Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Ökolandbau aus?

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf den Ökolandbau aus?

Rekordumsätze im Naturkosthandel, ein Boom bei Bio-Abo-Kisten und eine Rückbesinnung auf den Wert regionaler Lieferketten. Der Bio-Branche profitiert derzeit von der Coronakrise. Aber gilt das für alle Betriebe gleichermaßen? Und welche Chancen ergeben sich mittelfristig für die Branche? Dazu haben wir bei landwirtschaftlichen Betrieben, Verarbeitungsunternehmen und Marktexpertinnen und Marktexperten nachgefragt.

Am 23. März 2020 erklärte die Bundesregierung die Landwirtschaft, und damit auch den Ökolandbau, zur systemrelevanten Infrastruktur. Im März 2020 stiegen die Umsätze für Bio-Lebensmittel um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Einige Geschäfte im Naturkostfachhandel brachten es sogar auf ein Plus bis zu 60 Prozent. Betriebe mit Bio-Abo-Kisten berichten von einem regelrechten Nachfrage-Boom und bitten ihre Kundinnen und Kunden teilweise schon darum, die Kisten selbst abzuholen.

Momentan erlebt der Ökolandbau einen weiteren Schub durch die plötzliche Krise. Doch wird der aktuelle Boom den Ökolandbau auch mittelfristig stärken? Denkbar wäre schließlich auch, dass die Angst vor Lebensmittelengpässen eher für die konventionelle Wirtschaftsweise spricht, mit Verweis auf höhere Erträge und günstigere Preise für Lebensmittel. Umso mehr stellt sich die Frage, wo der Ökolandbau in der Krise punkten kann und wo Schwachstellen deutlich werden.

Zeit der Hamsterkäufe ist vorbei

"Zunächst einmal ist die Zeit der Hamsterkäufe vorbei, auch im Biobereich", sagt Diana Schaack, Marktanalystin für den Öko-Landbau bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) in Bonn. Zudem zeigen die bisherigen Zahlen laut Schaack, dass Bio-Produkte besonders beliebt waren. Denn die krisenbedingten Umsatzzuwächse lagen bei vielen Bio-Produkten höher als im gesamten Lebensmittelmarkt. "Auffällig ist, dass neben den zuerst stark gefragten Nudeln, Mehl, Linsen, auch alle Frischeprodukte stark gefragt sind", sagt die Expertin.

Ein Vorteil für den Bio-Bereich ist aus ihrer Sicht der geringe Anteil von Bio-Produkten in der Außer-Haus-Verpflegung. "Der Einbruch der Nachfrage in diesem Bereich schlägt also kaum durch", erklärt Schaack. Bei der Direktvermarktung sei die Entwicklung dagegen unterschiedlich. Betriebe mit Hofläden in guten, stadtnahen Lagen hätten einen echten Boom erlebt, während direktvermarktende Betriebe in ungünstigen Lagen wegen der Ausgangsbeschränkungen mit ausbleibender Kundschaft und rückläufigem Umsatz leben müssten

Hohe Einbußen bei Tourismusangeboten

Das bestätigt auch Bio-Landwirt Dr. Wilhelm Schäkel, der einen 500 Hektar Betrieb im brandenburgischen Zempow nahe der Müritz betreibt. Betriebsschwerpunkte sind die Rindfleischerzeugung, eigene Hanfprodukte und Bauernhoftourismus. "Da wir in unseren Ferienwohnungen keine Touristen haben können, sind die Umsätze im Hofladen stark eingebrochen", berichtet Schäkel. "Denn Touristen machen hier wegen unserer abgeschiedenen Lage den Hauptumsatz aus."

Auch beim Verkauf von Bio-Rindfleisch gab es für ihn bisher keinen Umsatzschub, Preise und abgesetzte Mengen blieben nahezu unverändert. Außerdem findet er für seine Absetzer aus der Mutterkuhhaltung zur weiteren Mast kaum noch Abnehmerinnen und Abnehmer. Schäkel erklärt dies mit der derzeitigen Verunsicherung der Mästerinnen und Mäster bezüglich der Marktentwicklung.

Absatzschub durch weniger Ware aus China

Einen Schub gab es stattdessen für seine hofeigenen Hanfprodukte, vor allem für den selbstgemachten Hanftee. "Hier ist der Absatz plötzlich explodiert, weil die Importware aus China weggebrochen ist", erklärt Schäkel. Auch sein Hanföl wird deshalb von den Zwischenhändlern viel stärker nachgefragt. Allerdings konnte er die gewünschten Mengen bisher nur eingeschränkt liefern, weil es Corona-bedingte Lieferengpässe beim Hersteller der Ölflaschen in Italien gibt.

Anders stellt sich die Situation auf dem Stautenhof von Christoph Leiders dar, der verkehrsgünstig zwischen Krefeld und Mönchengladbach liegt. Der Bio-Betrieb hat sich auf die Direktvermarktung von Eiern und Fleisch spezialisiert, das in der betriebseigenen Metzgerei verarbeitet wird. "Alle Tiere, die wir verarbeiten, stammen von unserem Hof. So langsam geht uns das Fleisch aus, vor allem das Geflügel- und Schweinefleisch", berichtet Leiders.

