Mehr Bio für öffentliche Küchen in der Bio-Gemeinde Much
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Ein Blick hinter die Kulissen – wenn sich lebensmittelverarbeitende Unternehmen während der Produktion über die Schulter schauen lassen, fördern sie Transparenz und stärken das Vertrauen in ihre Produkte. Vier Bio-Unternehmen berichten über ihre Erfahrungen mit einer "gläsernen Produktion".
Unternehmen, die ökologische Lebensmittel verarbeiten, sind bestrebt die Umwelt zu schonen, gesellschaftliche Schäden zu vermeiden und die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten zu fördern. Die Bio-Produkte sollen also ein Bestandteil einer gesunden Lebens- und Ernährungsform sein, so schreibt es die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) e.V. in ihrem Positionspapier zur Lebensmittelqualität. Die Verarbeitung und damit einhergehende Prozessqualität der Produkte spielen dabei eine große Rolle.
Um dieses Qualitätsstreben und die Vorteile der Bio-Produkte auch den Kundinnen und Kunden zu vermitteln, bedarf es einer transparenten Arbeitsweise. Die Verarbeitung von Lebensmitteln ist heutzutage jedoch für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht unbedingt ersichtlich. Das Wissen darüber entsteht oftmals über die Bewerbung der Produkte und lässt Vorstellungen entstehen, die nicht unbedingt mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
Die Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau ermöglichen Verbraucherinnen und Verbrauchern einen Zugang zur ökologischen Landwirtschaft. Um die Authentizität der Bio-Lebensmittelverarbeitung sichtbar zu machen, sollte für Verbraucherinnen und Verbraucher auch ein Zugang zur Lebensmittelverarbeitung geschaffen werden. Dafür bedarf es entsprechende Transparenz: Wo kommen die Rohstoffe her, welche in den Produkten verarbeitet werden? Wie werden die Produkte hergestellt? Welche Verfahren werden dabei genutzt und wie sieht das in der Praxis aus?
Eine Möglichkeit, diese Verbindung vom Lebensmittel zum Menschen herzustellen, ist eine sogenannte gläserne Produktion. Oekolandbau.de stellt im Folgenden vier Bio-Unternehmen vor, die sich hinter die Türen beziehungsweise Fenster schauen lassen und von ihren Erfahrungen mit einer gläsernen Produktion berichten.
Sophia Siemes ist Marketingleiterin und stellvertretende Vertriebsleiterin der BioVollkornBäckerei in Münster.
Oekolandbau.de: Können Sie sich und Cibaria kurz vorstellen?
Siemes: Wir sind eine ökologisch-biologische Vollkornbäckerei mit Sitz in Münster und backen täglich ein umfangreiches Sortiment aus Brot, Brötchen, Kuchen und Snacks. Unsere Backwaren vertreiben wir auf den Wochenmärkten der Region, einem Filialgeschäft sowie über ausgewählte Lieferkundinnen und -kunden. Besonderen Fokus legen wir auf Handwerk, Ausbildung, Geschlechtergerechtigkeit und Gemeinwohl-Ökonomie. Aktuell beschäftigen wir 80 Menschen.
Zu mir: Mein Name ist Sophia Siemes und ich arbeite seit 2017 bei Cibaria. Heute bin ich tätig als Marketingleiterin und stellvertretende Vertriebsleiterin.
Oekolandbau.de: Wie ist Ihre gläserne Produktion gestaltet?
Siemes: Wir sind zentral verortet am Münsteraner Stadthafen, und vor unserem Gebäude führt eine viel besuchte Hafenpromenade entlang. Dort haben wir zwei Fenster beziehungsweise Sichtmöglichkeiten für Interessierte geschaffen. Zentral ist das große Trichterfenster, das direkt den Blick von außen auf unseren Konditoreitisch freigibt. Dann gibt es künftig die Möglichkeit, aus unserem Ladenlokal in die Backstube zu schauen: Dort ist eine Wand komplett aus Glas, und Menschen, die bei uns kaufen oder Kuchen essen wähnen sich quasi direkt im Geschehen. Zusehen kann man unseren Kolleginnen und Kollegen also vor allem beim konkreten Backen und Tun.
Oekolandbau.de: Seit wann gibt es Ihre gläserne Produktion und warum haben Sie diese eingeführt?
Siemes: Unsere Bäckerei am Münsteraner Mittelhafen haben wir im Sommer 2020 eröffnet, aber auch vorher haben wir schon regelmäßig und ausführlich Führungen, Backkurse und Vorträge veranstaltet. Unser Ziel ist es, dem Handwerk eine Bühne zu bauen und es sichtbar zu machen. Gerade in einer Uni- und Beamtenstadt wie Münster finden wir es wichtig, hier ein Zeichen zu setzen.
