Nudging für mehr Bio auf dem Teller

Nudging für mehr Bio auf dem Teller

Wer seine Tischgäste für eine nachhaltige Ernährung gewinnen möchte, steht oft vor einem Dilemma: Auf Zwang reagieren viele Menschen allergisch und Information allein führt oftmals nicht zu dem gewünschten Effekt. Erfolg verspricht, hier mit sanften Anstupsern ("Nudges") die Entscheidung für gesunde und nachhaltige Lebensmittel positiv zu beeinflussen. Dazu gibt es inzwischen immer mehr Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis.

Ob in der Betriebsgastronomie, in Schul- oder Hochschulmensen oder anderen Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung: Häufig stellen sich Verantwortliche vor Ort die Frage, wie sie ihren Gästen eine gesunde und nachhaltige Form der Ernährung schmackhaft machen können. Welche Möglichkeiten gibt es, deren Entscheidungsfindung bei der Essensauswahl zu beeinflussen? Alle Interventionen, die den Eindruck von "Zwang" oder "Bevormundung“ wecken, rufen regelmäßig Widerstände hervor. Der "Veggie-Day" lässt grüßen und auch das schweizerische Bundesamt für Umwelt (BAFU) musste im Frühjahr 2019 eine ähnliche Erfahrung machen. Die eidgenössische Behörde empfiehlt in einem Merkblatt zur genussvollen und umweltfreundlichen Verpflegung beispielsweise, bei Buffets "saisonale, regionale Früchte und Gemüse mit Bio-Label" sowie "mindestens 2/3 vegetarische Produkte" einzusetzen. Der Sturm der Entrüstung war programmiert: "Nachhaltige Verpflegung: Haben wir keine anderen Probleme?" oder "Auch das noch: Jetzt erklärt der Bund, wie Sie Ihren Apéro gestalten sollen" titelten schweizerische Medien und einzelne Nationalräte wetterten gegen eine solche "Bevormundung". 

Stupsen statt aufklären

Aber auch der andere Weg, nicht mit Zwang sondern durch Aufklärung und Information an die Vernunft zu appellieren, zeigt in der Praxis meist nicht die erwünschte Wirkung. Wir nennen uns zwar selbst "Homo sapiens" ("verstehender, kluger Mensch") – aber unsere Weisheit setzen wir offenbar bei alltäglichen Entscheidungen nur sparsam ein. Denn wenn wir unsere kognitiven Kapazitäten nutzen, kostet das Anstrengung und Zeit. Häufig entscheiden wir deshalb ganz oder zum großen Anteil mit unserem zweiten, automatisierten und unbewussten System, das eher intuitiv und nach gewohnheitsmäßiger Routine funktioniert. Hier setzt eine in letzter Zeit viel diskutierte Form der zwanglosen Intervention an: das Nudging. Kleine Anstupser (englisch "nudges") sollen dabei helfen, das automatisierte System der Entscheidungsfindung anzusprechen und so unser Verhalten sanft in eine bestimmte Richtung zu lenken. 

Mit Nudging zwanglos intervenieren

Bei dieser Methode bleibt grundsätzlich die Wahlmöglichkeit erhalten, aber durch die Präsentation und Zugänglichkeiten der Speisen bei der Ausgabe, werden die Gäste in eine bestimmte Richtung beeinflusst. "Ich halte Nudging für einen sinnvollen Ansatz, um in der Gemeinschaftsverpflegung auch die Wahl von ökologisch erzeugen Lebensmitteln bei den Essensgästen zu fördern", so Professorin Gertrud Winkler. Die Studiendekanin an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen hat in verschiedenen Projekten die Wirksamkeit von Nudging-Interventionen untersucht und kennt den Stand der Forschung zu diesem Thema. "Erste Metastudien zeigen", so die Wissenschaftlerin, "dass durch Nudging-Interventionen Verhaltensänderungen von bis zu 15 Prozent möglich sind".

Empfehlungen für Nudges

"Bereits kleine Nudging-Maßnahmen haben eine große Wirkung", versichert auch die Nudging-Expertin Agnes Streber, Leiterin des Ernährungsinstituts Kinderleicht in München. "Für Kantinen und Mensen ist dies besonders attraktiv, da die Umsetzung solcher Maßnahmen sehr kostengünstig und einfach sein kann."

