ARCHE Naturprodukte ist wie die meisten Bio-Unternehmen ein klassisches mittelständisches Unternehmen. Oekolandbau.de sprach mit dem Geschäftsführer Stefan Schmidt darüber, was Verantwortungseigentum genau bedeutet und welche Vorteile sich daraus für Bio-Unternehmen ergeben.
Oekolandbau.de: Herr Schmidt, Warum haben Sie sich entschieden, das Unternehmen ins Verantwortungseigentum zu geben?
Stefan Schmidt: Dafür gab es ganz unterschiedliche Motive. Einerseits wollte ich in meinen unternehmerischen Entscheidungen von der Geldgeberseite unabhängig bleiben, weil ich das Unternehmen am besten kenne. Demnach galt die Suche einem Modell, das zwar klassisch gewinnorientiert bleibt, bei dem aber der Unternehmer den vollen Gestaltungsspielraum hat, zum Beispiel wie schnell oder langsam die Firma wachsen soll. Grundsätzlich habe ich auch die Auffassung, dass ein Unternehmen ja nicht vorwiegend von seinem Eigentümer "allein" aufgebaut wird, sondern es ist immer ein Gemeinschaftswerk, bei dem die Mitarbeitenden einen hohen Anteil vor allem zur Entwicklung nach der Gründung beitragen. Der Unternehmer beziehungsweise die Unternehmerin ist Impulsgeber, aber eben nicht allein. Er kann allein buchstäblich gar nichts machen. Die Mitarbeitenden geben genauso ihre Lebenszeit, ihre Kreativität und Erfahrung in das Unternehmen hinein. Diese ist einmalig, also unwiederbringlich in das Unternehmen investiert, wenn auch gegen Bezahlung. Das will ich mir nicht einfach aneignen und dann weiterverkaufen oder -vererben wie einen "Sack Kartoffeln". Die Leistung des Unternehmens, seine Ideale, seine inhaltliche Substanz, seine positiven Grundsätze müssen also wertgeschätzt und letztlich auch geschützt werden, vor allem vor der Übernahme durch fremde Kapitalinteressen und anonyme Eigentümer oder rein gewinnorientierte Mitgesellschafter, wie zum Beispiel Aktionärinnen und Aktionäre, die weit entfernt sind von der Wirklichkeit im Unternehmen. Das ist auch ein gutes Mittel gegen den Trend zur Monopolisierung.
Das sogenannte "Verantwortungseigentum" definiert die Trennung von Kapital und "Governance", also Führung, als ein wesentliches Mittel, um dem quartalsorientierten Kurzfrist-Denken ein Gegenmodell entgegenzusetzen. Diese Unabhängigkeit des Unternehmers oder der Unternehmerin ermöglicht in vielen Fällen erst eine strategische, langfristige Unternehmensentwicklung von "ruhiger Hand". Wenn das Unternehmen sich dagegen laufend nach kurzfristigen Kapitalinteressen richten muss oder jederzeit Interventionen der Kapitalgeber-Seite befürchten muss, wird eine auf mittel- und langfristigen Erfolg ausgerichtete Unternehmenspolitik oft erschwert.
Die Entscheidung für "Verantwortungseigentum" bedeutet auch in Hinblick auf die Unternehmens-Nachfolge die Einführung des Grundsatzes "Fähigkeiten-Verwandtschaft statt nur Blutsverwandtschaft". Die Nachfolge-Unternehmerin oder der Nachfolge-Unternehmer muss im Veto-Share Modell der PUPOSE-Stiftung, das auch ARCHE nutzt, zuvor von einem neutralen "Nachfolge-Rat" auf seine Eignung überprüft und bestätigt werden. Blutsverwandte wie Kinder können also Nachfolger oder Nachfolgerin werden, aber es gibt keine Garantie dafür.
