Mehr Gleichberechtigung im Öko-Landbau?

Mehr Gleichberechtigung im Öko-Landbau?

Viel Arbeit, aber wenig Macht und Eigentum: Nur elf Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe werden von Frauen geleitet. Bei der vorgesehenen Hofnachfolge liegt der Frauenanteil bei rund 18 Prozent. Zum Weltfrauentag haben wir uns in der Bio-Branche umgehört, ob es dort mit der Geschlechtergerechtigkeit besser aussieht. Sechs Frauen berichten von ihren Erfahrungen.

Die Landwirtin: "Frauen traut euch was"

"Viele Frauen arbeiten in der Landwirtschaft und übernehmen wichtige Arbeitsbereiche. Trotzdem sind sie meistens 'angestellte Familienangehörige'; der Hof gehört dem Mann. In der Bio-Branche gibt es zwar Betriebsleiterinnen, aber es sind deutlich weniger. Denn meistes heiraten Frauen in die Landwirtschaft ein. Sie haben den Beruf nicht gelernt. In Berufsschulklassen sitzen immer noch vor allem Jungs. Frauen auf großen Treckern sind nach wie vor eine Seltenheit. Sie sind eher im Büro, bei den Kälbern oder im Hofladen. Die Betreuung der eigenen Kinder liegt auch in der Bio-Landwirtschaft überwiegend bei den Frauen. Der Mann nimmt das Kind vielleicht mal drei Stunden zum Pflügen mit. 

Ich glaube, viele Frauen lassen sich zu schnell einschüchtern. Der Mann saß das erste Mal mit fünf Jahren auf dem Trecker, natürlich kann er das dann 'besser' als die Frau, die sich erst seit zwei Jahren auf den Fendt schwingt. Aber Übung macht die Meisterin. Muskeln kann man trainieren und 'Erfahrungen sammeln' passiert von ganz allein. Daher lautet meine Botschaft: Frauen traut euch was!"

Die Metzgermeisterin: "Bio-Branche ist offener für Frauen"

"Ich habe in der Bio-Branche gute Erfahrungen gemacht. Hier geht es sozialer und offener zu als in der eher konservativen konventionellen Landwirtschaft. Das betrifft auch unsere Lieferanten. Als Betriebsleiterin besuche ich oft Höfe. Dass ich eine Frau bin, spielt keine Rolle. Keiner unserer Landwirte hat mich je gefragt 'Können Sie das überhaupt?'. Das kenne ich eher von Begegnungen mit Nicht-Bio-Leuten. Da kommen dann Sprüche wie 'Wo ist denn der Mann?'. Oder: 'Kommt Ihr Bruder auch noch?'

Insgesamt würde ich mir wünschen, dass unsere Gesellschaft weniger klassifiziert nach Mann und Frau, sondern alle gleich bewertet und bezahlt. In unserer Metzgerei mit 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern versuchen wir das umzusetzen. Einer unserer Metzger ist kürzlich in Elternzeit gegangen. Als Arbeitgeberin unterstütze ich das. Allerdings sind die Rollen auch in unserem Betrieb noch klar verteilt: In der Metzgerei arbeiten außer mir alles Männer und im Verkauf nur Frauen. Da ist es wohl doch noch ein langer Prozess bis zur Gleichberechtigung."

Die Verbandschefin: "Das Geschlecht sollte zukünftig keine Rolle mehr spielen"

"Vor mehr als 40 Jahren sind die Ökos der ersten Stunde angetreten, um eine lebenswerte Zukunft für alle zu schaffen. Die Quellen dieser Gründungsszene waren vielfältig: Friedensbewegung, Ökos, Feministinnen, Kapitalismuskritikerinnen und -kritiker, Idealistinnen und Idealisten. Dabei war die Gleichberechtigung von Frauen ein steter Anspruch der Branche an sich selbst. Ich wage zu behaupten, dass dieser Anspruch hier eher umgesetzt wurde (und wird) als anderswo. 

