Gruppenzertifizierung in Drittländern: Was ändert sich?

Gruppenzertifizierung in Drittländern: Was ändert sich?

Ab dem 1. Januar 2025 gelten neue Regelungen für die Zertifizierung von kleinbäuerlichen Gruppen in Drittländern ohne Handelsabkommen. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat die möglichen Folgen der neuen Vorschriften für Kleinbäuerinnen und -bauern und die Bio-Lieferketten untersucht. Florentine Meinshausen fasst die Ergebnisse der Studie im Interview zusammen.

Florentine Meinshausen ist seit 2015 als Expertin für Nachhaltigkeitsstandards und Kleinbauernzertifizierung für FiBL und weitere Bio- und Fair Trade Organisationen tägig. 

Oekolandbau.de: Frau Meinshausen, was hat Sie dazu motiviert, die Auswirkungen der neuen EU-Ökoverordnung auf Bio-Importe und Kleinbauerngruppen zu untersuchen? 

Florentine Meinshausen: Die neue EU-Öko-Verordnung 2018/848, die ab 2025 auch in Drittländern ohne Handelsabkommen gilt, markiert einen bedeutenden Wendepunkt für den Import von Bio-Produkten in die EU.

Das bisherige Prinzip, nach dem diese Produkte nach gleichwertigen Standards hergestellt werden, wird durch das Konformitätsprinzip ersetzt. Das ist ein neues Szenario, das einen Mindset-Wechsel darstellt: Künftig gelten die komplexen Gesetzestexte der EU-Bio-Verordnung Wort für Wort auch für die Produzentengruppen im Drittland

Zugleich definiert das neue EU-Bio-Recht in Art. 36.1 erstmals detaillierte Anforderungen für die Gruppenzertifizierung. Die Änderungen sind grundlegend. Die Untersuchung möchte beleuchten, welche Herausforderungen dabei insbesondere für Kleinbauernorganisationen entstehen. Außerdem sollte abgeschätzt werden, welche Bedeutung das voraussichtlich für die europäischen Bio-Importe hat. Welches sind die wichtigsten Länder für kleinbäuerliche Produzentengruppen? Welche Produkte liefern sie? Welche Bedeutung hat das für die Lieferkette, also zum Beispiel wie viele Tonnen Bananen sind denn nun wirklich betroffen von der Gruppenzertifizierung? Bislang gibt es hier nur wenig Daten und das macht es sehr schwer, mögliche Auswirkungen der anstehenden Änderungen abzuschätzen.  

Oekolandbau.de: Wie ist die aktuelle FiBL Studie angelegt? 

Florentine Meinshausen: Wir haben Online-Befragungen mit Produzentinnen und Produzenten in Drittländern sowie Interviews mit den verarbeitenden und importierenden Unternehmen sowie weiteren Stakeholdern in der EU wie Behörden und Zertifizierungsstellen durchgeführt. Ergänzend wurden Länderfallstudien und Schulungen mit Produzentengruppen zu den neuen Anforderungen herangezogen. Um Zahlen zu gewinnen, haben wir zusätzlich Erzeuger- und Handelsdaten analysiert. Zudem haben wir Daten von Fairtrade International für Fairtrade-Produzentenorganisationen ausgewertet.  

Oekolandbau.de: Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Drittländern bei der Umstellung auf das Konformitätsprinzip der neuen Verordnung? 

Florentine Meinshausen: Eine der größten Herausforderungen ist die Komplexität der neuen Rechtsvorschriften, die für viele Produzentinnen und Produzenten in Drittländern schwer verständlich sind. Die rechtlichen Grundlagen sind für Bio-Produzentinnen und -Produzenten innerhalb der EU verfasst, die spezifische Situation von Kleinbäuerinnen und -bauern in Drittländern wird dabei oft nicht berücksichtigt. Aufgrund der neuen detaillierteren Anforderungen an die Gruppenzertifizierung müssen viele Kleinbauerngruppen ihre organisatorische Struktur erheblich anpassen, was zusätzlichen Verwaltungsaufwand und hohe Kosten bedeutet. Die neuen Regeln für die Zertifizierung der Erzeugergruppen unterscheiden sich von anderen Bio-Standards und könnten Konflikte mit weiteren Zertifizierungen mit sich bringen.

Die neue EU-Bio-Verordnung stellt auch neue Anforderungen an Pflanzenschutzmittel, die für die Produktion im Drittland zugelassen sind. Nach der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1165 muss jede Substanz in der EU für die EU-Landwirtschaft zugelassen sein und auch Pflanzenextrakte müssen explizit gelistet sein, das bedeutet, dass viele lokale Pflanzextrakte für den Pflanzenschutz, die bisher in Drittländern eingesetzt wurden, nicht mehr verwendet werden dürfen; außer sie werden aufwendig beantragt und von der EU für die Verwendung im Drittland zugelassen. Die Anforderungen sind komplex: Ethylen ist zum Beispiel zugelassen für Kartoffeln, nicht für Ananas. Das muss von den Produzentinnen und Produzenten erst einmal verstanden werden.