Bei der Weitergabe eines in Verantwortungseigentum konstituierten Unternehmens an eine Nachfolge muss dieser oder diese keine hohen Kapitalmittel mitbringen, die zum Beispiel bei einem "normalen" Verkauf benötigt würden und somit wahrscheinlich wieder vorwiegend kapitalorientierte Interessen in das Unternehmen einbringen würden. So kann unter anderem eine qualifizierte und engagierte Person aus der Mitarbeiterschaft das Unternehmen auch mit relativ geringen Mitteln als Eigentümerin oder Eigentümer erwerben, denn entscheidend sind dessen Stimmrechte, nicht dessen Kapitalanteil. Somit wird die Nachfolge potenziell vereinfacht und für viele mittelständische Unternehmen würde sich die Suche nach einer Nachfolge wesentlich erleichtern. Dies würde insbesondere bei Einführung der fertig entwickelten Rechtsform "Gesellschaft mit gebundenem Vermögen" gelten.
Verantwortungseigentum kann potenziell zu einer weiteren, flexibler machenden Form neben dem klassischen Familienunternehmen werden. Der Spielraum für die Nachfolge von Familienunternehmen würde erheblich größer, so auch bei ARCHE. Bis zu 500.000 familiengeführte Unternehmen suchen in Deutschland in den nächsten Jahren nach einer Nachfolge und viele finden sie nicht in der Familie. Die Folge ist der Verkauf an kapitalorientierte Investorinnen und Investoren – oder die Schließung.
Oekolandbau.de: Sehen Sie bei Unternehmen aus der Bio-Branche eine besondere Bedeutung beziehungsweise Verantwortung eine Unternehmensform zu wählen, die zum Beispiel das Kapital im Unternehmen lässt oder nur ökologisch sozialen Strukturen zugutekommt?
Stefan Schmidt: Verantwortungseigentum oder später die Gesellschaft mit gebundenem Vermögen ist ja keine "Rechtsform", die sich nur für besonders "nachhaltig" orientierte Branchen eignet, sondern einfach für alle unternehmergeführten Betriebe. Aber nach meinem Gefühl sind gerade in unserer Branche viele Pioniere vor vielen Jahrzehnten mit einer "gesellschaftlichen" Vision angetreten, ganz gleich, ob sich das hauptsächlich in den Produkten ausdrückte, oder ganzheitlicher gedacht war. Viele wollten eine andere, menschengerechtere Wirtschaft. Insofern müsste das Modell eigentlich in unserer Branche viel Zuspruch finden, zumal sich auch hier aktuell etliche Nachfolge-Situationen ergeben.
Oekolandbau.de: Wenn Sie anderen Unternehmen einen Rat geben können, die sich ak-tuell mit der Frage nach der geeigneten Wirtschaftsform beschäftigen, zum Beispiel im Rahmen einer Nachfolgesituation – welcher Rat wäre das?
Stefan Schmidt: Ich würde ihnen zumindest empfehlen, sich näher mit dem Modell Verantwortungseigentum zu beschäftigen. Dessen große Vorteile sind bei oberflächlicher Betrachtung gar nicht so schnell zu erfassen, für viele wirkt das Modell auf den ersten Blick sogar kontraintuitiv, denn – ob wir wollen oder nicht – wir sind mit dem tradierten Eigentums- und Gewinnmodell sozialisiert worden. Warum soll man sein Unternehmen eigentlich "stiften"? Andererseits – man kann sich ja durchaus eine Altersabsicherung aus dem Unternehmen ausbedingen. Das lässt sich alles lösen.
Und ganz nebenbei vermittelt es mir eine hohe Zufriedenheit, mich zum Verantwortungseigentum entschlossen zu haben. Es weist einen direkten Weg in eine bessere Zukunft, in der nicht mehr allein die Kapitalinteressen bestimmen, was wir zu tun, zu lassen und zu konsumieren haben. Sondern Unternehmerinnen und Unternehmer, die eben Menschen mit viel Erfahrung, Herzblut und Weitsicht sind.