Auf dem Pflegebauernhof

Mehr (Er-)Leben auf dem Pflegebauernhof

Wie wäre es damit, im Alter auf einem Pflegebauernhof zu leben? Hier können Seniorinnen und Senioren rund um Kuh und Co. aktiv sein. Wer Hilfe braucht, wird von Pflegefachleuten unterstützt. So können selbst Pflegebedürftige noch viel erleben. Schließlich ist auf einem Bauernhof immer etwas los.

Viele Menschen möchten im Alter nicht allein, aber selbstbestimmt leben. Und wenn die Kräfte nachlassen, noch im Leben stehen und etwas Sinnvolles tun. Umgekehrt kämpfen zahlreiche kleine Bauernhöfe ums Überleben. Ein Lichtblick für ältere Menschen und sozial engagierte Bauernhöfe bietet ein Pflegebauernhof. Das ist nach einer Definition von Professor Johannes Gräske der Alois Salomon Hochschule in Berlin ein landwirtschaftlicher Betrieb, der mit seiner sozialen Dienstleistung (also Unterbringung und Betreuung der älteren Menschen) mehr Einkommen erwirtschaftet als mit der Produktion von Lebensmitteln.

Um die Betreuung der Seniorinnen und Senioren zu gewährleisten, arbeiten hier Pflege-Profis mit der Landwirtsfamilie zusammen. Dieses Modell geht also über eine Mehrgenerationen-WG auf dem Bauernhof hinaus, bei der meist nur die Bäuerin kocht und hilft.

Pionierhof in Rheinland-Pfalz

Pionier und Treiber der Idee ist Guido Pusch, Landwirt und Gründer des Pflegebauernhofes in Marienrachdorf. Auf seinem Familienbetrieb im Westerwald wohnen derzeit 22 Seniorinnen und Senioren: die pflegebedürftigen Menschen in zwei Wohngemeinschaften (WG) in einer ehemaligen Scheune auf dem Hof; die aktiven und mobilen in einer Selbstversorger-WG in der Nachbarschaft. Zum Bauernhof gehören Rinder, Schweine, ein Pferd, Hühner, Katzen, Gänse, Alpakas und Bienen. Die Menschen helfen mit, die Tiere zu versorgen, aber auch beim Ernten und Kochen. Jeder und jede tut, was er oder sie kann und mag: Ein ehemaliger LKW-Fahrer wartet den Traktor. Ein Ex-Landrat aus Hessen hilft bei der Geburt von Kälbern. Solche sinnstiftenden Arbeiten bringen die Senioren und Seniorinnen wieder in Schwung. "Unsere Bewohner fühlen sich besonders von den Tieren gebraucht und haben morgens einen Grund aufzustehen", berichtet Guido Pusch.

Ambulanter Pflegedienst mit im Boot

Ein Pflegedienst ist 24 Stunden am Tag vor Ort und hilft den Pflegebedürftigen, ihren Alltag zu meistern. Den Pflegedienst hat Guido Pusch extra gegründet. Pflegende und Bäuerinnen und Bauern brauchen Verständnis füreinander, arbeiten eng und auf Augenhöhe zusammen. "Wir bringen die Welten der weißen und grünen Berufe auf unserem Hof zusammen", freut sich Pusch. Der Landwirt bekommt Geld dafür, dass er die Infrastruktur bereitstellt. Das umfasst neben der WG-Zimmermiete und Verpflegung die Nutzung des Hofgeländes, der Tiere usw. Die Pflegendenden beschränken sich nicht nur auf die häusliche Pflege, sondern binden die Älteren in die Arbeit und den Alltag auf dem Bauernhof mit ein.

Mindestgröße gebraucht

Um den eigenen Pflegedienst auszulasten, braucht es eine Mindestanzahl an Bewohnerinnen und Bewohnern mit Pflegegrad. Etwa 20 bis 24 sollten es pro Hof sein. Dafür können die älteren Menschen dann auch bis zu ihrem Lebensende bleiben und landen nicht doch noch ungewollt im Altersheim. Sogar Palliativpflege ist in Marienrachdorf möglich. Die Kosten pro Pflegeplatz liegen bei rund 2.400 Euro im Monat, die sich – wie bei anderen Einrichtungen üblich – teilweise über die Pflegekassen abrechnen lassen.

Weitere Ideen und Initiativen

Der Einstieg in den Pflegebauernhof kann auch Schritt für Schritt erfolgen: Beispielsweise versorgt die Landwirtsfamilie nur einen oder mehrere ältere Menschen selbst oder kooperiert mit einem örtlichen Pflegedienst. Auch die Einrichtung einer Tagespflege auf dem Bauernhof wäre ein Gewinn für alle Beteiligten. In Schleswig-Holstein berät die Landwirtschaftskammer Betriebe, die Wohn- und Betreuungsangebote für Ältere schaffen möchten.