Daneben sind auch die Verfahren für Rückstandsuntersuchungen vor der Einfuhr in die EU und die Dokumentationspflichten komplexer geworden.   

Oekolandbau.de: Was sind die wichtigsten Daten über die Produzentengruppen in Drittländern, die Sie aus der Studie gewinnen konnten? 

Florentine Meinshausen: Derzeit exportieren circa 1.800 bis 2.000 Erzeugergruppen ihre Bio-Produkte in die EU. Der neuen Definition der Produzentengruppen entsprechen heute schätzungsweise ein Drittel aller derzeit zertifizierten Gruppen. 

Das bedeutet, dass zwei Drittel ihre rechtliche und organisatorische Struktur anpassen müssen, um weiterhin eine Bio-Zertifizierung zu erhalten. In Lateinamerika sind das circa 60 Prozent aller zertifizierten Gruppen, in Afrika und Asien circa 70 Prozent. In der Türkei sowie der Balkanregion werden sehr viele Produzenten künftig voraussichtlich nicht mehr als Gruppe sondern als Einzelbetriebe zertifiziert werden, da ihr bisheriges Zertifizierungsmodell der Produzentengruppe ohne Internes Kontrollsystem (IKS) mit 100 Prozent externer Kontrolle künftig nicht mehr möglich ist. Davon sind allein in der Türkei etwa 40.000 Bäuerinnen und Bauern betroffen.

20 Prozent der Erzeugergruppen gaben in der Online-Umfrage im Winter 2024 an, dass sie planen, sich mit den neuen Anforderungen nicht mehr nach EU-Bio zertifizieren zu lassen oder den Umfang der Bio-Zertifizierung zu reduzieren.  

Oekolandbau.de: Welche unterstützenden Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um die Auswirkungen der neuen EU-Bio-Verordnung auf Kleinbäuerinnen und Kleinbauern abzufedern? 

Florentine Meinshausen: Für viele Erzeugergruppen im Drittland sind die neuen Zertifizierungsanforderungen mit vielen Hürden und einem großen Aufwand verbunden.  Das erfordert zunächst eine Menge Verständnis für die Situation der Kleinbäuerinnen und -bauern, und zwar von allen Beteiligten, insbesondere von den Händlerinnen und Händlern aber auch bei den Behörden und Kontrollstellen. Es wäre wichtig, dabei lösungsorientiert zu arbeiten und an einem Strang zu ziehen besonders auch im Hinblick auf Vertragsprozesse und Preisverhandlungen. 

Es gilt Informations- und Bildungsangebote für Beraterinnen und Berater und Produzentinnen und Produzenten zum Verständnis der EU-Bio-Verordnung und ihrer umfangreichen Anforderungen bereitzustellen. Notwendig ist auch finanzielle Hilfe für die hohen Umstellungskosten, da viele Gruppen diese kurzfristigen Investitionen allein nicht stemmen können. Zusätzlich sollten Übergangsregelungen und Anpassungen bei erlaubten Substanzen berücksichtigt werden, um die Umsetzung zu erleichtern.  

Oekolandbau.de: Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des europäischen Bio-Markts in Bezug auf Verfügbarkeit und Preise von Produkten wie Kaffee, Kakao oder Bananen ein? 

Florentine Meinshausen: De facto gibt es drei Jahre nach der Umstellung auf die neue EU-Bio-Verordnung innerhalb der EU jetzt nochmals eine Umbruchssituation für Importware. Es steht ein riesiger Systemwechsel bevor. Da muss sich das Prozedere im ersten Jahr quasi erst "einruckeln". 

Die neuen Anforderungen erhöhen die internen wie externen Kosten für die Bio-Zertifizierungen, was viele Kleinbauernorganisationen unter Druck setzen könnte. Dies könnte dazu führen, dass einige Produzentinnen und Produzenten aufgeben oder ihre Zertifizierung in 2025 verlieren, weil sie die neuen Anforderungen nicht erfüllen können. 

Besonders Produkte aus tropischen Regionen wie Kaffee, Kakao oder Bananen könnten davon betroffen sein. Sie könnten auf dem europäischen Markt knapper und teurer werden. Für europäische Importunternehmen wächst die Gefahr von Lieferunterbrechungen und Preiserhöhungen. Das könnte wiederum Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von kleineren Produ-zenten erheblich einschränken. 

Langfristig wird die Verordnung jedoch die Integrität der Bio-Lieferketten stärken, auch wenn der Markt in der Zwischenzeit mit Preisschwankungen und Angebotslücken rechnen muss. Für besonders engagierte Unternehmen lassen sich so auf lange Sicht vielleicht sogar bessere Preise und eine gestärkte Marktposition erzielen.

Text: Dr. Ines Hensler, Ecocert


Letzte Aktualisierung 05.12.2024

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