Interview über den Aufbau regionaler Bio-Wertschöpfungsketten

"Potenziale sichtbar machen und nutzen" – Interview über den Aufbau regionaler Bio-Wertschöpfungsketten

Der Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten ist zurzeit in aller Munde. Immer mehr junge Leute in der Bio-Branche nehmen sich dieser Aufgabe an. Doch was bedeutet das eigentlich genau? Was kommt auf die Personen zu? Was sollten sie mitbringen? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Charis Braun, die seit vielen Jahren regionale Wertschöpfung erforscht und in der Praxis begleitet.

Dr. Charis Braun

Die Agrar- und Ernährungswissenschaftlerin hat während ihrer Promotion den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten von Bio-Gemüse in Brandenburg begleitet und erforscht. Als systemische Organisationsberaterin hat sie 2023 gemeinsam mit den Kolleginnen Evelyn Juister und Henrike Rieken "zwischenfeld" gegründet. Mit Workshops, Veranstaltungen sowie Bildungs- und Beratungsformaten begleiten sie in der Praxis den Aufbau von Wertschöpfungsketten.

Als Entwicklerin einer Wertschöpfungskette sollte man sich erstmal mit der Ausgangssituation vertraut machen: Wie ist der Stand der Dinge? Wo gibt es Lücken und Herausforderungen im Markt? Welche Potenziale werden noch nicht genutzt?

Oekolandbau.de: Der Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten ist zurzeit in aller Munde. Doch was bedeutet das genau? Können Sie diesen Begriff definieren?

Charis Braun: Wertschöpfungsketten können in mehrere Stufen unterteilt werden: Als erstes kommt der Anbau, gefolgt von der Bündelung, Logistik, Verarbeitung, dem Handel und zuletzt die Abnahme zum Beispiel von Großküchen oder Konsumentinnen und Konsumenten. Je nach Ware kann anschließend noch das Recycling mitgedacht werden. Beim klassischen Management steht die Frage im Fokus, wie die Ware effizient vom Acker auf den Teller gelangen kann.

Beim Aufbau von Wertschöpfungsketten steht aber häufig erstmal die Frage im Vordergrund, wie eine Veränderung in der Wertschöpfungskette gelingen kann. In einigen Regionen bestehen bei Bio-Wertschöpfungsketten noch große Lücken. So können zum Beispiel keine regionalen Bio-Produkte in der Gemeinschaftsverpflegung platziert werden, wenn die Verarbeitung nicht in der Region erfolgen kann. Wir beschäftigen uns also damit, wie diese Lücke geschlossen werden kann, wie also Wertschöpfungsketten entwickelt werden können. Zum Beispiel im dem neue Kooperationen entstehen oder neue Produktionsprozesse etabliert werden. Wir sprechen deshalb auch eher von Wertschöpfungskettenentwicklung.

Oekolandbau.de: Diese regionale Zusammenarbeit soll von verschiedenen Wertschöpfungsketten-Projekten koordiniert werden. Welche Aufgaben fallen in diesen Bereich?

Charis Braun: Als Entwicklerin einer Wertschöpfungskette sollte man sich erstmal mit der Ausgangssituation vertraut machen: Wie ist der Stand der Dinge? Wo gibt es Lücken und Herausforderungen im Markt? Welche Potenziale werden noch nicht genutzt? Und dann müssen die Akteurinnen und Akteure vor Ort miteinander vernetzt werden. Diesen dann einen guten Rahmen zu bieten, um die Potenziale zu nutzen und im Veränderungsprozess zu begleiten, ist für mich das Herzstück einer guten Entwicklung von Wertschöpfungsketten.

In einer bereits funktionierenden Wertschöpfungskette übernehmen die Managerinnen eher eine koordinierende Tätigkeit und versuchen die bestehenden Warenströme zu optimieren.

Gerade in Öko-Modellregionen ist natürlich auch die Öffentlichkeitsarbeit ganz wichtig. Denn es lohnt sich, über jeden Erfolg zu berichten – auch wenn er noch so klein ist.

Oekolandbau.de: Was sind das normalerweise für Menschen, die diese Arbeit übernehmen? Welchen beruflichen Hintergrund haben sie?

Charis Braun: Die meisten sind fachlich sehr gut ausgebildet, häufig in den Bereichen Agrar- oder Ernährungswissenschaften. Viele kommen frisch von der Uni und sind sehr motiviert, das bestehende Ernährungs- und Agrarsystem nachhaltig zu verändern. Doch für die Arbeit mit den verschiedenen Marktakteurinnen und -akteuren sind neben dem Fachwissen auch Kompetenzen notwendig, die im Studium nicht unbedingt gelehrt wurden: Moderationsfähigkeiten, Prozessbegleitung oder Verhandlungsführung sind nur einige davon.

Oekolandbau.de: Welche Fähigkeiten sollten die Menschen in diesem Arbeitsfeld im besten Fall mitbringen?

Charis Braun: Wir haben in einem Workshop mal eine Gruppe von Wertschöpfungsketten-Entwicklerinnen bzw. Regionalmanagerinnen gefragt: Welche Rolle habt ihr eigentlich? Die Antworten waren zahlreich: Von der Organisatorin, Vermittlerin, über die Vernetzerin, Mediatorin bis hin zur Forscherin. Das zeigt die große Vielfalt in diesem Berufsfeld.