Oekolandbau.de: Wie wird die gläserne Produktion angenommen und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Siemes: Noch sind wir hier begrenzt im Austausch, denn da hat Corona großen Einfluss - Begegnungen und die Öffnung des Gebäudes für Interessierte und Außenstehende ist momentan sehr erschwert beziehungsweise kaum möglich. Wir sehen zwar regelmäßig Menschen, die hineinblicken und vor unserem Gebäude stehen bleiben, um sich ein Bild zu machen. Aber in Sachen Austausch freuen wir uns sehr, wenn wir das Gebäude und auch unser zugehöriges Ladengeschäft endlich eröffnen und zugänglich machen können.
Oekolandbau.de: Welchen Tipp würden Sie Unternehmen geben, die ebenfalls eine gläserne Produktion aufbauen möchten?
Siemes: Die Menschen – sowohl Externe als auch Mitarbeitende – miteinbeziehen, Öffentlichkeit schaffen und Lust auf Kommunikation haben – und dann: einfach ausprobieren!
Josephine Heinze ist Marketingmitarbeiterin und Produktionsmanagerin der Gläsernen Molkerei.
Oekolandbau.de: Können Sie sich und die Gläserne Molkerei kurz vorstellen?
Heinze: Echt Bio. Echt Pur. 100 Prozent Natur.
Als 100 prozentige Bio-Molkerei leben wir Transparenz und lieben unverfälschten Bio-Genuss. Unsere Bio-Bäuerinnen und Bauern halten ihre Kühe artgerecht, mit viel Auslauf und ausschließlich ökologisch erzeugtem Futter. Eine nachhaltige Verarbeitung dieser wertvollen Milch ist uns wichtig. An unseren beiden Standorten in Münchehofe (Brandenburg) und Dechow (Mecklenburg-Vorpommern) verarbeiten wir jährlich circa 100 Millionen Liter Bio-Milch zu hochwertigen Produkten wie Bio-Trinkmilch, Bio-Butter, Bio-Joghurt, Bio-Buttermilch und Bio-Käse. Beste Qualität steht hier immer an oberster Stelle. Weil echt Bio einfach besser schmeckt! Dem Tierwohl verpflichtet ein echtes Genusserlebnis!
Oekolandbau.de: Seit wann gibt es Ihre gläserne Produktion und warum haben Sie diese eingeführt?
Heinze: Der Name Gläserne Molkerei ist bei uns Programm. Bereits bei der Gründung 2001 entstand die Vision, den Weg der Milch vom Bio-Bauernhof bis hin zum Handel aufzuzeigen. Allein über Kommunikation Transparenz zu vermitteln, reichte uns dabei nicht aus. Wir wollen unseren Besucherinnen und Besuchern einen Einblick in unseren Betrieb geben und im direkten Gespräch alle Vorteile von Bio-Milch aufzeigen. 2010 wurde dann das neue Gebäude in Münchehofe inklusive eines Glasgangs errichtet. Zwei Jahre später wurde das nahezu identische Gebäude auch in Dechow erbaut.
Oekolandbau.de: Wie ist Ihre gläserne Produktion gestaltet?
Heinze: Über einen gläsernen Gang haben unsere Gäste die Möglichkeit, innerhalb von Führungen unsere Molkerei in Münchehofe zu besichtigen und alles Wissenswerte über die Herstellung und Produktion von Bio-Milchprodukten zu erfahren. Sie schauen dabei beispielsweise unseren Käserinnen und Käsern über die Schulter und beobachten, wie aus flüssig fest wird. Auch unsere Milchabfüllung kann bestaunt werden. Zum Nachvollziehen liegen ungefaltete Milchverpackungen im Gang, die es gilt, richtig zu falten. Die Wucht eines Butterfasses können die Gäste im letzten Fenster beobachten bevor der Blick in unser Käselager alle zum Staunen bringt.
Oekolandbau.de: Wie wird die gläserne Produktion angenommen und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Heinze: Unsere Gläserne Produktion interessiert Jung und Alt. Die Termine sind sehr begehrt. Es ist schön zu wissen, einen Teil zur Aufklärung beitragen zu können. Insbesondere bei Kindern, sie sind immer besonders fasziniert. So können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus erster Hand kleine Geheimnisse oder Tricks verraten und auch Mythen und Unwahrheiten aufklären. Dabei liegt uns natürlich das Thema Bio besonders am Herzen. Was ist hieran besonders, worauf muss geachtet werden, welche Unterschiede gibt es zum konventionellen Bereich, und was müssen unsere Bio-Landwirtinnen und Landwirte beachten. Viele Fragen – ehrliche Antworten.
