Alte Bio-Gemüsesorten züchten und wiederbeleben

Alte Bio-Gemüsesorten züchten und wiederbeleben

In nationalen Genbanken schlummern über 1.000 alte Gemüsesorten, die seit Jahrzehnten nicht mehr angebaut werden. In einem zehnjährigen Modell- und Demonstrationsvorhaben wurde ein Teil dieser alten Schätze wieder in den Erwerbsanbau zurückgeholt und erfolgreich vermarktet.

In der Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben lagert das Saatgut Hunderter alter Gemüsesorten verschiedenster Kulturen. Sie werden schon seit langem nicht mehr im intensiven Erwerbsgartenbau genutzt, weil ihre Eigenschaften nicht den gängigen Marktanforderungen genügen. So liefern sie beispielsweise meist zu geringe Erträge, sind nur begrenzt lagerfähig oder in Form und Größe nicht einheitlich genug.

Doch sie verfügen auch über viele positive Eigenschaften, die sie für einen Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher interessant machen und damit auch für Anbaubetriebe. Häufig haben sie ungewöhnliche Formen, Farben und Geschmäcker oder sind besonders gut an bestimmte regionale Bedingungen angepasst. Das macht sie auch zu einer wichtigen Genressource, die für die Züchtung und den Erhalt der Biodiversität genutzt werden kann.

Etwa 1.200 alte Gemüsesorten lagern in Genbanken

Obwohl etwa dreiviertel der in Deutschland zwischen 1836 bis 1956 genutzten Gemüsesorten verloren gegangen sind, ist das Potenzial nach wie vor groß. So lagern heute noch etwa 1.200 alte Sorten in Genbanken. Von einem Teil davon ist auch Saatgut bei Erhaltungsinitiativen wie dem Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN e.V.) verfügbar.

Das Problem: Im Samenarchiv von Genbanken bleiben die besonderen Eigenschaften und das Potenzial alter Sorten unsichtbar. "Ein Weg, dieses Potenzial wieder sichtbar zu machen, ist die aktive Nutzung dieser Sorten durch regelmäßigen Anbau und – soweit möglich – ihre Vermarktung", sagt Cornelia Lehmann, Vorsitzende des VERN e.V. "Denn nur durch eine regelmäßige Vermehrung und Auslese können sie sich an die regionalen Umweltbedingungen anpassen und lebendig bleiben."

Forschungsprojekte zur Wiederbelebung alter Sorten

Mitarbeitende des VERN e.V. war neben Forschungsteams der Universität Berlin und der Hochschule Eberswalde in ein fünfjähriges Verbundprojekt eingebunden, in dem der Ansatz, alte Sorten durch Anbau im gärtnerischen Betrieb zu erhalten, praktisch umgesetzt wurde. Das Projekt wurde über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) vom Bundeslandwirtschaftsministerium finanziert.

In einem vorangegangenen Modell- und Demonstrationsvorhaben hatte der Verein bereits im Jahr 2013 das Saatgut-Erhalter-Netzwerk Ost initiiert. Es ist ein Zusammenschluss von inzwischen 22 Bio-Samen- und Gemüsebaubetrieben aus Berlin, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Aufwendige Suche nach geeigneten Sorten

Der Weg vom Auffinden geeigneter alter Sorten bis zum Anbau von Frischgemüse für den Verkauf ist aufwendig und langjährig. Zu Beginn des Projekts wurde dafür in Archiven und historischen Quellen nach geschmacklich oder äußerlich interessanten Sorten gesucht.

Das Saatgut der ausgewählten Sorten stellte die Genbank des IPK Gatersleben für einen sogenannten Sichtungsanbau zur Verfügung, in dem beurteilt wurde, ob die Muster tatsächlich dem historischen Sortenbild entsprechen. "Bei alten Sorten ist das nicht selbstverständlich. Es kommt vor, dass Samenmuster alter Sorten aus einer Genbank ihr ursprüngliches Sortenbild verloren haben", erklärt Cornelia Lehmann.

Welche Sorten eignen sich für den Erwerbsanbau?

Da Genbanken nur kleine Samenmengen ausgeben, mussten die ausgewählten Sorten zunächst vermehrt werden, um genügend Saatgut bereitstellen zu können. Im nächsten Schritt wurde auf den Betrieben geprüft, ob sich die Sorten auch für den Erwerbsanbau eignen oder nur zum privaten Anbau für Hobbygärtnerinnen und -gärtner. Dabei standen vor allem Merkmale wie Ertrag und Produktqualität im Vordergrund.

