Lebensmittel retten und verarbeiten

Lebensmittel retten und verarbeiten

Tagtäglich werden tonnenweise Lebensmittel entsorgt. Innovative Bio-Unternehmen produzieren aus Lebensmittelresten hochwertige neue Lebensmittel. Zum Beispiel Bier aus Altbrot, Aufstrich aus gerettetem Gemüse sowie Nudeln aus gerettetem Mais oder Linsen. Verbraucherinnen und Verbraucher können diese Lebensmittel aus Resten mit bestem Gewissen verspeisen.

Was für eine Verschwendung: Der WWF Deutschland schätzt, dass fast 15 Prozent der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen, durch vermeidbare Lebensmittelverluste in Anspruch genommen wird. Dagegen möchten vor allem Start-Upsin der Bio-Branche ein klares Zeichen setzen: sie schaffen aus den überschüssigen Lebensmitteln oder aus Resten der Lebensmittelherstellung neue Lebensmittel. Hier einige Beispiele für das Upcycling von Nahrungsmitteln in der Bio-Branche.

Der Erhebung des Statistischen Bundesamtes zufolge betrug im Jahr 2021 die Gesamtabfallmenge rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle (Frischmasse). Die Primärproduktion hat an der Gesamtabfallmenge einen Anteil von 2 Prozent (0,2 Mio. Tonnen). Bei der Verarbeitung fallen 14 Prozent (1,5 Mio. Tonnen) an. Im Handel entstehen 7 Prozent (0,8 Mio. Tonnen) der Lebensmittelabfälle. Bei der Außer-Haus-Verpflegung fallen 17 Prozent (1,9 Mio. Tonnen) der Abfälle an. Der Großteil der Lebensmittelabfälle entsteht mit 60 Prozent (6,6 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten. Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin wirft demnach etwa 79 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg.

Mit dem Zero-Waste-Bier den Lebensmittelkreislauf schließen

"Toast Ale", gebraut aus gerettetem Toastbrot, entdeckte Daniel Anthes 2017 bei einem Trip in London.  Der engagierte Lebensmittelretter hatte sich gewundert, dass es ausgerechnet hierzulande, im Land der Brau- und Brotkunst, kein vergleichbares Produkt gab. Inzwischen hat sein Frankfurter Start-up mit der Marke Knärzje (Randstück vom Brotlaib nach hessischer Mundart) das erste bio-zertifizierte Zero-Waste-Bier Deutschlands auf den Markt gebracht. 

Wir wollen das Thema Lebensmittelverschwendung in den gesellschaftlichen Mainstream bringen und mit unserem Bier direkt eine mögliche Lösung in puncto Lebensmittelwertschätzung aufzeigen." Firmengründer Daniel Anthes

Auf jede Flasche Bier kommt eine Scheibe Brot. Dadurch lässt sich rund ein Viertel der zum Bierbrauen benötigten Gerstenmalzmenge ersetzen. 2023 hat Knärzje erstmals die Marke von einer halben Million Flaschen geknackt und konnte so rund 10.000 Kilogramm Brot retten. Die überschüssigen oder aussortierten Bio-Brote stammen allesamt von der Bioland-Bäckerei Biokaiser aus Mainz-Kastel. Aber auch beim Bierbrauen selbst fallen Reste an. So entsteht beim Auskochen des Malzes Treber. Der Treber von Knärzje wird bisher an Tiere verfüttert. Daniel Anthes tüftelt jedoch mit Bio-Bäckerinnen und Bäckern von Biokaiser bereits daran, den Treber in der Bäckerei zu verwerten.

Lebensmittelreste einsetzen aus Prinzip

Ob Aufstriche, Suppen, Nudeln, Pestos oder Schokolade: Die ursprünglich unter der Marke Rettergut angebotenen Produkte enthalten – wenn möglich – gerettete Zutaten. Die Marke Rettergut wird seit 2024 unter followfood weitergeführt, und zwar mit dem Zusatzlabel "inklusive geretteter Zutaten". So vielfältig wie deren Produktpalette sind auch die Herkunftsquellen, die das Team des 2015 gegründeten Berliner Start-ups dafür aufspürt. Sie stammen direkt von Landwirtinnen und Landwirten, Zwischenhändlern oder Lebensmittelunternehmen.

