Regionalität oder Spezialisierung?

Kleinteilig regional oder spezialisiert in großen Mengen?

Verbraucherinnen und Verbraucher wollen – folgt man Umfragen – am liebsten regionale Bio-Produkte. Aber welche Herausforderungen haben Bio-Unternehmen bei der Verarbeitung zu meistern? Insbesondere für zusammengesetzte Produkte mit vielen verschiedenen Zutaten, tun sich Verarbeitungsunternehmen schwer damit, den erforderlichen Mindestanteil an einzelnen Zutaten kontinuierlich aus der Region zu beschaffen. Wie kann dies dennoch gelingen und welche Produkte eignen sich für die Auslobung von Regionalität?

Liegen Rohstoffe nicht in ausreichender Menge und Qualität vor, können Einkäufe in auf den Anbau bestimmter Rohstoffe spezialisierten Regionen sinnvoll sein. Das gilt auch, wenn der eventuelle Mehraufwand für eine regionale, oft kleinteilige Beschaffung nicht im Verkauf honoriert wird. Dennoch wurden in den vergangenen Jahren viele erfolgreiche Regionalprojekte ins Leben gerufen. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist eine gelungene Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette, besonders die Ansprache der Kundinnen und Kunden. Kann man die Produkte in Deutschland oder einer bestimmten Region kaufen, sollten Verarbeiterinnen und Verarbeiter sowie Händlerinnen und Händler das unbedingt herausstellen. Der Begriff Region ist allerdings nicht klar definiert und reicht in den Augen der Verbraucherinnen und Verbraucher von "aus meinem Ort" bis "Deutschland". Manche definieren Regionalität auch als den Großraum um ihre Stadt, für andere ist es ihr Bundesland.

Das Bayerische Bio-Siegel ist ein gutes Beispiel, wie Kommunikation und Vermarktung regionaler Produkte funktionieren kann. Verarbeitungsunternehmen mit Sitz in Bayern können ihre Produkte mit dem Bayerischen Bio-Siegel auszeichnen, wenn sie die Qualitätskriterien dafür erfüllen. Dazu gehört, dass Lebensmittel aus einer Zutat vollständig aus Bayern stammen müssen. Für Fleisch- und Wurstwaren ist ausschlaggebend, dass die Tiere in Bayern geboren und gehalten wurden. Bei verarbeiteten Produkten müssen alle pflanzlichen Zutaten ihren Ursprung in Bayern haben, sofern sie dort in marktrelevanter Menge produzierbar sind. Höchstens ein Drittel des Produktes darf von anderswo herkommen. Mittlerweile nutzen 1.200 Landwirtinnen und Landwirte das Bayerische Bio-Siegel, etwa 1.300 Produkte tragen es. Rund 170 Handels- und Verarbeitungsunternehmen sind bisher registriert. Das bayerische Bio-Siegel lässt sich auch mit anderen Herkunftskennzeichnungen kombinieren, etwa mit der Flagge eines anderen Bundeslandes oder auch der deutschen Flagge. De Facto wird es bislang aber nur in Bayern verwendet.

Rohstoffbeschaffung ist Knackpunkt

Der Aufwand für das Führen eines Regionalsiegels ist für manche Verarbeiterinnen und Verarbeiter hoch. Denn es verlangt eine getrennte Lagerhaltung für regionale und nicht-regionale Produkte, und das in allen Qualitätsstufen. Gerade wenn es auf gleichbleibende Qualitäten ankommt, ist es nicht immer einfach, ausreichend Ware zum richtigen Zeitpunkt vorrätig zu haben. Zum Beispiel benötigen Bäckereien bestimmte Auszugmehle in gleichbleibender Qualität von den Mühlen. Die wiederum sortieren das Getreide und die Mehle nach Qualitäten, weniger nach Herkünften. Daher ist es nicht immer möglich, die bayerische Herkunft zu garantieren. Wer andere Herkünfte verwendet, druckt dann meist keine neuen Etiketten. In der Folge erhalten diese Produkte nicht das bayerische Bio-Siegel.

Nach Auskunft von Lizenznehmern ist es bei Monoprodukten wie Kartoffeln, Möhren oder Äpfeln problemlos möglich, die Qualitätskriterien zu erfüllen. Das trifft auch zu bei Milchprodukten wie Trinkmilch und Käse. Bei Fruchtjoghurt, der aus mehreren Zutaten besteht, wird es schon schwieriger.

Manche Zutaten wie Zucker oder Nüsse werden besonders häufig aus dem Ausland zugekauft, obwohl sie hier produziert werden können. Sie verhindern dann die regionale Auslobung von Müslis, Süßwaren und Co. Insbesondere die Rübenzuckerproduktion ist in Deutschland und in der Schweiz in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut worden, um regionalen Zucker als Lebensmittelzutat einsetzen und ausloben zu können.

