- Beispiel 1: Ein Handelsunternehmen bezieht regelmäßig Ware von einem Bio-Verarbeiter. Die Bezahlung der Ware erfolgt wiederholt nicht fristgerecht. Der Verarbeiter verlangt vom Händler für zukünftige Zahlungen die Einhaltung der Fristen. Daraufhin droht der Händler mit einer Auslistung der Produkte. Gegen dieses Vorgehen kann das Verarbeitungsunternehmen Beschwerde einlegen.
- Beispiel 2: Ein Handelsunternehmen verlangt kurzfristig komplette Rückstandsfreiheit, wenn vorher immer die Grenzwerte nach BNN-Richtlinien anerkannt waren. Solche Vertragsänderungen dürfen zukünftig nur noch in gegenseitigem Einvernehmen vorgenommen werden.
- Beispiel 3: Die Handelsunternehmen fordern günstigere Einkaufspreise, wenn sie Rabatt- oder Verkaufsaktionen im Laden anbieten. Das ist in Zukunft nur zulässig, wenn beide Unternehmen zustimmen. Bisher hatten Verarbeitungsunternehmen nur wenig Optionen diesen Praktiken etwas entgegen zu setzen, ohne die Geschäftsbeziehung zu schädigen und wirtschaftliche Folgen in Kauf nehmen zu müssen.
Option zur Beschwerde
Jeder EU-Mitgliedsstaat muss zukünftig eine Behörde einrichten oder benennen, welche die Durchsetzung der Richtlinie überwacht. Unternehmen, die von einer der oben genannten unlauteren Handelspraktiken betroffen sind, können bei dieser Behörde Beschwerde einreichen. Bei Handelsbeziehungen innerhalb der EU kann die Beschwerde an die Behörde im Land des Lieferanten oder im Land der des Käufers gerichtet werden. An welche Behörde sich ein Unternehmen wendet, kann es selbst entscheiden. Ideal ist immer die Behörde, welche für das unlauter handelnde Unternehmen zuständig ist. Um Sprachbarrieren zu umgehen, ist aber auch eine Beschwerde an die nationale Behörde möglich.
Als Beispiel: Wenn ein deutsches Unternehmen von einem französischen Unternehmen unfair behandelt wird, kann es die Beschwerde bei der französischen Behörde direkt einreichen oder, falls die Französischkenntnisse nicht so gut sind, auch bei der deutschen Behörde. Diese leitet die Beschwerde dann weiter. Weiterhin sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor, dass auch Erzeuger- oder andere Lieferantenorganisationen, sowie nationale oder europäische Dachverbände, Beschwerde einreichen dürfen.
Deutschland geht über EU-Mindestvorgabe hinaus
Die Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist seit Mai 2019 in Kraft. In Deutschland ist die sogenannte "UTP-Richtlinie" durch das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz (AgrarOLkG) umgesetzt worden, das am 9. Juni 2021 in Kraft getreten ist. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geht die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland bei einigen Punkten über den EU-weiten Mindeststandard hinaus. So verbietet das AgrarOLkG drei weitere Praktiken, die laut UTP-Richtlinie als Teil der grauen Liste bei vorangehender klarer und eindeutiger Vereinbarung zulässig wären:
1. Rückgabe unverkaufter Ware ohne Zahlung des Kaufpreises
2. Abwälzung von Listungskosten für markteingeführte Produkte
3. Abwälzung von Lagerkosten auf den Lieferanten
Während in der EU-weiten Richtlinie Lieferanten mit einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro geschützt sind, werden in Deutschland für bestimmte Sektoren befristet bis zum 1. Mai 2025 Lieferanten bis zu einem Jahresumsatz von höchstens vier Milliarden Euro in den Schutz einbezogen. So werden auch größere, beispielsweise erzeugergetragene Unternehmen aus dem Milch- und Fleischbereich sowie aus dem Obst-, Gemüse- und Gartenbaubereich geschützt.