Genetisch hornlose Rinder – eine Alternative zum Enthornen

Genetisch hornlose Rinder – eine Alternative zum Enthornen

Hornlose Kühe sind heute fast die Regel – auch im Öko-Landbau. Trotz Betäubung und Schmerzmittelgabe, wie es im Öko-Landbau Vorschrift ist, ist dieser Eingriff für die Tiere unan-genehm und kostet Zeit und Geld. Immer mehr Öko-Betriebe kreuzen daher genetisch hornlose Tiere in ihre Herden ein.

Idealerweise sollte die ökologische Milchviehhaltung in Stallsystemen erfolgen, die für behornte Kühe geeignet sind. Also großzügig bemessene Laufställe, in denen die Tiere einander ungehindert ausweichen können. Doch nur wenige Betriebe haben derart großzügige Ställe. Das Halten hornloser Tiere ist daher für viele Öko-Betriebe ein notwendiger Kompromiss.

Üblicherweise wird den Kälbern in den ersten Wochen nach der Geburt mit einem Brenneisen die Hornanlage ausgebrannt. Auch in mehr als der Hälfte der rinderhaltenden Öko-Betriebe wird diese Form der Enthornung praktiziert. Öko-Halterinnen und -Halter müssen dafür jedoch einen Antrag bei der Kontrollbehörde stellen und die Tiere vor dem Eingriff durch einen Tierarzt lokal betäuben lassen. In der konventionellen Haltung reicht es dagegen aus, wenn die Landwirtin oder der Landwirt dem Kalb vor dem Eingriff ein Beruhigungs- und Schmerzmittel verabreicht.

Trotz Betäubung und Schmerzmittelgabe ist dieser Eingriff für das Tier unangenehm. Außerdem entstehen dem Betrieb dadurch Arbeit und Kosten. Immer mehr Bio-Rinderhalterinnen und -halter denken daher darüber nach, genetisch hornlose Tiere in ihre Herde einzukreuzen.

Hornlosigkeit lässt sich vererben

Natürliche Hornlosigkeit ist bei Rindern zwar selten, aber nichts Ungewöhnliches. Rassen wie Angus oder Galloway sind beispielsweise genetisch komplett hornlos, das heißt kein Tier dieser Rassen wird mit Hörnern geboren. Auch bei typischerweise behornten Rinderrassen kommt es durch genetische Mutationen immer wieder dazu, dass Tiere mit fehlenden oder nur unzureichend ausgebildeten Hörnern geboren werden. Noch vor 80 Jahren war die Weiterzucht solcher Tiere für die Landwirtschaft kaum von Interesse. Denn die Tiere wurden damals nicht nur für die Milch- und Fleischversorgung genutzt, sondern auch als Zugtiere. An dem Horn ließ sich das Joch gut befestigen. Als Rinder dann ab Mitte des letzten Jahrhunderts als Zugtiere nicht mehr benötigt wurden, schenkte man auch der züchterischen Weiterentwicklung von hornlosen Tieren mehr Beachtung.

Hornlos-Bullen immer gefragter

Erste ernstzunehmende Bemühungen einer gezielten Hornloszucht gab es in der Zucht von hornlosen Fleckviehbullen ab den 1970er Jahren, allerdings vorwiegend für die Fleischrinderhaltung. "Seit etwa 2006 nimmt auch die Nachfrage nach hornlosen Besamungsbullen bei den Milchvieh- und Zweinutzungsrassen, insbesondere Fleckvieh und Holstein erkennbar zu", sagt Carsten Scheper, Wissenschaftler am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen. "Einen regelrechten Boom erfuhr die Besamung der Kühe mit genetisch hornlosen Bullen etwa ab 2010, als das Enthornen der Tiere stärker in den Fokus der Tierschutzdebatte rückte." Mit der Verschärfung der Enthornungsauflagen im Jahr 2015 – seitdem müssen in der konventionellen Haltung Beruhigungs- und Schmerzmitteln verwendet werden – ist die Nachfrage nach Hornlos-Bullen weiter gestiegen: Laut Vereinigte Informationssysteme Tierhaltung (VIT) lag der Anteil an Besamungen mit Hornlos-Bullen im Jahr 2020 bei der Rasse Holstein Rotbunt bei 54 Prozent. Scheper geht davon aus, dass der Anteil an Hornlosbesamungen im Öko-Bereich aufgrund der höheren Anforderungen an das Enthornen noch höher liegt als im konventionellen Bereich.

Kritik an der Hornloszucht

Doch auch wenn zahlreiche Bio-Betriebe inzwischen auf Hornlos-Bullen zurückgreifen, ist die Hornloszucht in der ökologischen Landwirtschaft nicht ohne Kritik. Einige Bio-Verbände – darunter besonders der Demeter-Verband, dessen Richtlinie das Halten behornter Rinder vorschreibt – befürchten, dass es durch die Verengung auf hornlose Vererber, zum Beispiel in der Rasse Holstein, mittel- bis langfristig zu einem Problem werden könnte, behornte Tiere zu züchten. „Hornlosigkeit vererbt sich dominant,“ sagt Scheper. „Das heißt, die Vererbung der Hornlosigkeit von lediglich einem Elternteil auf den Nachkommen reicht aus, damit dieser phänotypisch hornlos geboren wird. Dies mache eine relativ schnelle Etablierung der Hornlosigkeit in den Herden und Zuchtprogrammen möglich.

Kritische Öko-Landwirtinnen und -Landwirte sowie -Verbände geben außerdem zu bedenken, dass das Horn der Kuh schon deswegen nicht entfernt werden dürfe, weil es zahlreiche Funktionen erfüllt. So hat das Horn eine wesentliche Bedeutung für die Körpersprache der Tiere und damit für die Herdenhierarchie. Und auch zur Körperpflege werden die Hörner genutzt. Zudem gelten in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft die Hörner neben dem Verdauungstrakt als wichtigstes Organ der Kuh. Nach Meinung von Demeter hat das Horn demnach auch Einfluss auf die Qualität der Milch.

In der Broschüre "Die Bedeutung der Hörner für die Kuh" fasst das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Grundlagenkenntnisse und Beobachtungen von bio-dynamischen Bäuerinnen und Bauern und Forscherinnen und Forschern zur Anatomie, Physiologie, Entwicklungsbiologie und Funktion der Hörner der Kuh zusammen.

Laufstallhaltung geht auch mit Hörnern

Dass auch eine erfolgreiche Haltung horntragender Milchkühe im Laufstall möglich ist, zeigen zahlreiche ökologische Praxisbetriebe. Entscheidend für eine funktionierende, horntragende Herde sind ein großzügiges Platzangebot und genügend Ausweichmöglichkeiten im Stall. Konkurrenzsituationen werden sehr gut dadurch vermieden, dass genügend Fressplätze (mindestens ein Platz pro Tier) und Tränken verfügbar sind. Sehr wichtig ist auch eine gute Mensch-Tier-Beziehung: Tierhalter und Tierhalterinnen, die behornte Kühe im Laufstall halten, müssen ihre Tiere sehr gut kennen und einschätzen können, damit sie auf individuelle Probleme reagieren können.

Ein Merkblatt des FiBL fasst die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Beobachtung horntragender Kühe in Laufställen und Erfahrungen aus der Praxis zusammen und bietet konkrete Empfehlungen für Stallbau und Management: Laufställe für horntragende Milchkühe


Letzte Aktualisierung 09.01.2023

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