Spezialisierung sinnvoller als Regionalität?

In einigen Fällen bietet es sich an, bestimmte Produkte in spezialisierten Regionen zu produzieren und deutschlandweit zu verkaufen. Bestes Beispiel dafür sind Kartoffeln. Sie wachsen prinzipiell überall in Deutschland. Im Erwerbsanbau gibt es aber eindeutige Schwerpunkte in Ostniedersachsen und Bayern, sowie für Frühkartoffeln in der Pfalz. Zum einen sind Klima und Böden dort besonders für den Anbau geeignet. Zum anderen existieren dort große Pack- und Sortieranlagen, die geringere Stückkosten hervorrufen als kleinere Anlagen. Um die großen Anlagen auszunutzen, müssen die Abpackbetriebe in andere bevölkerungsreiche größere Regionen verkaufen. Vorteil der Konzentration eines Betriebszweiges (Agglomeration) kann auch sein, dass besonders viele Spezialisten vor Ort sind.

Ein anderes Beispiel ist der ökologische Anbau von Fruchtgemüse in Deutschland. Wenn Tomaten, Gurken oder Paprika aus der Region stammen sollen, bedeutet das eine große Investition in Gewächshäuser. Auch hier fallen die Stückkosten bei großen Anlagen kleiner aus, das Vermarkten muss dann aber in größere Regionen erfolgen. Die höheren Kosten für den deutschlandweiten Transport werden durch die geringeren Energiekosten bei der Produktion wieder aufgehoben.

Auch die Milchviehhaltung und -verarbeitung im Allgäu ist ein gelungenes Beispiel für eine Spezialisierung. Als Grünlandregion ist das Allgäu geradezu prädestiniert für die Milchviehhaltung. Darum haben sich hier auch zahlreiche unterschiedlich große Molkereien und Käsereien gebildet. Die Allgäuer Käsespezialitäten werden in ganz Deutschland und in die Nachbarländer verkauft.

Wichtig ist, wie bei allem, die Kennzeichnung. Um sein Fleischsortiment mit Bio-Geflügel zu bereichern, hat etwa das deutsche Handelsunternehmen tegut versucht, in seinem Einzugsgebiet Hessen / Thüringen / Nordbayern Bio-Geflügelhalterinnen und -halter zu finden. Da dort traditionell aber nur wenig Bio-Geflügel gehalten wird und auch wegen der begrenzten Schlachtmöglichkeiten, hat der Mutterkonzern Migros bestehende Betriebe und Verarbeitungsmöglichkeiten in der Bodenseeregion dafür ausgebaut. Auf den tegut Bio-Geflügelprodukten steht daher statt aus der Region "vom Bodensee".

Fazit: Benennen der Herkunftsregion wichtig

Wichtiger als die Aufschrift "regional" oder "aus der Region" ist eine eindeutige Benennung der Herkunftsregion oder des Herkunftslandes. Das überzeugt zum Beispiel auch im Fall von Parmaschinken oder Schweizer Käse die Kundschaft. Es ist auch möglich, die Herkunft der wertgebenden Inhaltsstoffe bei zusammengesetzten Produkten auf dem Etikett zu benennen. Die Schweizer Coop beispielsweise löst das bei Fruchtjoghurt so: Vollmilchjoghurt (Herkunft Schweiz), Erdbeerpüree (Herkunft Serbien), Rohrohrzucker (Herkunft Brasilien). Auch das setzt eine kontinuierliche Belieferung aus den entsprechenden Herkunftsländern voraus.

Ein Verarbeitungsunternehmen muss nun entscheiden: Zieht es zusammen mit Landwirtinnen und Landwirten und dem Handel eine Regionalvermarktung auf, mit der entsprechenden Kennzeichnung und verbindlichen Verträgen in der Region? Oder vergrößert es die Kapazitäten, wird Spezialist und wird dann so groß, dass eine regionale Vermarktung nicht mehr ausreicht? Oder wird Deutschland als Region definiert?

In der Praxis fahren viele Unternehmen zweigleisig: Sie produzieren auf der einen Seite für größere Abnehmer, gern auch für Handelsmarken des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), und verkaufen auf der anderen Seite ihre eigenen Markenartikel. Werden die Marke oder bestimmte als regional gekennzeichnete Produkte mit der regionalen Herkunft beworben, fließen die regionalen Rohstoffe dorthin. Das setzt wiederum eine getrennte Lagerhaltungen voraus. Das dürfte, je nachdem wie streng die Vorgaben für Regionalsiegel sind, für viele Unternehmen - zumindest vorläufig – die interessanteste Lösung sein.


Letzte Aktualisierung 31.03.2022

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