Oekolandbau.de: Welchen Tipp würden Sie Unternehmen geben, die ebenfalls eine gläserne Produktion aufbauen möchten?
Heinze: Aufklärung ist sehr wichtig und wie kann man das besser tun, als wenn man direkt im Geschehen steht oder zumindest direkt hineinschauen kann.
Sabrina Urban ist Marketingmitarbeiterin des Nudelherstellers ALB-GOLD.
Oekolandbau.de: Können Sie sich und AlbGold kurz vorstellen?
Urban: ALB-GOLD ist einer der führenden Nudelhersteller in Deutschland mit Sitz in Trochtelfingen auf der Schwäbischen Alb. Neben einer transparenten Herstellung der Teigwaren ist dem familiengeführten Unternehmen der direkte Kundenkontakt sehr wichtig. Im ALB-GOLD Kundenzentrum bietet sich hierfür die beste Gelegenheit – Landmarkt, Restaurant, Naturgarten und die Welt der Nudeln bieten eine ideale Plattform für die Kommunikation mit Endverbraucherinnen und -verbrauchern.
Oekolandbau.de: Wie ist Ihre gläserne Produktion gestaltet?
Urban: Die Besucherinnen und Besucher der gläsernen Produktion bekommen einige Einblicke direkt in die Produktion – aus Hygienegründen teilweise durch Glasscheiben. Da manche Bereiche gar nicht sichtbar sind, werden Details der Produktion über einen informativen Film gezeigt. Zudem gibt es die Nudelwelt, in der mit einer persönlichen Führung die Nudelherstellung sowie die Geschichte des Herstellers genauer beleuchtet wird. Hygienekleidung ist dabei für die Besucherinnen und Besucher Pflicht… und immer wieder ein Grund zur Freude.
Oekolandbau.de: Seit wann gibt es Ihre gläserne Produktion und warum haben Sie diese eingeführt?
Urban: Die Gläserne Produktion gibt es bei uns seit 2002. In diesem Jahr haben wir unser Kundenzentrum eröffnet, und damit auch den Herstellungsbereich für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Der direkte Kontakt zu den Kundinnen und Kunden ist uns wichtig. Dies liegt vermutlich auch daran, dass die Wurzeln des Unternehmens in der Direktvermarktung liegen. Transparenz vom Feld bis auf den Teller schafft Kundenvertrauen und Loyalität.
Oekolandbau.de: Wie wird die gläserne Produktion angenommen und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Urban: Das Kundenzentrum und damit verbunden auch die gläserne Produktion ist stets ein touristischer Anziehungspunkt. Dabei ist die Zielgruppe unterschiedlich: von Seniorenreisen über Gruppenausflüge bis hin zu Schulklassen. Die Besichtigung der Nudelherstellung ist spannend und lässt keine Fragen offen.
Oekolandbau.de: Welchen Tipp würden Sie Unternehmen geben, die ebenfalls eine gläserne Produktion aufbauen möchten?
Urban: Wichtig ist dabei die Zielgruppendefinition. Anhand dieser wird das entsprechende Angebot ausgewählt. Unverzichtbar ist mittlerweile die Digitalisierung sowie Online-Anmeldung und-Buchung. Doch das allerwichtigste ist, dass man keine Fassade für die Besucherin und den Besucher aufbaut, hinter der das Unternehmen nicht zu 100 Prozent steht. Denn nur eine ehrliche und dabei auch authentische Führung schafft Vertrauen und Treue seitens der Kundinnen und Kunden.
AlbGold Teigwaren GmbH – Nudelhersteller in Trochtelfingen auf der Schwäbischen Alb
Walter Bitzer ist Inhaber der Ölmühle Oleofactum.
Oekolandbau.de: Können Sie sich und die Firma oleofactum kurz vorstellen?
Bitzer: Oleofactum ist eine Saat-, Kern- und Nuss-Ölmühle, die eine Renaissance der Ölmüllerei als Handwerk mit der Ursprünglichkeit der Rohstoffe verbindet.
Die Kulturgeschichte der Öle hat sich auf der Basis von Erfahrung zu Wissen verdichtet und ist heute noch als Weisheit in Ritualen verankert. Mit Öl hat Hera Zeus verführt, werden Priester bis heute geweiht, Könige ermächtigt und Kranke gesalbt.
Das Kulturwissen des Ölmüllereihandwerks ist verloren gegangen, ebenso wie die Wissenskultur zum Öl.
