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EU-Gentechnikrecht: Kommentare aus der Bio-Branche zur NGT-Abstimmung

Am 14. März 2025 hat der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV/COREPER) in Brüssel über den Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft zur Reform des EU-Gentechnikrechts und damit zum Umgang mit neuen Pflanzenzüchtungstechniken (neue genomischen Techniken – NGT) abgestimmt. Polen gelang es, die erwünschte Mehrheit zu erzielen. Bei der Abstimmung handelt es sich zwar noch nicht um die finale Ratsposition, sie gilt aber als zuverlässiger Gradmesser für das Abstimmungsverhalten der Mitgliedsstaaten. Aus der Bio-Branche kamen kritischen Stimmen.

Verschiedene Gemüsekulturen auf einem Stückchen Acker. Klick führt zu Großansicht.

Foto: Jutta Schneider-Rapp

Ein Kommentar von Carolin Pagel, Gentechnik-Expertin bei Bioland:  

"Die heutige Abstimmung des AStV ist mehr als ernüchternd, denn der Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft lässt essenzielle Fragen unbeantwortet. Diesen Entwurf jetzt im Eilverfahren noch während der Ratspräsidentschaft durchzudrücken wäre grob fahrlässig. Ohne Nachbesserungen wird die Deregulierung der neuen Gentechnik die europäische Landwirtschaft langfristig destabilisieren – zum Nachteil aller.  

Daher appellieren wir an Rat und Parlament, den noch offenen Fragen nachzugehen. Wie erhalten wir das Züchterprivileg? Wie soll eine faire Koexistenz zwischen konventionellen, gentechnikfreien und Bio-Betrieben gewährleistet werden? Was passiert im Falle von möglichen Verunreinigungen und wer haftet dafür? Wie bleibt die Kennzeichnung für Verbraucherinnen und Verbraucher und damit selbstbestimmte Ernährung sichergestellt? Auch wenn die heutige Abstimmung ein Dämpfer war, werden wir uns auch weiterhin auf allen Ebenen für eine praktikable Lösung für alle Betroffenen einsetzen."  

Statement von Jörg Hütter, politischer Sprecher von Demeter:

"Der Ministerrat der Europäischen Union hat heute dem Entwurf zur Deregulierung neuer Gentechniken zugestimmt. Mit dieser Entscheidung wendet sich Europa immer weiter von seinen Grundprinzipien der Vorsorge und der Lebensmittelsicherheit ab.  

Diese Entscheidung gefährdet nicht nur die Umwelt und die Landwirtschaft, sondern auch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit ihrer Nahrungsmittel. Jetzt sind die Trilog-Verhandlungen entscheidend. Das Europäische Parlament muss sicherstellen, dass eine verpflichtende Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Produkte eingeführt wird – vom Saatgut bis zum Endprodukt. Auch das Verbot neuer Gentechniken im Öko-Landbau muss unbedingt erhalten bleiben.  

Der aktuelle Vorschlag zur künftigen Regulierung neuer Gentechniken (NGT) hat langfristige und unumkehrbare Folgen für unsere Landwirtschaft und alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union: So ist die Patentfrage nach wie vor nicht gelöst: Wenn künftig nur wenige Großkonzerne Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen besitzen, läge die Kontrolle über unsere Nahrungsmittelversorgung ganz in ihrer Hand – und das darf nicht passieren. 

Es bleibt zudem völlig offen, wie eine gerechte und praktikable Koexistenz zwischen konventioneller Landwirtschaft mit Gentechnik und gentechnikfreien Anbaumethoden gewährleistet werden kann. Damit Bio-Produkte und gentechnikfreie Erzeugnisse tatsächlich frei von genetischer Verunreinigung bleiben, sind klare Regeln und Schutzmaßnahmen unerlässlich. Ebenso bedarf es einer eindeutigen Regelung der Haftungsfrage: Wer trägt die Verantwortung, wenn es zu unbeabsichtigten Kontaminationen kommt? 

Noch hat Europa die Wahl, wie es mit dieser richtungsweisenden Entscheidung umgeht. Demeter appelliert an das EU-Parlament, das Vorsorgeprinzip in den nun anstehenden Trilog-Verhandlungen zu schützen und darauf zu beharren, dass Innovation in Europa risikogeprüft und Gentechnik gekennzeichnet sein muss." 