Wir haben immer ein Ohr am Puls des Lebensmittelkreislaufs und bekommen mit, wenn hochwertige Rohstoffe nach Verwendung rufen." Philipp Prechtner, Gründer von Rettergut

Lebensmittelverschwendung beenden

Der Anteil an geretteten Produkten im Sortiment liegt im Schnitt bei rund 80 Prozent, schwankt jedoch übers Jahr hinweg. Denn bei geretteten Rohstoffen sei die Verfügbarkeit kaum planbar, erläutert Lara Ibach von followfood: "Bestimmte Zutaten wie Öl, Tomatenmark, Zwiebeln, Gewürze, Kräuter, Kokos oder Hülsenfrüchte stehen uns nur unregelmäßig oder manchmal auch gar nicht zur Verfügung." Zu den Rohstoffen zählen beispielsweise überproduzierte Lebensmittel, Ware, die beim Transport im Stau stecken geblieben ist, oder Produkte, die nicht mehr lange lagerfähig sind. 

Aber Lara Ibach betont auch: "Wenn es etwas zu retten gibt, dann tun wir das. Wenn es aber ökonomisch oder ökologisch gar nicht sinnvoll ist, nutzen wir auch nicht gerettete hochwertige Zutaten." Gerade bei Gemüsesuppen und -aufstrichen variiert der Anteil an geretteten Zutaten besonders stark – je nach Ernte und aktuellem Angebot an gerettetem Gemüse auf dem Markt sowie Produktrezeptur. 

Mixschokolade rettet Produktionsreste

Bei der Herstellung von Schokolade sind Produktionsreste die Regel: Immer wenn ein Hersteller den Produktionsprozess von Vollmilchschokolade auf Zartbitterschokolade oder umgekehrt umstellt, wird die neue Schokoladensorte so lange durch die Anlage gepumpt, bis sämtliche Reste der vorherigen Schokoladensorte entfernt sind. Dabei entstehe eine Masse aus zwei Schokoladensorten, die auf Grund von Qualitätsvorgaben des Herstellers verworfen werden müsse, sagt Lara Ibach vom followfood-Team. "Wir finden, diesen Mix besonders wertvoll und lassen ihn zu Tafeln und Riegeln weiterverarbeiten. So können wir jährlich viele Tonnen Schokolade retten." Als "100 Prozent gerettet" kann daher die Mixschokolade "Lieblingstafel Classic" ausgelobt werden.

Upcycling von Nudeln

Auch bei der Nudelherstellung läuft nicht immer alles rund. Beispielsweise fallen beim Zuschneiden von Spaghetti auf eine einheitliche Länge immer wieder unterschiedlich lange Nudeln an. Das macht sich followfood zunutze. Statt die zu kurzen Nudeln zu verwerfen, werden sie gemahlen und zu Fusilli verarbeitet. Die Nudelsorte Fusilli Mais & Linsen bringt es so auf einen Recyclinganteil von fast 100 Prozent, bei den Fusilli Mais & Kichererbse sind es immerhin 68 Prozent.

Bio-Start-up macht aus Gemüseresten Pizza

Gemüsetrester bleibt übrig, wenn Gemüse zur Saftherstellung gepresst wird. Der Pressrückstand steckt voller Ballaststoffe, Mineralstoffe und Vitamine und ist eigentlich viel zu schade zum Entsorgen, wie Matthias Rother, Ideengeber und Gründer des Bio-Start-ups Beetgold fand, das seit März 2024 zur Irodima GmbH gehört.

Aus dem Trester produziert das Allgäuer Start-up Tortillas und Pizzaböden in Bio-Qualität. Statt Mais- oder Weizenmehl bildet der Trester von Karotten oder Rote-Bete die Hauptzutat für den Teig - und zwar bis zu 98 Prozent. Wie bei Vollkorn werden dabei die ganze Schale und somit alle Ballaststoffe des Gemüses verarbeitet. Seit der Gründung im Jahr 2019 hat die Beetgold GmbH bereits 230.000 Kilogramm Trester zu gesunden Lebensmittelalternativen aus Gemüse weiterverarbeitet. Diese Menge entspricht rund 600.000 Pizzaböden und 4,2 Millionen Tortillas.

Die Idee dazu hatte Matthias Rother bei einem Unternehmenswettbewerb eingereicht hat. Den hat er gewonnen und seine Vision weiter vorangetrieben.

Text: Nina Weiler


Letzte Aktualisierung 02.10.2024

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