Aus Erfahrungen lassen sich folgende Empfehlungen für Nudges ableiten:

  • Platzieren Sie das vegetarische bzw. Biogericht an erster Stelle im Speiseplan bzw. räumlich an der ersten Ausgabestelle.
  • Animieren Sie die Gäste mit leicht zugänglichen "Häppchen" einmal etwas Neues auszuprobieren.
  • Präsentieren Sie einen Warenkorb zu den Gemüsesorten, die im Gericht des Tages verarbeitet wurden.
  • Zeigen Sie mit einem gut sichtbaren Musterteller im Eingangsbereich, welches Gericht sie besonders hervorheben möchten.
  • Verwenden Sie attraktives Geschirr für Salate oder Obst in Bioqualität.
  • Bieten Sie Bio-Obst an mehreren Stellen und mit unterschiedlichen Darreichungsformen an, zum Beispiel als Obstsalat, als Stückobst, in einer to-go-Variante etc.
  • Weisen Sie optisch attraktiv auf das Bio-Angebot hin, beispielsweise durch Hinweisschilder mit dem Bio-Siegel, grüne Tabletts, farbliche Codierung etc.

Nicht immer die gleiche Wirksamkeit

"Allerdings sind solche erwünschten Effekte im Hinblick auf die Auswahl nachhaltiger Gerichte nicht immer eindeutig und garantiert", dämpft Professorin Dr. Nina Langen von der TU Berlin vorschnelle Erwartungen. Als Leiterin des Teilprojekts "Gästeansprache" im Verbundprojekt NAHGAST hat sie mit ihrem Team die Wirksamkeit von identischen Nudging-Maßnahmen in den Küchen fünf verschiedener Praxispartner unter die Lupe genommen. Dabei zeigt sich: "Eine Intervention, die in einem Fall zu einem gewünschten Effekt führt, kann in einem anderen Setting nicht diese Wirkung aufweisen." So hat das Labelling bestimmter Speisen nicht klar zu den erwünschen Effekten geführt und auch die Wirksamkeit von Hintergrund-Informationen an der Theke bzw. Essensausgabe muss mit einem Fragezeichen versehen werden. "Manche Informationen können auch negative Effekte haben: So beispielsweise der Hinweis, dass eine zu große Vielfalt und Verfügbarkeit an Speisen zu Lebensmittelverschwendung führen, oder dass Gäste aus anderen Alternativen wählen können, wenn ein Gericht nicht mehr vorhanden ist."

Ausgabeposition hat stärksten Effekt

Die höchste Treffsicherheit haben nach den Erfahrungen aus dem NAHGAST-Projekt offenbar Änderungen der Ausgabeposition. Wenn ein nachhaltiges Gericht an der Stelle platziert wird, wo üblicherweise die Verkaufszahlen am höchsten sind, hat dies tendenziell auch einen positiven Effekt auf die Wahl dieses Gerichts. Die Studienergebnisse aus zwei Betriebskantinen illustrieren die Dimension: 

Verkaufsanteile der nachhaltigen Gerichte vor und nach der optimierten Platzierung in zwei Betriebskantinen:

Verkaufsanteil vorherVerkaufsanteil nachherProzentuale Steigerung
Betriebskantine 111,8 %15,1 %Ca. 28 %
Betriebskantine 229,1 %31,8 %Über 9 %

Quelle: www.nahgast.de

Maßnahmen an eigene Situation anpassen

Auch wenn bisher noch keine Nudging-Interventionen gefunden wurden, die in jedem Setting stets zum gewünschten Effekt führen, so zeigt sich doch: Nudging ist eine sanfte Möglichkeit, um die Tischgäste einer AHV bei der Auswahl des Essens zu beeinflussen. Dafür spricht zudem, dass es sich zu jedem Zeitpunkt des Wahl- und Verzehrverhaltens in der AHV flexibel einsetzen lässt und den Einrichtungen wenig Geld und Zeit kostet. Um die erwünschte Wirksamkeit zu erreichen, müssen die Interventionen jedoch gut auf die jeweilige Situation der Gäste und Küche abgestimmt werden. "Das reale Leben ist oft komplizierter als viele Studien glauben machen wollen", so Professor Nina Langen. Das Nugding, so das Fazit, stellt für viele Küchen der AHV eine interessante Möglichkeit dar, wenn sie bestimmte Maßnahmen nicht einfach nur kopieren sondern sie auf den eigenen Betrieb anpassen. Hier sind, neben Erkenntnissen aus der Wissenschaft, auch die Erfahrungen aus der Praxis gefragt.


Letzte Aktualisierung 09.06.2023

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