Bei dieser Anbauprüfung fielen im Projekt viele ausgewählte Sorten wegen mangelnder Eignung durch. Von 110 Mustern elf verschiedener Kulturen wie Gurke, Zwiebel, Wirsing und Rosenkohl wurden nur 28 als geeignet eingestuft und in den sogenannten on-farm-Erhaltungsanbau der Netzwerk-Betriebe übernommen. Während dabei ein Teil der Betriebe die Sorten zur Gemüseproduktion und Vermarktung anbauen, sorgen andere für die Erhaltungszüchtung und Saatgutvermehrung.

Sorten müssen oft wiederhergestellt werden

Die Erhaltungszüchtung selbst ist ein kontinuierlicher Prozess, in dem die Qualität und der typische Charakter der Sorte weiter herausgearbeitet werden. Das erfordert viel Sorgfalt, Wissen und Zeit vonseiten der Betriebsleitung. Häufig sind Selektionen über mehrere Generationen notwendig, um die sortentypischen Eigenschaften wiederherzustellen. Die Erfahrungen, die zum Samenbau der ausgewählten Sorten gesammelt wurden, hat das Forscherteam in einem Anbauleitfaden zusammengefasst.

Insgesamt dauerte der aufwendige Prozess der Wiederbelebung alter Gemüsesorten von der Recherche bis zur ersten verkaufsfähigen Ware drei bis sieben Jahre. Einjährige Kulturen wie Radieschen lassen sich schneller in den Anbau integrieren als zweijähriges Gemüse wie Kohl.

Alte Sorten haben besondere Ansprüche

Doch nicht nur die züchterische Erhaltung alter Sorten ist anspruchsvoll, sondern auch der erwerbsmäßige Anbau. "Dafür braucht man ein spezielles Know-how", betont Cornelia Lehmann. "Der richtige Aussaattermin und die Düngung sind für den Anbauerfolg natürlich sehr wichtig. Genauso wie der Schutz vor Schädlingen und Krankheiten, für die alte Sorten meist anfälliger sind."

Deshalb gab es unter den Netzwerkbetrieben durchgehend einen engen Erfahrungsaustausch zu den Möglichkeiten der Anbauoptimierung. "Dieser Austausch war elementar für den Anbauerfolg", betont Lehmann.

Großes Interesse bei Kundinnen und Kunden

Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts war das Vermarktungspotenzial. Für die Direktvermarktung im Hofladen, auf Wochenmärkten, in der Solidarischen Landwirtschaft und in Abo-Kisten erwiesen sich alte Sorten als gut geeignet. Durch ihre außergewöhnlichen Namen, ihre besondere Form und Farbe sorgten sie beim Verkauf für viel Aufmerksamkeit. Kundinnen und Kunden interessierten sich häufig auch für die Geschichte der Sorten. Zum Verkaufserfolg trug zudem die Auslobung als "Sortenschatz" oder "Repräsentant der Vielfalt" bei.

"Für den Erfolg alter Sorten ist eine intensive Kommunikation mit Verbraucherinnen und Verbrauchern sehr wichtig. Denn die Vorzüge dieser Erhaltungsarbeit sind sehr erklärungsbedürftig. Deshalb funktioniert das Konzept in der Direktvermarktung sehr gut", sagt Cornelia Lehmann.

Vermarktung im LEH schwierig

Im Bio-Lebensmitteleinzelhandel konnten die Sorten dagegen nicht etabliert werden. Zwar zeigte der Handel Interesse an der Vermarktung, beim Verkauf in Filialen konnten die Besonderheiten alter Sorten laut Lehmann jedoch nicht ausreichend vermittelt werden. Zudem kamen hier auch ihre Schwächen zum Tragen, vor allem ihre eingeschränkte Lagerfähigkeit und eine mangelnde Einheitlichkeit.

Die beteiligten Netzwerkbetriebe sind dennoch vom Wert alter Sorten überzeugt und werden sie auch nach Abschluss des Projekts weiter in Nutzung halten. "Für die Betriebe sind alte Sorten auch ein wertvolles Kulturgut, in dem viel Wissen und Arbeit früherer Generationen steckt", sagt Cornelia Lehmann. "Deshalb haben sie für Gemüsebäuerinnen und -bauern auch einen hohen ideellen Wert, der sie motiviert, viel Zeit und Arbeit in den Anbau zu investieren."


Letzte Aktualisierung 24.05.2024

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