Potenzial von mehrjährigem Getreide

Welches Potenzial hat mehrjähriges Getreide?

Die Landwirtschaft arbeitet weltweit fast ausschließlich mit einjährigen Kulturen. Versuche mit Weizen zeigen aber, dass mehrjährige Formen den Anbau deutlich nachhaltiger machen. Allerdings haben die derzeit verfügbaren Linien noch einige Schwächen. Lohnt sich der Anbau dennoch schon jetzt an bestimmten Standorten? Und hat ein besonders nachhaltig erzeugter Weizen ein besonderes Potenzial für die Vermarktung? Wir geben einen Überblick zum Stand der Forschung.

Reis, Mais, Weizen, Roggen, Gerste – Nahezu alle wichtigen Nutzpflanzen weltweit werden einjährig angebaut. Das gilt auch für die meisten Gemüsearten. Verschiedene Forschungsteams, vor allem in den USA, Australien und Kanada, arbeiten jedoch schon seit vielen Jahren daran, eine Alternative zu diesem Konzept zu entwickeln.

Aus ihrer Sicht spricht vieles für mehrjährige Kulturen, insbesondere eine größere Nachhaltigkeit, die auch von der Gesellschaft eingefordert wird. So fällt der Aufwand für die Bodenbearbeitung (Pflügen!), die Aussaat und Unkrautkontrolle deutlich geringer aus, wodurch sich auch die Anbaukosten verringern.

Weniger Erosion, mehr Wurzeln

Eine längere Bodenruhe und eine durchgehende Bodenbedeckung fördern das Bodenleben und beugen Erosion vor. Zudem entwickeln mehrjährige Pflanzen ein größeres Wurzelsystem, mit dem Nährstoffe und Wasser besser erschlossen werden können und das zusätzlich den Aufbau von Humus begünstigt. Gerade vor dem Hintergrund zunehmenden Trockenperioden erscheinen diese Vorteile besonders wichtig.

Bei der Züchtung von mehrjährigem Weizen spielt die Graugrüne Quecke eine Schlüsselrolle. Von der auch als Weizengras bezeichneten mehrjährigen Pflanze werden vor allem in den USA vielversprechende Elternlinien intensiv selektiert und gekreuzt. Die erste Sorte aus dieser Domestizierung ist MN-Clearwater. Die daraus hergestellten Lebensmittel wie Brot, Kekse oder Bier werden in den USA unter dem Namen Kernza® vermarktet.

Positive Umwelteffekte bestätigt

Der zweite Züchtungsweg neben der Domestizierung von Weizengras besteht darin, die Wildform mit etablierten einjährigen Weichweizensorten zu kreuzen. Die Ergebnisse internationaler Studien bestätigen für beide Züchtungsansätze die erhofften positiven Umwelteffekte mehrjähriger Kulturen. Ein Forschungsteam der schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (SLU) in Uppsala ermittelte zum Beispiel, dass die Wurzeln eines bearbeiteten Weizengrases eine Tiefe von bis zu drei Metern erreichen.

Damit konnten die Pflanzen Wasservorräte erschließen, die einjähriger Weizen mit einer Durchwurzelungstiefe von maximal 1,5 Metern nicht erreichte. Auch eine verstärkte Humusbildung und eine verringerte Erosion wurden nachgewiesen. Doch diesen Vorteilen steht bei fast allen bisherigen Projekten ein gravierender Nachteil gegenüber: Sehr schwache Erträge.

Schwache Erträge als größtes Manko

Das bestätigte sich auch in Feldversuchen der Universität Minnesota (USA), wo Fachleute schon seit vielen Jahren intensiv an der züchterischen Bearbeitung von Weizengras arbeiten. Die Sorte MN-Clearwater erreichte bei extensivem konventionellem Anbau in den ersten beiden Anbaujahren einen Ertrag von knapp sieben Dezitonnen/Hektar (dt/ha). Im dritten Jahr wurde nur noch ein Viertel dieser Menge geerntet. Einjährige Weichweizensorten erreichen in der Region mehr als 50 dt/ha Ertrag.

Deutlich besser schnitten Kreuzungen von Weizengras mit verschiedenen Weichweizensorten ab, deren Potenzial über drei Jahre hinweg in einem BÖLN-Projekt untersucht wurde. Auf drei unterschiedlichen Grenzstandorten in Bayern wurden im ersten Jahr unter ökologischen Anbaubaubedingungen bis zu 17 dt/ha erreicht. Die als Kontrolle angebauten einjährigen Sorten kamen bei sehr trockenen Bedingungen auch nicht über 20 dt/ha hinaus. Allerdings ging der Ertrag der mehrjährigen Linien im zweiten Anbaujahr um mehr als die Hälfte zurück, im dritten Jahr fiel die Ernte nahezu komplett aus.

