Unternehmen können den Nutri-Score rechtssicher verwenden. Die Kennzeichnung ist freiwillig, denn nach geltendem EU-Recht ist die nationale Einführung eines verpflichtenden erweiterten Nährwertkennzeichens nicht möglich. Unternehmen haben die Möglichkeit, den Nutri-Score für ihre Marken einzuführen und müssen diesen dann verpflichtend auf alle Produkte der Marke aufbringen. Somit wird verhindert, dass das Image einer Marke verbessert wird, indem einzelne positiv bewertete Produkte hervorgehoben werden und negativ bewertete in den Hintergrund rücken. Dadurch soll Verbrauchertäuschung vermieden werden. Ebenso können Handelsunternehmen den Nutri-Score für ihre Handelsmarken verpflichtend einführen. Das bedeutet, dass deren Herstellerunternehmen den Nutri-Score auf die Handelsproduktmarke aufbringen müssen, auch wenn sie ihre eigenen Marken nicht mit dem Nutri-Score kennzeichnen.
Lücken im Bewertungsraster
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und der Lebensmittelverband Deutschland üben im Hinblick auf die Kennzeichnung von Bio-Produkten Kritik an dem Kennzeichnungssystem. Der BÖLW stellt in einer Stellungnahme in Bezug auf verschiedene Aspekte die Benachteiligung der ökologischen Lebensmittelwirtschaft durch den Nutri-Score fest. In einem 10-Punkte-Papier fordert der Lebensmittelverband Deutschland Nachbesserungen des Nutri-Score.
Der BÖLW kritisiert, dass die Verwendung von Zusatzstoffen und der Verarbeitungsgrad der Lebensmittel nicht in die Bewertung einfließen. Konventionelle Hersteller dürfen in ihren Produkten eine Reihe an Zusatz- oder Hilfsstoffen verwenden. Die Bio-Lebensmittelhersteller setzen darauf, einen Rohstoff so zu bearbeiten, dass er nur mit wenigen zugelassenen Zusatz- und Hilfsstoffen ein vollwertiges Nahrungsmittel ergibt. Die EU-Öko-Verordnung schränkt deshalb auch den Einsatz von Zusatz- und Hilfsstoffen stark ein. Vor allem der Einsatz von Zucker- und Fettersatzstoffen ist bei Bio-Lebensmitteln kaum möglich.
Bei einem konventionellen Fruchtjoghurt können zum Beispiel zur Verstärkung des Fruchtgeschmacks Zuckerersatzstoffe in Verbindung mit Aromen, die beide vom Nutri-Score nicht erfasst werden, verwendet werden. Bei einem Bio-Fruchtjoghurt kann der Geschmack jedoch nur über natürliche Aromen aus der namensgebenden Frucht sowie aus Früchten selbst erzeugt werden. Da die Früchte von Natur aus fruchteigenen Zucker enthalten, der im Nutri-Score negativ bewertet wird, wird das Bio-Produkt schlechter bewertet als ein zuckerfreier und aromatisierter Fruchtjoghurt.
Sowohl der BÖLW als auch der Lebensmittelverband bemängeln, dass Vollkornprodukte nicht ausreichend durch den Nutri-Score-Algorithmus abgebildet werden, da bereits mit einem Ballaststoffanteil von mehr als 4,7 Prozent die höchste Punktzahl erreicht wird. Als ballaststoffreiches Produkt kann jedoch erst ein Produkt mit mehr als 6 Prozent Ballaststoffen nach der Health-Claims-Verordnung deklariert werden.
Der Lebensmittelverband Deutschland bemängelt, dass zu wenig Pflanzenöle bei der Bewertung berücksichtigt werden. Darüber hinaus kritisiert der BÖLW, dass nur der Anteil der ungesättigten Fettsäuren insgesamt, nicht aber das Verhältnis bestimmter ungesättigter Fettsäuren zueinander bewertet wird. So wird das ernährungsphysiologisch wichtige Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren nicht betrachtet.
Darüber hinaus sieht der BÖLW es kritisch, dass Früchte, die schonend gefriergetrocknet wurden, nicht als Obst und Gemüse mitgezählt werden. Oder dass für die fleischarme Ernährung wichtige proteinhaltige Mehle aus Hülsenfrüchten nicht als positive Bestandteile bewertet werden.
Herausforderung für kleine und mittlere Betriebe
Die Einführung des Nutri-Score ist für Unternehmen ein aufwendiger Prozess sowohl in der Vorbereitung als auch in der Berechnung. Auch eine Umgestaltung der Produktverpackungen ist notwendig. Für kleine und mittlere Betriebe mit kleineren Produktionsmengen ist der Prozess aufgrund von Skaleneffekten anspruchsvoller. Das bedeutet, je größer die Produktionsmenge eines Unternehmens ist, desto kleiner wirkt sich der Aufwand für die Einführung des Nutri-Score auf das einzelne Produkt aus.
Frankreich: Positive Bilanz der Nährwertkennzeichnung
Der Nutri-Score dient dazu, Verbraucherinnen und Verbrauchern den Vergleich der Nährwertzusammensetzung von Lebensmitteln einer Produktkategorie zu erleichtern. Das soll sich auch positiv auf die Übergewichtsprävention und -entwicklung auswirken. In Frankreich, wo der Nutri-Score bereits 2017 eingeführt wurde, könne dieser laut einer Studie zu einer um etwa 3,4 Prozent verringerten Sterblichkeit aufgrund ernährungsbedingter Krankheiten beitragen. Der Studie zufolge gehe auch die Kalorienaufnahme um neun Prozent zurück.
Aufgrund des EU-Rechts ist die Nutzung der Kennzeichnung in den Mitgliedstaaten bisher freiwillig. Daher erarbeitet die EU-Kommission im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie einen Vorschlag für eine EU-weit verpflichtende Nährwertkennzeichnung. Diese soll die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzen, eine gesundheitsbewusste Lebensmittelwahl zu treffen. Bedeutend für die Zukunft ist, dass die Kennzeichnung fortlaufend aktualisiert und immer wieder an die Ernährungsweise der Bevölkerung angepasst wird.