EU beschließt Abbau von Agrarumweltstandards

EU beschließt Abbau von Agrarumweltstandards

Nach dem EU-Parlament haben nun auch die EU-Mitgliedsstaaten dem Kommissionsvorschlag zugestimmt, einen Großteil der Umweltstandards der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu lockern. Brüssel will damit Bürokratie abbauen und den seit Wochen protestierenden Landwirtinnen und Landwirten entgegenkommen. Wissenschaftler warnen vor den Auswirkungen, die das für Umwelt und Biodiversität hat.

Mitte März hatte die EU-Kommission bekanntgegeben, dass zahlreiche der 2023 eingeführten Mindeststandards der GAP zum Schutz von Umwelt, Biodiversität und Klima bis zum Ende der Förderperiode 2027 gelockert werden sollen. Die Kommission will damit den Bürokratieaufwand reduzieren und den Druck mindern, dem viele landwirtschaftliche Betriebe aktuell ausgesetzt sind. 

Ende April stimmte das EU-Parlament für die Vorschläge der Kommission und kürzlich auch die EU-Mitgliedsstaaten. Damit können die Änderungen noch vor dem Sommer in Kraft treten.

Was wird sich ändern?

Die Änderungen betreffen vor allem die "Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand" – kurz GLÖZ genannt. Die GLÖZ-Standards sind als sogenannte Konditionalität Kernbestandteil der GAP, was bedeutet, dass diese Standards von allen Landwirtschaftsbetrieben eingehalten werden müssen, wenn sie Anspruch auf Direktzahlungen haben wollen. Im Detail geht es um 

  • den Erhalt von Dauergrünland (GLÖZ 1),
  • den Erosionsschutz (GLÖZ 5),
  • die Mindestbodenbedeckung in sensiblen Zeiten (GLÖZ 6),
  • die Fruchtfolgegestaltung (GLÖZ 7),
  • den Mindestanteil von Ackerland für nichtproduktive Flächen oder Landschaftselemente (GLÖZ 8) sowie
  • den Umgang mit sensiblem Dauergrünland (GLÖZ 9). 

Der EU-Beschluss sieht vor, einige dieser Standards zum Teil stark zu lockern, bei anderen soll den Mitgliedsstaaten sehr viel mehr Flexibilität bei der Auslegung zugestanden werden. Betriebe mit weniger als zehn Hektar sollen darüber hinaus von allen Kontrollen und Sanktionen ausgenommen werden. 

Keine verpflichtende Bereitstellung mehr von nicht-produktiven Flächen

Eine sehr weitreichende Änderung betrifft den GLÖZ 8 Standard. Er verfolgt das Ziel "nicht-produktive Landschaftselemente und Flächen zur Verbesserung der Biodiversität" zu erhalten. Nach aktuellem EU-Beschluss müssen landwirtschaftliche Betriebe künftig zwar noch bestehende Landschaftselemente auf ihrem Land erhalten, sind aber nicht mehr dazu verpflichtet, einen Mindestanteil von vier Prozent ihres Ackerlandes für nichtproduktive Flächen wie Brachflächen vorzusehen. Stattdessen müssen die Mitgliedstaaten den Betrieben freiwillige Angebote machen, damit diese Rückzugsräume für wildlebende Pflanzen und Tiere schaffen.

Brachen fördern Agrobiodiversität

Landwirtschaftsflächen, auf denen bewusst kein Anbau von Kulturpflanzen erfolgt und auf denen eine dynamische, zum Teil spontane Vegetationsentwicklung zugelassen wird, bezeichnet man weithin als "Brachen". Brachen bieten wertvolle Lebens- und Rückzugsräume für zahlreiche wildlebende Tier- und Pflanzenarten und sind in hohem Maße förderlich für den Erhalt der Biodiversität in Agrarlandschaften. 