In Süddeutschland begleitet ein privater Anbieter Höfe beim Start in die soziale Landwirtschaft. "Wichtig ist, dass die Wertschöpfung, also das Geld für Wohnen, Betreuen und Pflege, weitgehend auf dem Hof bleibt", erläutert Nikolaus Teixera. Zu seiner Klientel gehören auch Initiativen von Stadtmenschen, die eine Hofstelle als Lebensort und Altersitz suchen. Unternehmen könnten nach dem Vorbild von Betriebskindergärten ebenfalls einen Pflegebauernhof für die Eltern ihrer Mitarbeitenden gründen. In unserer alternden Gesellschaft gibt es Platz für alle Modelle.

Sinnvoll beschäftigen statt bespaßt werden

Guido Pusch möchte möglichst viele Nachahmende finden. Dazu hat er das Projekt Zukunft Pflegebauernhof gegründet. Landauf landab berät er interessierte Bauernhöfe. Bis Anfang 2024 soll es bundesweit zehn Pflegebauernhöfe geben, die Mehrzahl davon Bio-Betriebe. Allerdings reicht der Bedarf für tausende.

Warum sollten wir unseren Lebensabend ausgerechnet auf einem Bauernhof verbringen?

Guido Pusch: Auf einem Pflegebauernhof werden die Menschen nicht künstlich bespaßt, sondern beschäftigen sich sinnvoll. Am liebsten mit den Tieren. Ein Bauernhof strahlt eine viel lebendigere Atmosphäre aus als ein von Investoren erbautes, seelenloses Altenheim. Hier kommt der Bauer als dritte Säule zu Bewohnern und Pflegekräften hinzu. Natürlich ist das Leben auf dem Bauernhof kein Allheilmittel, eine Demenz verschwindet nicht, aber gerade Demenzbetroffene können bei uns mehr erleben und sich freier bewegen. Dabei achten die fitteren Seniorinnen und Senioren auf die Hilfsbedürftigen. Schon allein deshalb, weil sie selbst später auch mehr Hilfe brauchen.

Oekolandbau.de: Was bringt das Konzept für die Landwirtinnen und Landwirte?

Pusch: Gerade wenn die neue Generation den Hof übernimmt, überlegt sie, wie es weitergehen kann. Bisher ging es immer um Wachstum, statt 100 Kühe 200 Kühe anzuschaffen, statt 100 Hektar 200 Hektar zu bewirtschaften. Doch das funktioniert heutzutage nicht mehr. Es gibt nicht genügend Ackerland und die Preise für Lebensmittel reichen nicht aus. Wer einen Pflegebauernhof aufmacht, muss seinen landwirtschaftlichen Betriebszweig nicht aufgeben, kann ihn aber entschleunigen, also weniger Tiere zu besseren Bedingungen halten.

Ein solches Angebot unterstützt gleichzeitig die Bauersfamilie: auch deren pflegebedürftige Familienmitglieder können bleiben. Besonders Bäuerinnen bekommen Unterstützung von den Pflegekräften oder lassen sich selbst sozialversicherungspflichtig anstellen.

Oekolandbau.de: Wie hoch ist die Nachfrage nach Pflegeplätzen auf dem Bauernhof?

Pusch: Mich rufen wöchentlich bestimmt 20 Leute an, die bei uns oder woanders auf dem Bauernhof leben möchten. Darunter Menschen aller Schichten, aus der Stadt und aus dem ländlichen Raum.

Die vielen Anfragen kann ich leider nicht bedienen. Einer sagte sogar, er wolle sich lieber umbringen als in ein Altenheim zu gehen. Das ist für mich sehr belastend, aber treibt mich an, andere Höfe zu motivieren und zu beraten, auch einen Pflegebauernhof einzurichten – so wie ich in Marienrachdorf.

Oekolandbau.de: Wie geht es denn weiter?

Pusch: Das gesellschaftliche Potenzial ist riesig. Nicht umsonst hat unser Projekt Zukunft Pflegebauernhof gerade den Deutschen Demografiepreis gewonnen und ist als Finalist in der Kategorie "Local Heroes" für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert. Nach meinen Informationen soll sich im Bundestag derzeit eine Arbeitsgruppe Innovatives Wohnen und Pflegebauernhof bilden! Das Thema ist hochaktuell.

Wenn wir von unseren 230.000 landwirtschaftlichen Betrieben nur jeden hundertsten gewinnen können, wären das immerhin 2.300 Höfe mit sechzig- bis siebzigtausend Pflegeplätzen. Das ist dann immer noch nur ein Bruchteil aller benötigter Pflegeplätze. Aber vielleicht bringen die Pflegehöfe auch andere Institutionen weiter. Auf jeden Fall möchten und werden wir den Pflegemarkt verändern.

Mehr dazu auf Oekolandbau.de:

Letzte Aktualisierung 29.11.2022

Nach oben
Nach oben