Ökolandbau und Insektensterben

Ökolandbau und Insektensterben – Interview mit dem Agrarökologen Prof. Teja Tscharntke

Die intensive konventionelle Landwirtschaft gilt als eine der Hauptursachen für das Insektensterben in Deutschland. Für den Agrarökologen Prof. Teja Tscharntke ist aber auch der Ökolandbau nicht die Lösung des Problems. Aus seiner Sicht gibt es auch für viele Bio-Betriebe noch Potenzial, ihre Flächen insektenfreundlicher zu bewirtschaften.

Teja Tscharntke ist seit 1993 Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen. Er beschäftigt sich vor allem mit der Biodiversität in gemanagten und natürlichen Ökosystemen. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf der Struktur von Agrarlandschaften und ihrer Bedeutung für die lokale Zusammensetzung funktionaler Biodiversität. Tscharntke ist einer von zwölf Forschenden, die den Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben unterzeichnet haben.

Oekolandbau.de: Herr Prof. Tscharntke, zum Insektenschwund in Deutschland gibt es mittlerweile viele Zahlen. Wie groß ist der Verlust an Arten in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten nach aktuellem Stand der Erkenntnisse?

Prof. Tscharntke: In den letzten Jahrzehnten sind bei uns dramatisch viele Populationen und Arten von Insekten verschwunden. Insekten stellen mit über 33.000 Arten rund 69 Prozent aller Tierarten in Deutschland und sind integraler und oft dominanter Bestandteil unserer Ökosysteme. Dennoch stehen in Deutschland fast die Hälfte aller Insektenarten auf der Roten Liste, von denen die Hälfte seit 1998 weitere starke Bestandsabnahmen erfahren haben. Dazu gehören etwa die Tagfalter, von denen über 60 Prozent der Arten gefährdet sind. Von den rund 560 Bienenarten stehen 53 Prozent auf der Roten Liste. Hier wurden in den letzten zwanzig Jahren deutliche Bestandsabnahmen festgestellt.

Oekolandbau.de:  Neben der Landwirtschaft gibt es ja eine Reihe von Gründen für diesen dramatischen Rückgang, von der Flächenversiegelung über Lichtverschmutzung bis hin zum Klimawandel. Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Landwirtschaft am Insektensterben?

Prof. Tscharntke: Das ist nicht eindeutig zu beantworten, vor allem weil der Einfluss der Lichtverschmutzung oder des Klimawandels wissenschaftlich schwer zu untersuchen und zu quantifizieren ist. Entsprechend wenig Studien gibt es bislang zu diesen Zusammenhängen. Die Wirkung der landwirtschaftlichen Nutzung auf Insekten ist dagegen sehr gut belegt. Und nach allem, was wir derzeit wissen, ist die Landwirtschaft ein zentraler Faktor bei dieser Problematik. Ich würde den Anteil der Landwirtschaft auf weit über 50 Prozent schätzen.

Oekolandbau.de: Lässt sich sagen, seit wann die Zahl der Insekten in Deutschland rückläufig ist?

Prof. Tscharntke: Wir gehen davon aus, dass die Intensivierung der Landwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg ein erheblicher Einschnitt für die Insektenpopulationen war. Interessanterweise ist das Interesse am und die Abhängigkeit vom massenhaften Pestizideinsatz erst in den letzten Jahrzehnten entstanden. Seit den 1950er Jahren stieg die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln stark an, aber noch Mitte der 1960er Jahre gab es bei den Landwirten eine verbreitete Skepsis gegenüber dem Einsatz von Pestiziden bei der Nahrungsmittelproduktion. Die Flurbereinigung führte zu immer größeren Flächen und einem Rückgang naturnaher Landschaftselemente, was sich besonders negativ auf die Insektenzahl auswirkte. Aktuelle Studien zeigen zudem, dass sich der Rückgang in Deutschland seit Mitte der 2000er Jahre nochmals verstärkte. Ich führe das darauf zurück, dass die Flächenstilllegung im Rahmen der gemeinsamen EU-Agrarpolitik 2009 aufgegeben wurde. Die stillgelegten Flächen waren ein wertvolles Refugium für viele Insektenarten. Zudem gab es etwa ab 2008 einen Intensivierungsschub in der Landwirtschaft, bedingt durch steigende Bodenpreise und einer großen Nachfrage nach Getreide und nachwachsenden Rohstoffen. Auch das beschleunigte das Insektensterben.

Oekolandbau.de: Im Neun-Punkte-Plan gegen das Insektensterben, den Sie als einer von zwölf Forschenden mitunterschrieben haben, fordern Sie, die Ausweitung des Ökolandbaus schneller voranzutreiben. Welche Vorteile bietet der Ökolandbau für Insekten?

Prof. Tscharntke: Verschiedene Studien belegen, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen etwa 30 Prozent mehr Insektenarten und 50 Prozent mehr Individuen leben als auf konventionellen Flächen. Die größten Vorteile des Ökolandbaus sind der Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. So führt etwa der Verzicht auf Herbizide zu viel mehr Beikräutern, die wiederum mehr Insekten anziehen. Auch die meist etwas längeren Fruchtfolgen im Ökolandbau und der höhere Anteil zweijähriger Kulturen wie Kleegras bieten Vorteile, weil sich Insektenpopulationen nicht so schnell wieder neu aufbauen müssen. Dennoch ist der Ökolandbau kein Allheilmittel für den Insektenschutz.

Oekolandbau.de: Sie sehen noch Optimierungspotenzial?