Die Wiederentdeckung eines verlorengegangenen Handwerks soll der Firmenname signalisieren: Oleum manu factum - Öl von Hand gemacht, oder in Kurzform:
Oleofactum, Öl und Wissen. Eine Ölmühle für Bio-Speise-Frischöle. Es wird bedarfsorientiert produziert und direkt vermarktet - ohne Tank und Lagerhaltung.
Oekolandbau.de: Wie ist Ihre gläserne Produktion gestaltet?
Bitzer: Der ganze Laden ist Schaufenster. Aber auch Werkstatt. So wie im Orient: Der Orient hat die überdachten Basare. Der Reiz der Basare beruht auf unserer Anteilnahme am Schaffen und Gestalten der Weber, Färber, Gerber, Schuster, Blechschläger, Töpfer, Garköche ... Indem wir zuschauen, begreifen und lernen wir. Hierin liegt die letzte Ursache, weshalb der Orient - wie einst die Antike - in keinem Gewerbe jemals den Stil verlor. Das Schaufenster zollt dem Primat der Öffentlichkeit Respekt. Eine unverstellte Öffentlichkeit bietet die gläserne Produktion. Sie ist kompromissloses Werkzeug höchster Qualitätssicherung.
Oekolandbau.de: Seit wann gibt es Ihre gläserne Produktion und warum haben Sie diese eingeführt?
Bitzer: Eine Gläserne Produktion ist höchste Qualitätssicherung. Denn die Kontrolle durch die beobachtende Teilnahme der Öffentlichkeit erzeugt erst informierte und darauf fußend dann kritische Öffentlichkeit. Mit diesem Motiv habe ich das Oleofactum vor 14 Jahren als Gläsernen Produktionsladen gegründet. Es war mir wichtig, Öl als Kulturgut sichtbar zu machen und einen Ort zu schaffen, in dem das Erkunden für die Kundinnen und Kunden eine Grundlage bietet, in der Selbstbestimmung und Autonomie wachsen. Unsere Ernährungskultur leidet an Desinformation. Hier macht sich der Verlust an Autonomie auch als Verlust körperlicher und seelischer Unversehrtheit bemerkbar. Wissen ist Bewusstsein.
Oekolandbau.de: Wie wird die gläserne Produktion angenommen und welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?
Bitzer: Das Oleofactum wird seinem Selbstverständnis entsprechend als Kulturträger wahrgenommen. Die gläserne Produktion ist das zentrale Vehikel mit begeisterten und treuen Oleofactum-Kunden. Die vielen kulturellen Veranstaltungen im Oleofactum sind immer sehr gut besucht. Vorträge mit Verkostungen "Die Welt der Öle", Konzerte, Jazz, Autorenlesungen, Kleinkunst im Werkstattmilieu sind ein Barometer für Verdrossenheit eines beachtlichen Teils der kritischen Verbraucherinnen und Verbraucher, die das Oleofactum als gläserne Produktion mit "allen Sinnen" schätzen. Die Angebote führen diese Kundinnen und Kunden geradewegs zu uns. Es sind Mitstreitende und Mitdenkende, die hier Fragen stellen: Wer bestimmt was wir über Essen wissen dürfen? Wie wird die Politik durch die Industrie-Lobby beeinflusst und vereinnahmt? Und wie arbeiten Behörden? Wer macht was?
Oekolandbau.de: Welchen Tipp würden Sie Unternehmen geben, die ebenfalls eine gläserne Produktion aufbauen möchten?
Bitzer: Eine gläserne Produktion kann man inszenieren. Sie kann aber nur erfolgreich sein und bleiben, wenn sie authentisch ist, die handelnden Personen als Überzeugungstäter immer sichtbar und konkret das Produkt repräsentieren sowie Phantasien und Visionen Zukunft gestalten. Bewusstsein lässt sich nicht in Algorithmen fassen.
Wie Walter Blitzer sagt, ist die Information von Kundinnen und Kunden eine Form der Qualitätssicherung für das Unternehmen. Informationen verleihen der Öffentlichkeit Wissen und ermöglichen kritisches Denken. Die hier aufgezeigten Konzepte zeigen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, eine gläserne Produktion aufzubauen: Sichtfenster in die Produktionsräume, gläserne Gänge mit Betriebsführung oder offene Produktionsräume, in denen Interessierte empfangen und gleichzeitig informiert werden können. In einem sind sich die Verantwortlichen einig: Eine gläserne Produktion muss ernst gemeint und authentisch sein. Wer Lust hat, sich der interessierten, aber auch kritischen Öffentlichkeit zu öffnen, wird viele spannende Momente erleben und eine ganz neue Möglichkeit finden, um die Beziehung zu Kundinnen und Kunden zu vertiefen.
Letzte Aktualisierung 24.03.2021