Konflikt bei Kreuzung

Laut Projektleiter Werner Vogt-Kaute, Berater beim Bio-Verband Naturland, erscheint es zumindest in Bezug auf den Ertrag vielversprechender zu sein, Weizensorten in das Weizengras einzukreuzen, statt die Wildform weiterzuentwickeln. "Allerdings gibt es hier einen Konflikt bei der Kreuzung. Denn je höher die Weizenanteile, desto höher der Ertrag, aber desto weniger ausdauernd sind die gezüchteten Kreuzungen", sagt Vogt-Kaute.

So beobachtete er bei allen angebauten Linien einen massiven Ertragseinbruch im dritten Anbaujahr. Beim Blick auf die insgesamt bescheidenen Erträge verweist der Fachberater darauf, den gesamten Biomasseertrag im Blick zu behalten. Denn bei besserer Wasserversorgung als in den Versuchsjahren treiben mehrjährige Linien nach der Ernte nochmal aus und müssen vor dem Winter noch einmal geschnitten werden. Dieser Aufwuchs ließe sich laut Vogt-Kaute gut als Futter verwerten.

Mehrjähriger Weizen erreicht Backqualität

Zudem verweist er darauf, dass die Ernte der getesteten mehrjährigen Weizenlinien durchweg Backqualität erreicht hat. "In einem Nischenmarkt besteht dafür durchaus Vermarktungspotenzial, wenn es gelingt, die ökologischen Vorzüge der mehrjährigen Kultur zu kommunizieren", meint der Fachmann. Deshalb könnte der Anbau schon jetzt an Grenzstandorten oder auf ungünstig geschnittenen Flächen sinnvoll sein. "Aber nur für einen zweijährigen Anbau", betont Vogt-Kaute.

Prof. Heinrich Grausgruber, Züchtungsexperte an der Universität für Bodenkultur in Wien, sieht grundsätzlich noch erheblichen Züchtungsbedarf, um mehrjährigen Weizen tatsächlich in der Praxis zu etablieren. Eine intensivere Züchtung sollte aus seiner Sicht vor allem beim Tausendkorngewicht (TKG) beziehungsweise der Korngröße ansetzen, um die zu geringen Erträge zu verbessern. "Hier wären bei manchen Genotypen durchaus deutliche Steigerungen möglich", glaubt Grausgruber.

Zu wenig Forschung

Für dieses Ziel müssten nach seiner Einschätzung die Forschungsanstrengungen in Europa deutlich erhöht werden. Zurzeit werde das Thema nur in Einzelprojekten behandelt. Hinzu komme, dass die Züchtung von Weizen kompliziert sei, da sich manche neuen Eigenschaften aufgrund des sechsfachen Chromosomensatzes (Hexaploidie) von Weizen schwer etablieren ließen.

Ein etwas größeres Potenzial sieht er dagegen für mehrjährigen Roggen. Bei Versuchen über drei Jahre hinweg mit ungarischen Kreuzungen aus einjährigen Sorten mit mehrjährigem Bergroggen waren die Wiederaustriebskraft und die Unkrautunterdrückung deutlich besser als bei mehrjährigen Weizenlinien. Zudem entwickelten die mehrjährigen Linien wesentlich mehr Wurzelmasse in den oberen Bodenschichten.

Hohe Grünmasseerträge bei Roggen

Die Grünmasseerträge erreichten im ersten Jahr zum Teil das Niveau einjähriger Sorten, fielen im zweiten und dritten Jahr aber um etwa 50 Prozent ab. "Aber hier wäre es wirklich sehr spannend, die Züchtung zu vertiefen. Dafür wären jedoch Langzeitstudien über zehn Jahre hinweg notwendig, um festzustellen, wie viele Jahre eine mehrjährige Kultur unter Berücksichtigung pflanzenbaulicher und ökonomischer Aspekte tatsächlich genutzt werden kann", sagt Grausgruber.

Weniger überzeugend sieht er dagegen die Bemühungen bei der züchterischen Bearbeitung von Weizengras. "Wir hatten bei unseren Versuchen sehr schwache Ernten mit sehr kleinen Körnern mit sehr hohem Spelzanteil. Außerdem befürchte ich, dass es bei nachfolgenden Kulturen Probleme mit Durchwuchs geben kann", glaubt Grausgruber.

Erste Erfolge bei mehrjährigem Reis

Dass der Ansatz von mehrjährigem Getreide keine fixe Idee ist, zeigt das Beispiel Reis. Hier gibt es seit vielen Jahren vor allem in China intensive Züchtungsprogramme, deren Arbeit jetzt Früchte trägt. Mit der ersten entwickelten Reissorte PR23 können bei zweijährigem Anbau schon jetzt vergleichbare Erträge wie bei einjährigen Sorten erzielt werden. Aktuell arbeiten die Forscherteams daran, dieses Ertragsniveau über fünf Jahre zu halten.


Letzte Aktualisierung 09.12.2020

Nach oben
Nach oben