Prof. Tscharntke: Ja, aus meiner Sicht sogar ein sehr großes. Denn der Anbau mit Bio-Zertifizierung ist nicht auf die besten Maßnahmen für Insekten ausgerichtet. Zum Beispiel ist die Anlage von Hecken und Tümpeln oder eine wirklich lange Fruchtfolge nicht Teil der Zertifizierung, sondern beruht auf dem oft stärker ausgeprägten ökologischen Bewusstsein der Bio-Landwirte und Landwirtinnen. Zudem gibt es auch im Bio-Bereich einen Trend zur Intensivierung mit größeren Flächen und höheren Nährstoffeinträgen. Ein weiteres Problem sind die deutlich schwächeren Erträge, die letztlich einen höheren Flächenbedarf erfordern. Denn für die Insektenvielfalt ist es theoretisch besser, wenn von zehn Hektar Weizenfläche fünf intensiv bewirtschaftet werden und der Rest als Brache ungenutzt bleibt, als die gesamten zehn Hektar ökologisch zu bewirtschaften.

Oekolandbau.de: Daraus könnte man schließen, dass Sie eine Intensivierung des Ökolandbaus empfehlen, um höhere Erträge zu erzielen. Aber genau diese Intensivierung kritisieren Sie ja auch?

Prof. Tscharntke: Ich denke da vor allem an Ertragssteigerungen über besser angepasste Sorten, die widerstandsfähig sind gegen Unkraut und Pilze, ein gutes Aneignungsvermögen für Stickstoff haben und tolerant gegenüber Trockenstress sind. Da ist natürlich noch viel Züchtungs- und Forschungsarbeit gefragt. Aber noch wichtiger ist es, wesentlich stärker auf Vielfalt und Heterogenität zu setzen. Je abwechslungsreicher die Fruchtfolge und je mehr unterschiedliche Kulturen auf der gleichen Fläche und in der Landschaft angebaut werden, desto besser für die Insekten. Denn die einzelnen Insektenarten haben sehr unterschiedliche Ansprüche. Was für die einen gut ist, schadet den anderen.

Oekolandbau.de: Also könnte zum Beispiel der verstärkte Anbau von Gemengen helfen?

Prof. Tscharntke: Gemenge sind gut. Aber ich denke da auch an den Streifenanbau, wie er zum Beispiel bei Gemüse üblich ist. Wir haben in Versuchen auf konventionellen Flächen Getreide und Raps jeweils in rund 30 Meter breiten Streifen angebaut. Damit konnten wir die Zahl der Insektenarten um 50 Prozent erhöhen im Vergleich zur Monokultur. Zur Rapsblüte gab es auch sehr viel mehr Wildbienen – besonders solitäre Sandbienen – als in der Rapsreinkultur. Besonders interessant ist, dass der Weizen auf den Streifenäckern nur halb so viele Blattläuse aufwies, dafür aber mehr Laufkäfer. Wir wissen, dass Ränder, also Übergänge von einer Kultur zur anderen, extrem wichtig sind für Insekten. Denn hier können sie auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen. Zum Beispiel ernähren sich erwachsene Schwebfliegen von Rapsblüten, legen ihre Eier aber in Getreide an Blattlauskolonien ab. Je mehr Ränder landwirtschaftlich genutzte Flächen bieten, desto besser.

Oekolandbau.de: Welche Rolle spielt die Flächengröße für das Vorkommen von Insekten?

Prof. Tscharntke: Eine sehr große! Es gibt für Schläge in Bezug auf das Vorkommen von Insekten so etwas wie eine Maximalgröße, die ungefähr bei sechs Hektar liegt. Auf Flächen, die größer sind, fällt die Insektenzahl stark ab. Umgekehrt profitieren Insekten besonders stark davon, wenn die Flächen kleiner als sechs Hektar sind. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Flächen, desto mehr Insekten. Wir haben Landschaften mit unterschiedlich großen landwirtschaftlichen Nutzflächen verglichen. Liegt die mittlere Schlaggröße bei einem statt bei sechs Hektar, stieg die Zahl der Insektenarten um das Sechsfache höher!

Oekolandbau.de: Das klingt gut. Aber für die Betriebe erscheint das wenig wirtschaftlich, oder?

Prof. Tscharntke: Das stimmt, insektenfreundliche Maßnahmen wie der Streifenanbau, das Verkleinern von Flächen oder die Anlage von Hecken machen den Anbau deutlich teurer. Das ließe sich nur über Ausgleichszahlungen oder höhere Preise für Lebensmittel abdecken. Letztlich stellt sich also die Frage: Was ist es der Gesellschaft wert, das Insektensterben aufzuhalten?

Oekolandbau.de: Was würde über einzelbetrieblichen Maßnahmen hinaus helfen, den Rückgang von Insekten aufzuhalten?

Prof. Tscharntke: Entscheidend ist der großräumige Blick auf die Lebensräume von Insekten. Es ist natürlich gut, wenn lokal kleinere Schutzgebiete entstehen, die intensiv geschützt und betreut werden. Viel wichtiger ist aber eine überregionale großflächige Vernetzung naturnaher Flächen. Liegt der Anteil landwirtschaftlicher Flächen bei 80 Prozent und mehr und werden diese intensiv bewirtschaftet, gibt es für die meisten Insektenarten kaum noch Rückzugsräume. Hier könnte zum Beispiel die Wiedereinführung einer Flächenstilllegung mit der Ausrichtung auf die Förderung der Artenvielfalt sinnvoll sein. Das Ziel muss sein, möglichst vielfältige Rückzugsräume für Insekten zu schaffen, die auch die verschiedenen Bedürfnisse der unterschiedlichen Arten abdecken. Starke Populationsschwankungen sind bei Insekten die Regel. Deshalb müssen wir ein dichtes Netz vielfältiger Lebensräume schaffen, um möglichst vielen Arten eine schnelle Ausbreitung und Wiederbesiedlung zu ermöglichen.


Letzte Aktualisierung 16.03.2021

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