den Bäuerinnnen und Bauern sowie den Züchterinnen und Züchtern mehr Eigenverantwortung überlässt.