Hof-Bistro entfällt als Kundenmagnet

Dennoch hat auch sein Betrieb unter den Einschränkungen zu leiden. Denn viele seiner Kundinnen und Kunden kommen wegen des Hof-Bistros, um anschließend im Laden einzukaufen. "Die fallen jetzt weg, weil das Bistro zu ist", sagt Leiders.

Deshalb hat er hier auch keine wesentlich höheren Umsätze, im Gegensatz zu benachbarten Betrieben, die Bio-Kisten ausliefern: "Die haben gerade richtig zu tun und verkaufen bis zu 70 Prozent mehr Ware." Neue Kundschaft verzeichnet er nicht in seinem Laden. Dafür hält ihm die Stammkundschaft die Treue. "Die kommen zwar seltener, kaufen dafür aber deutlich mehr als vor der Krise", sagt Leiders.

Kurz gefasst

Produktion vom Band in den Lkw

Auch die Bohlsener Mühle bei Uelzen, die sich auf die Verarbeitung von Bio-Getreide spezialisiert hat, spürt die wachsende Nachfrage in Coronazeiten. "Wir haben im März etwa 20 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahresmonat gehabt", erzählt Ingke Alsen, Pressesprecherin des Unternehmens. "Alles, was wir gerade produzieren geht direkt vom Band durch die Qualitätskontrolle in den Lkw. Dadurch gerät unsere Planung etwas aus den Fugen."

Doch eine Knappheit bei Bio-Getreide sieht sie derzeit nicht. Bis auf Dinkel seien alle Lager gut gefüllt. "Hier zahlt es sich aus, dass wir unser Getreide zu großen Teilen von deutschen Bio-Betrieben beziehen. So sind wir größtenteils unabhängig von internationalen Lieferketten", sagt Alsen.

Stabilität durch regionale Strukturen

Doch was bedeuten diese Momentaufnahmen für die weitere Entwicklung des Ökolandbaus? Jan Niessen, Professor für Strategische Marktbearbeitung in der Biobranche an der Technischen Hochschule Nürnberg, sieht vor allem Chancen für den Ökolandbau durch die Krise. Wie die Bohlsener Mühle baue der gesamte Bio-Markt viel mehr auf regionale Strukturen und sei so unabhängiger von Im- und Exporten. Das verleihe Stabilität bei den Lieferketten und Preisen.

Allerdings würden gerade in diesem Bereich auch Schwachstellen der Bio-Wertschöpfungsketten aufgedeckt. Dazu zählt Niessen etwa die große Abhängigkeit von China im Bereich Bio-Saatgut und Sojafuttermitteln, die vor allem in der Erzeugung von Bio-Produkten nach EU-Standard eingesetzt werden. "Das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Abhängigkeiten zu überdenken", meint Niessen.

Qualität und Herkunft werden beim Einkauf wichtiger

Zuversichtlich stimmen ihn die gesellschaftlichen Entwicklungen während der Krise. Niessen: "Die Menschen kochen gezwungenermaßen viel häufiger selbst und setzen sich deshalb automatisch mehr mit der Art der Erzeugung, der Qualität und Herkunft von Lebensmitteln auseinander. Und da landen Sie dann automatisch häufiger bei Bio-Produkten."

Außerdem beobachte man, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher beim Essen zu Hause häufiger etwas gönnen möchten, weil Restaurantbesuche entfallen. Das heißt, sie sind bereit, mehr Geld für hochwertige Lebensmittel auszugeben. Und das seien eben häufig Bio-Produkte.

Kein Einbruch nach Finanzkrise 2008

Dass ein möglicher Rückgang der Kaufkraft bei Anhalten der Krise auf den Bio-Markt durchschlägt, glaubt er dagegen nicht: "Bei der Finanzkrise im Jahr 2008 hatten wir eine ähnliche wirtschaftliche Situation wie heute. Damals hatten die finanziellen Einschnitte keinen Einfluss auf die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln. Ich gehe davon aus, dass das auch für diese Krise gelten kann."

Auch von politischer Seite verspricht er sich eher Rückenwind für den Ökologischen Landbau. So hätten Umweltministerinnen und -minister aus 17 EU-Staaten in einer gemeinsamen Veröffentlichung Anfang April 2020 bekräftigt, dass man trotz Coronakrise weiterhin am sogenannten European Green Deal für Nachhaltigkeit und Klimaschutz festhalten werde. Ein möglicher, auf Nachhaltigkeit ausgerichteter "Wiederaufbau" der europäischen Wirtschaft, beinhaltet für ihn auch eine weitere Ökologisierung der Landwirtschaft.

Wissenschaft ist gestärkt

"Außerdem hat die Politik in der aktuellen Krise gelernt, stärker auf die Wissenschaft zu hören", meint Niessen. "Und die Ergebnisse vieler wissenschaftlicher Studien zeigen ja ziemlich eindeutig, welche Vorteile die Ökologische Landwirtschaft für die Umwelt und Artenvielfalt bietet." Dennoch ist für ihn eines klar: "Welcher Weg der richtige ist, darüber wird es mit Sicherheit Kämpfe in der Politik geben, die sich bereits jetzt andeuten."


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Letzte Aktualisierung 04.05.2020

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