In unserer Arbeit bei zwischenfeld versuchen wir ein Bewusstsein zu schaffen, was es für eine Stelle beim Aufbau von Wertschöpfungsketten braucht. Was sind die Aufgaben? Wo sind die Grenzen? Wofür gibt es Fachleute, die helfen? Es ist wichtig zu wissen, was auf die Person zukommt. Aber die Bewerberinnen und Bewerber müssen nicht alles wissen. Bei speziellen Themen, wie zum Beispiel Hofnachfolge oder Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, gibt es bereits gute Angebote, etwa bei den Verbänden oder Landwirtschaftskammern.

Entwicklerinnen und Entwickler von Wertschöpfungsketten können eine Chance für Unternehmen sein und das Marktpotenzial sichtbar machen. Sie tragen wertvolles Wissen zusammen und schaffen einen Überblick.

Oekolandbau.de: Stimmen aus der Praxis kritisieren, dass den Managerinnen und Managern von Wertschöpfungsketten die praktische handwerkliche Erfahrung fehlt, um die Bedürfnisse der Unternehmen zu verstehen und vertreten zu können. Stimmt das?

Charis Braun: Die Kritik habe ich auch schon häufiger gehört. Dennoch können Managerinnen und Manager eine Chance für Unternehmen sein und das Marktpotenzial sichtbar machen. Sie tragen wertvolles Wissen zusammen und schaffen einen Überblick. So können sie einen Rahmen bieten, um dieses Potenzial zu nutzen – was Unternehmen im Tagesgeschäft häufig nicht leisten können.

Oekolandbau.de: Welche Erwartungen haben die Akteurinnen gegenüber den Stellen, die den Aufbau begleiten? Sind diese gerechtfertigt und können sie erfüllt werden?

Charis Braun: Es ist wichtig, sich bewusstzumachen, dass die Entwicklerinnen von Wertschöpfungsketten erstmal keine wirtschaftliche Verantwortung tragen, wenn sie von außen die Unternehmen unterstützen. Die wirtschaftlichen Entscheidungen treffen die Unternehmen. Die Entwicklerinnen und Entwickler tragen die Verantwortung für den Veränderungsprozess: Sie können Wissen und Infos zur Verfügung stellen und einen Diskussionsraum schaffen, damit eine Entscheidung getroffen werden kann – für oder gegen eine bestimmte Wertschöpfungskette zum Beispiel.

Oekolandbau.de: Welches Werkzeug – seien es Fortbildungen, Infomaterialien, Vernetzungstreffen – würde Ihrer Meinung nach den Stellen nützen und zum Erfolg verhelfen?

Charis Braun: Das zunehmende Angebot von Weiterbildungen und Austauschmöglichkeiten ist sehr hilfreich, um zu verstehen, was das Aufgabenfeld in Wertschöpfungsketten bzw. die Rolle ist. Außerdem ist es sehr wichtig, im Umfeld vernetzt zu sein, um zu wissen, dass ich nicht alleine bin und mich mit anderen austauschen kann – sei es beispielsweise in einem Netzwerk oder Lenkungskreis. Manchmal kann es auch helfen eine Supervision in Anspruch zu nehmen, um bei konkret Fragen aus dem beruflichen Alltag Unterstützung zu bekommen.

Oekolandbau.de: Worauf können sich die aktiven Wertschöpfungsketten-Entwicklerinnen und Entwickler freuen? Was steht als nächstes an?

Charis Braun: Wir haben 2022 erstmals die Aktionstage "Wirksam in Wertschöpfungsketten" gemeinsam mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde durchgeführt. Das war ein großer Erfolg mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Deutschland: Wir haben damit erstmals eine Plattform geschaffen, um über dieses Thema zu reden. Daraus ist ein offenes, selbstorganisiertes Netzwerk entstanden – mal mit 30, mal mit 50 Teilnehmenden und immer wieder neuen Gesichtern. Im Oktober 2024 finden deshalb die nächsten Aktionstage in Berlin statt. Die Anmeldung ist ab dem 15. Mai möglich. Dort ist dann auch wieder der Aufbau von Wertschöpfungsketten im Fokus. Eingeladen sind alle, die jetzt gerade den Aufbau in der Praxis unterstützen – projektunabhängig. Ebenfalls im Oktober startet unser nächster "Feldrundgang". Das ist ein Lernraum für den Arbeitsalltag in Wertschöpfungsketten, der sowohl online als auch in Präsenz möglich ist.

Und Bio Verbindet ist ein ganz tolles Netzwerk, wo Akteurinnen und Akteure aus den Öko-Modellregionen und Biostädten sich regelmäßig treffen und austauschen. Das nächste Vernetzungstreffen findet in Oldenburg am 15. und 16. Mai 2024 statt.

Veranstaltungen rund um regionale Wertschöpfungsketten

Kongress "Erfolgreiche Regionalvermarktung – Erfahrungen und Best Practice"
Der Kongress "Erfolgreiche Regionalvermarktung" des BMEL findet am 13. Juni 2024 in Berlin statt. Auf dem Kongress dreht sich alles um den Ausbau und Erhalt regionaler Wertschöpfungsketten und bietet einen Erfahrungsaustausch über erfolgreiche Initiativen und Projekte der regionalen Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln.
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Tag der Wertschöpfungsketten
Der erstmalig stattfindende Tag der Wertschöpfungsketten bringt im Rahmen der DLG-Feldtage am 13. Juni alle Verarbeitungsstufen für die Öffentlichkeit zugänglich zusammen. Diskussionen zu Fragestellungen zur Steigerung der Wertschöpfung für heimische pflanzliche Produkte stehen ebenso im Fokus wie der branchenübergreifende bilaterale Austausch beim anschließenden Get-Together in gemütlicher Atmosphäre“.
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Letzte Aktualisierung 08.05.2024

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