Mehr Tierwohlkompetenz in der landwirtschaftlichen Ausbildung

Mehr Tierwohlkompetenz in der landwirtschaftlichen Ausbildung

In der landwirtschaftlichen Ausbildung spielt das Thema Tierwohl bisher nur eine untergeordnete Rolle. Der Fokus liegt hier in der Regel auf der Tiergesundheit. Mit einer neu entwickelten Lehr- und Lerneinheit für die Rinder- und Schweinehaltung sollen die Kenntnisse zum Tierwohl in der überbetrieblichen Ausbildung stärker vermittelt werden.

Viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in der praktischen ökologischen und konventionellen Tierhaltung häufig Verbesserungsbedarf im Bereich Tierwohl besteht. Um die Handlungskompetenz in diesem Bereich zu stärken, setzt ein Projekt des Thünen-Instituts für Ökologischen Landbau in Trenthorst bei der Ausbildung von Landwirtinnen und Landwirten an.

Das Projekt wird gefördert im Rahmen der Modell- und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz im Bundesprogramm Nutztierhaltung.

Gemeinsam mit Fachleuten des landwirtschaftlichen Bildungszentrums Echem, der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und des Instituts für Berufspädagogik und Erwachsenenbildung der Leibniz-Universität Hannover hat das Forschungsteam in einem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Projekt Lehr- und Lerneinheiten für die überbetriebliche landwirtschaftliche Ausbildung entwickelt. Mit diesen soll die tierwohlorientierte Handlungskompetenz in der Rinder- und Schweinehaltung gefördert werden.

In den aktuellen Lehrplänen wird das Thema Tierwohl zu wenig angesprochen und wenn ja, dann meist nur in Bezug auf die Tiergesundheit,

sagt Dr. Silvia Ivemeyer vom Thünen-Institut Trenthorst, die das Projekt mit durchgeführt hat.

Hauptziel war es, Auszubildende mithilfe der neuen Lerneinheiten stärker für das Tierwohl zu sensibilisieren.

Dafür war es uns wichtig, nicht nur den Blick auf die Tiergesundheit zu richten. Wir wollen auch Grundlagen zum arttypischen Verhalten der Tiere vermitteln und den damit verbundenen Bedürfnissen sowie dem emotionalen Befinden,

erklärt Ivemeyer.

Tierwohlkompetenz der Ausbildungsbetriebe prägt Azubis

Auffällig war dagegen, dass die Auszubildenden sehr ähnliche Einschätzungen zum Tierwohl hatten wie ihre Ausbilderinnen und Ausbilder. Das Forschungsteam geht deshalb von einer starken Prägung durch den Ausbildungsbetrieb aus. Zudem schlossen sie aus den Antworten, dass die Lehrinhalte das arteigene Verhalten und die daraus resultierenden Ansprüche der Tiere an ihre Haltungsumwelt stärker berücksichtigen sollten. 

Zudem wurde deutlich, dass nur zwei Drittel der Teilnehmenden bewährte Tierwohlindikatoren-Sets mit tierbezogenen Indikatoren wie Lahmheiten oder den Verschmutzungsgrad der Tiere kannten. Nur ein Drittel der Befragten nutzt diese tatsächlich in der Praxis. "Im arbeitsintensiven Alltag wird die Anwendung der Indikatoren über die tägliche Tierbeobachtung hinaus häufig als weniger wichtig betrachtet und nicht systematisch angewendet", erklärt Silvia Ivemeyer. "Hinzu kommt, dass Tierwohlindikatoren zwar in der Ausbildung eingestreut werden, aber nicht fest im Lehrplan verankert sind."

Diese Lücken sollen mit dem neu entwickelten Lehr-Lerneinheiten geschlossen werden. Schließlich ist die Anwendung von Tierwohlindikatoren ein wichtiges Hilfsmittel für die vorgeschriebene betriebliche Eigenkontrolle für tierhaltende Betriebe. Sie helfen dabei, Probleme in der Fütterung oder Stalltechnik aufzudecken und zu beheben. Zudem verweist Ivemeyer darauf, dass gute Kenntnisse zum Tierwohl auch die Wirtschaftlichkeit verbessern können, etwa durch eine längere Nutzungsdauer von Milchkühen oder Sauen.