Die verpflichtende Bereitstellung von vier Prozent nicht-produktiver Fläche hatte die EU den Mitgliedsstaaten bereits Ende Februar als kurzfristige Maßnahme – beschränkt auf das Jahr 2024 – freigestellt, wovon viele Mitgliedsstaaten, unter anderem Deutschland, Gebrauch machten. In diesem Jahr müssen die Betriebe auf diesen Flächen jedoch noch Leguminosen oder Zwischenfrüchte anbauen, wenn sie die Flächen nicht brachliegen lassen wollen.

Ein Jahr zuvor wurde die verpflichtende Bereitstellung von Brachflächen in Deutschland schon einmal, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, ausgesetzt.

Wissenschaft warnt vor Wegfall der Pflichtbrache 

Agrarwissenschaftler von der Universität Rostock sowie vom Thünen-Instituts warnen in einem Gast-Kommentar bei topagrarvor einem Aufweichen der GAP-Umweltstandards – insbesondere der verpflichtenden Bereitstellung von Brachflächen. Brachen seien essenziell für den Erhalt der Artenvielfalt in Agrarlandschaften, dies sei wissenschaftlich umfassend dokumentiert (siehe Infokasten).

Erkenntnisse aus zwei Jahrzehnten Flächenstilllegung 

Zwischen 1992 und 2008 hat die EU die Flächenstilllegung als Instrument zur Begrenzung von Überproduktion im Ackerbau genutzt. Zu Beginn mussten Landwirtinnen und Landwirte 15 Prozent ihrer Ackerfläche aus der Produktion nehmen. Ab 1999 wurde der Anteil für einige Jahre auf zehn Prozent und 2004 noch einmal auf fünf Prozent gesenkt. 

In den Jahren 2007 bis 2009 reduzierte sich durch die Aufhebung der Maßnahmen der Brachflächenanteil in Deutschland um mehr als 60 Prozent, von 5,5 auf 2,1 Prozent der deutschen Ackerfläche. Zahlreiche wissenschaftliche Studien konnten belegen, dass dies in den Folgejahren zu massiven Schäden für die Biodiversität führte. 

Dass eine Diversifizierung in der Landwirtschaft nicht nur der biologischen Vielfalt, sondern auch den Landwirtinnen und Landwirten zugutekommt, belegte eine kürzlich im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie. Die Forschenden konnten in dieser sehr umfassenden und global angelegten Studie zeigen, dass Blühstreifen und Hecken, weite Fruchtfolgen sowie Boden und Wasserschutz keine Ertragsminderungen mit sich bringen

Kritik von Umwelt- und Bio-Verbänden

Zahlreiche Verbände aus den Bereichen Umweltschutz und Öko-Landwirtschaft kritisieren die Beschlüsse aus Brüssel. Sie verweisen auf die weitreichenden Folgen der GLÖZ-Aufweichungen für den Arten-, Boden-, Klima- und Tierschutz. Außerdem würden diese zu einer Benachteiligung für bäuerliche Betriebe führen, die bereits heute überdurchschnittliche Umweltleistungen erbrächten. 

Bundesregierung will andere Lösungen finden

Deutschland hatte sich bei der Abstimmung der EU-Mitgliedsstaaten Anfang Mai als einziges Land enthalten. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unterstützt jedoch generell den Kommissionsvorschlag, die verpflichtende Flächenstilllegung (GLÖZ 8) bis zum Ende der Förderperiode und auch darüber hinaus auszusetzen. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir sprach sich aber dafür aus, die Schaffung von Brachflächen über die freiwilligen Öko-Regelungen besser zu regeln. Eine entsprechende Öko-Regelung (ÖR 1a Brachflächen) gibt es in Deutschland bereits. Bund und Länder hatten sich im Februar auch schon auf eine Anpassung der Ausgestaltung dieser und anderer Öko-Regelungen für 2024 verständigt. 

Wie genau die Beschlüsse der EU in Deutschland umgesetzt werden, wird das BMEL nun mit den Bundesländern und anderen Bundesressorts beraten.


Letzte Aktualisierung 15.05.2024

Nach oben
Nach oben