Tamira Zöller, Referentin für Agrarpolitik von Biokreis e.V., betont: 

"Die aktuelle Abstimmung signalisiert einen besorgniserregenden Richtungswechsel in der europäischen Agrarpolitik. Es kann nicht sein, dass grundlegende Fragen wie das Züchterprivileg, die Haftungsregelungen bei Kontaminationen und die Kennzeichnungspflicht derart offen gelassen werden. Unsere Bio-Landwirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa verdienen klare, transparente Regelungen, die den Vorsorgegedanken und die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen."

Biokreis e.V. fordert daher, dass in den anstehenden Trilog-Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat diese kritischen Punkte zwingend adressiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die zukünftige Regulierung neuer Gentechniken nicht zu einer Destabilisierung der europäischen Landwirtschaft führt – zum Schutz der Umwelt, der Biodiversität und der Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher. 

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat sich ebenfalls geäußert. Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Spitzenverbands bekräftigt:

"Heute ist ein schwarzer Tag für die Wachstumsbranche Bio. Die mehrheitliche Entscheidung der EU-Staaten droht die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in große Bedrängnis zu bringen. Deshalb ist dies auch ein finsterer Tag für die Artenvielfalt, für saubere Luft, Gewässer, fruchtbare Böden in Europa sowie für den Klimaschutz.

Denn: Neue Gentechniken (NGT) sind in ökologischen Produkten weiterhin verboten, das ist gut so und wird zu Recht von Verbraucherinnen und Verbrauchern erwartet! Doch wie soll das in der Praxis umgesetzt werden? Weder die Frage der Haftung bei unbeabsichtigter Kontamination mit NGT, noch Vorschriften für eine echte Koexistenz des Anbaus mit und ohne neuer Gentechnik sind bisher geklärt – ganz abgesehen von der Patentierung von Saatgut und Pflanzen.  

Wir erwarten von der EU und der neuen Regierung in Berlin Lösungen dafür, dass Bäuerinnen und Bauern, Verarbeiterinnen und Verarbeiter sowie Händlerinnen und Händler weiter gentechnikfrei wirtschaften können – ohne zusätzlichen Aufwand und Kosten. Die Politik muss die Haftungsfrage lückenlos klären, bevor die ersten gentechnisch veränderten Pflanzen auf dem Acker stehen."

Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, betont, dass es wichtig sei, funktionerende Märkte zu erhalten und zu fördern. Er erklärt dazu:

"Der Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen betrifft und berührt die Menschen. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen selbstbestimmt entscheiden können, was sie essen; Landwirtinnen und Landwirte sowie Unternehmen der Lebensmittelindustrie wirtschaften schon lange erfolgreich gentechnikfrei. Dass dies auch in Zukunft möglich bleibt, dafür habe ich mich als Landwirtschaftsminister immer eingesetzt. Deutschland hat daher dem Vorschlag der polnischen Ratspräsidentschaft nicht zugestimmt.

Wir brauchen ausgewogene und für eine breite Mehrheit tragbare Lösungen. Dies betrifft die Punkte Koexistenz, Transparenz und Wahlfreiheit. Zudem muss die Frage der Patentierbarkeit gelöst werden. Es darf keine Patente durch die Hintertür geben, denn Patente auf Saatgut blockieren Innovationen und sorgen für Abhängigkeiten. In all diesen Punkten reicht der aktuelle Vorschlag nicht aus und muss im anstehenden Trilog nachgebessert werden.

Gentechnikfreie Lebensmittel haben sich zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig in Deutschland und Europa entwickelt. Dieser Markt umfasst sowohl den Bio- als auch den konventionellen Sektor und generiert Milliardenumsätze. Deutschland zeichnet sich zudem durch eine Vielzahl leistungsfähiger mittelständischer Züchtungsunternehmen aus. Es ist die Aufgabe der Politik, diese etablierten Märkte zu erhalten und zu fördern, anstatt sie zu gefährden. Wer gentechnikfrei wirtschaften will, muss dies auch in Zukunft tun können. Wir brauchen echte Wahlfreiheit für alle – vom Feld bis zum Supermarktregal. Ich weiß dabei viele Verbände hinter mir, sowohl aus der Landwirtschaft wie aus der Lebensmittelwirtschaft."

Quelle: Pressemitteilungen Bioland, BÖLW, BMEL, Demeter, Biokreis

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