Neben Grundlagen zum Tierwohl und zur betrieblichen Eigenkontrolle im Bereich Tierwohl vermitteln die Lerneinheiten für Rinder und Schweine auch Kenntnisse zum Treiben, Verladen und zum Umgang mit kranken und verletzten Tieren, bis hin zur Einschätzung der Transportfähigkeit sowie zum Nottöten von Tieren. Insbesondere der Bereich Treiben und Verladen wurde von den Ausbildenden ausdrücklich als wichtiger Schwerpunkt für die Praxis gewünscht.

Praktische Übungen zur Tierwohlkompetenz

Nach einer theoretischen Einführung, etwa zu den Sinnesleistungen sowie den arteigenen Flucht- und Annäherungsverhalten der Tiere, sind in den Einheiten praktische Übungen mit den Tieren vorgesehen, um das Gelernte anzuwenden und zu vertiefen. Dazu gehört zum Beispiel das Treiben und Verladen einer Gruppe von Rindern oder Schweinen. Zudem fördern die Lehr-Lerneinheiten Kompetenzen bei der Einschätzung von Schmerzen kranker oder verletzter Tiere anhand von Foto-Fallbeispielen, die gemeinsam in der Gruppe reflektiert werden.

Bei Anwendungstests der Lehr-Lerneinheiten in der überbetrieblichen Ausbildung war das Feedback der Ausbildenden und der Auszubildenden überwiegend positiv. "Die Auszubildenden waren besonders an praktischen Themen wie dem Treiben oder Nottöten interessiert", berichtet Ivemeyer. "Die Herausforderung bei der Anwendung besteht wie beim Unterricht in Berufsschulen darin, die sehr unterschiedlichen Kenntnisse der Teilnehmenden gut aufzufangen."

Nach Einschätzung der Expertin lassen sich die fünf Einheiten zum Tierwohl mit einem Umfang von jeweils 60 bis 90 Minuten gut in die überbetriebliche Ausbildung einbauen. Die entsprechenden Ausbildungseinrichtungen in anderen Bundesländern seien ebenfalls an der Nutzung interessiert. Von Vorteil sei dabei, dass die Einheiten nach einem Baukastenprinzip aufgebaut sind. So können je nach Zeitbudget und gewählten Schwerpunkten auch nur einzelne Elemente genutzt werden.

Die entwickelten Lehr-Lerneinheiten sowie die zugehörigen Materialien sind kostenfrei auf der Webseite der Landwirtschaftskammer Niedersachsen verfügbar. 

Um das Thema Tierwohl in der landwirtschaftlichen Ausbildung weiter zu stärken, wird es ein 3,5-jähriges Anschlussprojekt geben. Laut Ivemeyer ist geplant, die Inhalte zusätzlich zur überbetrieblichen Ausbildung stärker in Berufsschulen und der betrieblichen Ausbildung zu verankern. Zudem sollen alle Ausbildungsebenen enger zusammengeführt werden.

Wir wollen vor allem die Ausbildungsbetriebe mit ins Boot holen und gemeinsam mit den Ausbildenden praxistaugliche Ansätze entwickeln, wie sich Inhalte zum Tierwohl in den Ausbildungsalltag integrieren lassen,

sagt die Wissenschaftlerin.

Tierwohlbeurteilung in Bio-Betrieben – E-Learning Kurs

Die Grundlagen für die Bewertung des Tierwohls im ökologischen Landbau sind das Thema des Online-Seminars. Hier erfahren Sie, wie Tierwohl bewertet und im Rahmen einer Tierwohl-Inspektion auf Bio-Betrieben mit einer entsprechenden Checkliste dokumentiert werden kann. Das E-Learning wurde im Rahmen des EU-Projekts "Organic Inspector Training on Animal Welfare" (AWARE) entwickelt. Die deutsche Fassung entstand im Auftrag des Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur-, und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV NRW).

Dabei fließen auch schon jetzt Daten aus digitalen Hilfsmitteln wie Herdenmanagementprogrammen in die Beurteilung des Tierwohls ein. Doch die Lerneinheiten haben laut Silvia Ivemeyer einen klaren Fokus:

Unser wichtigstes Ziel ist, die Augen fürs Tierwohl zu schulen. Die angehenden Landwirtinnen und Landwirte sollen einen guten Blick für einen Bestand entwickeln und einschätzen können, wie es ihren Tieren geht.

Text: Jürgen Beckhoff


Letzte Aktualisierung 29.04.2025

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