In der Bio-Branche begegne ich vielen Frauen in Führung: im Vorstand unseres Verbandes und an der Spitze anderer Verbände. Und ich sehe Frauen, die sich für die Unternehmensnachfolge bereit machen oder ein Unternehmen bereits führen. All diese Frauen motivieren und inspirieren mich. Sie zeigen mir, dass ich nicht allein bin mit meinem Wunsch, dass es so bald wie möglich keine Rolle mehr spielen sollte, welches Geschlecht ich habe. Ebenso wenig, wie meine Herkunft oder die Frage, ob ich Mutter bin. Die Herausforderungen unserer Zeit sind so gewaltig, dass wir wahrlich Wichtigeres zu tun haben, als Identitätsfragen zu Eignungsfragen zu machen."

Die Wissenschaftlerin: "Auch im Öko-Landbau ist noch viel Luft nach oben"

"Unsere Onlinebefragung von 2020/2021 im Rahmen der vom BMEL geförderten Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben ergab einen etwas höheren Anteil von Betriebsleiterinnen und Existenzgründerinnen im ökologischen Landbau, im Vergleich zu allen Befragten.

Im Hinblick auf die vielfältigen Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten der Frauen gab es jedoch nur wenige bemerkenswerte Unterschiede, wie zum Beispiel das größere Engagement der Bio-Bäuerinnen in der Direktvermarktung. Auch auf Ökobetrieben bleibt Hausarbeit anscheinend überwiegend eine Frauendomäne. So äußerten junge Frauen häufig die Sorge, sich zwischen der Rolle der Betriebsleiterin und ihrer Familie entscheiden zu müssen. Hier liegt in der Tat sehr viel Potential für Veränderungen, sowohl auf den Höfen als auch durch ein gutes Angebot an Unterstützung (zum Beispiel in der Kinderbetreuung und durch Betriebshilfe). In Sachen Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt, nicht nur auf dem Acker, ist auch im Ökolandbau noch viel Luft nach oben." 


Film ab: Pionierinnen des ökologischen Landbaus - Passion und Profession mit Mathilde Schmitt


Die Unternehmerin: "Die Bio-Branche ist moderner"

"Die Gleichberechtigung oder eher die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen hat mich persönlich nie stark betroffen. Nach meinem Studium der Lebensmitteltechnologie habe ich gleich in der Bio-Branche angefangen und die Sonnentracht GmbH mit aufgebaut: Gemeinsam mit unseren rund hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stellen wir Honig und alternative Süßungsmittel her. Mein Mann und ich sind gleichberechtigte Geschäftsführer. Wir haben mehr weibliche Führungskräfte als männliche, zum Beispiel in der Qualitätssicherung, im Nachhaltigkeitsmanagement und im Marketing. Am liebsten arbeiten und entscheiden wir in Teams. Die klären, wer welche Aufgaben übernehmen muss. So bleiben unbeliebte Arbeiten wie beispielsweise die Ablage oder das Putzen nicht nur an Frauen hängen. 

Wir bezahlen leistungsbezogen und müssen die Gehälter unter anderem bei der Bio-Kontrolle auch offenlegen.

Dass die Bio-Branche moderner ist, merke ich bei Gesprächen mit meinen ehemaligen Studienkolleginnen. Die erleben das in konventionellen Lebensmittelunternehmen ganz anders."

Die Vorstandsvorsitzende: „Wir haben viel geschafft, aber es bleibt viel zu tun“

"Die Bio-Branche ist aus einer Bewegung entstanden, in der Geschlechtergerechtigkeit schon früh ein Thema war. Denn viele der Pionierbetriebe wurden von politisch motivierten Paaren oder Gruppen gegründet, in denen Frauen und Männer gemeinsame Ziele verfolgten. Aufgaben wurden mit persönlicher Motivation und Engagement übernommen, ohne Vorbehalte und weniger geprägt von klassischen Geschlechterrollen. 

Unsere Branche ist bis heute von diesem Geist geprägt. Es gibt viele starke Frauen in der Bio-Branche. Dennoch befinden wir uns erst auf dem Weg hin zu einer echten Geschlechtergerechtigkeit.

Gerade was die Besetzung von leitenden Positionen und Führungspositionen angeht, herrscht noch keine Parität. Das ganze System muss dazu beitragen, Frauen weiter zu empowern, um eine echte Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Wir haben schon viel geschafft und dennoch bleibt noch viel zu tun. Auch in der Bio-Branche."


Letzte Aktualisierung 06.03.2023

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