Doch was bedeuten diese Momentaufnahmen für die weitere Entwicklung des Ökolandbaus? Jan Niessen, Professor für Strategische Marktbearbeitung in der Biobranche an der Technischen Hochschule Nürnberg, sieht vor allem Chancen für den Ökolandbau durch die Krise. Wie die Bohlsener Mühle baue der gesamte Bio-Markt viel mehr auf regionale Strukturen und sei so unabhängiger von Im- und Exporten. Das verleihe Stabilität bei den Lieferketten und Preisen.
Allerdings würden gerade in diesem Bereich auch Schwachstellen der Bio-Wertschöpfungsketten aufgedeckt. Dazu zählt Niessen etwa die große Abhängigkeit von China im Bereich Bio-Saatgut und Sojafuttermitteln, die vor allem in der Erzeugung von Bio-Produkten nach EU-Standard eingesetzt werden. "Das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Abhängigkeiten zu überdenken", meint Niessen.
Qualität und Herkunft werden beim Einkauf wichtiger
Zuversichtlich stimmen ihn die gesellschaftlichen Entwicklungen während der Krise. Niessen: "Die Menschen kochen gezwungenermaßen viel häufiger selbst und setzen sich deshalb automatisch mehr mit der Art der Erzeugung, der Qualität und Herkunft von Lebensmitteln auseinander. Und da landen Sie dann automatisch häufiger bei Bio-Produkten."
Außerdem beobachte man, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher beim Essen zu Hause häufiger etwas gönnen möchten, weil Restaurantbesuche entfallen. Das heißt, sie sind bereit, mehr Geld für hochwertige Lebensmittel auszugeben. Und das seien eben häufig Bio-Produkte.
Kein Einbruch nach Finanzkrise 2008
Dass ein möglicher Rückgang der Kaufkraft bei Anhalten der Krise auf den Bio-Markt durchschlägt, glaubt er dagegen nicht: "Bei der Finanzkrise im Jahr 2008 hatten wir eine ähnliche wirtschaftliche Situation wie heute. Damals hatten die finanziellen Einschnitte keinen Einfluss auf die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln. Ich gehe davon aus, dass das auch für diese Krise gelten kann."
Auch von politischer Seite verspricht er sich eher Rückenwind für den Ökologischen Landbau. So hätten Umweltministerinnen und -minister aus 17 EU-Staaten in einer gemeinsamen Veröffentlichung Anfang April 2020 bekräftigt, dass man trotz Coronakrise weiterhin am sogenannten European Green Deal für Nachhaltigkeit und Klimaschutz festhalten werde. Ein möglicher, auf Nachhaltigkeit ausgerichteter "Wiederaufbau" der europäischen Wirtschaft, beinhaltet für ihn auch eine weitere Ökologisierung der Landwirtschaft.
Wissenschaft ist gestärkt
"Außerdem hat die Politik in der aktuellen Krise gelernt, stärker auf die Wissenschaft zu hören", meint Niessen. "Und die Ergebnisse vieler wissenschaftlicher Studien zeigen ja ziemlich eindeutig, welche Vorteile die Ökologische Landwirtschaft für die Umwelt und Artenvielfalt bietet." Dennoch ist für ihn eines klar: "Welcher Weg der richtige ist, darüber wird es mit Sicherheit Kämpfe in der Politik geben, die sich bereits jetzt andeuten."