Carbon Farming: Handel mit Humuszertifikaten

Carbon Farming: Handel mit Humuszertifikaten

Der Emissionshandel ist in Zeiten der Klimakrise ein wachsender Geschäftsbereich – auch für die Landwirtschaft. CO2-Zertifikate honorieren einen gezielten Humusaufbau, um Kohlenstoff im Boden zu binden und damit CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen. Klingt erstmal gut. Der Handel mit den sogenannten Humuszertifikaten ist aber umstritten.

Landwirtschaftliche Böden spielen in der Klimaschutzdebatte eine immer bedeutendere Rolle, denn in Ihnen steckt ein enormes Potenzial zur Speicherung von Kohlenstoff. Böden speichern rund viermal so viel Kohlenstoff wie die oberirdische Vegetation. Verantwortlich dafür ist vor allem der Humus im Boden (siehe Infokasten).

Warum Humus gut fürs Klima ist

Pflanzen nehmen Kohlendioxid und Wasser auf und erzeugen daraus mithilfe von Sonnenlicht energiereiche organische Stoffe und Sauerstoff. Sterben die Pflanzen ab, werden sie im Boden zersetzt und durch Bodenorganismen in ihre Bestandteile zerlegt. Ein Teil des in ihnen gebundenen Kohlenstoffs wird dabei wieder als CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Liegt genügend Biomasse vor, kann ein Teil des Kohlenstoffs aber auch längerfristig im Boden festgelegt werden – und zwar im Humus. Dabei gilt: Je mehr organische Masse im Boden, umso mehr Humus und umso mehr Kohlenstoff kann gespeichert werden.

Eine Humusanreicherung in landwirtschaftlichen Böden ist daher aktiver Klimaschutz. Laut Thünen-Institut könnten durch humusbildende Maßnahmen wie den zusätzlichen Anbau von Zwischenfrüchten oder die Etablierung von Agroforstsystemen in Deutschland pro Jahr im besten Fall etwa fünf Millionen Tonnen CO2 als Bodenkohlenstoff zusätzlich im Acker gebunden werden – das entspricht in etwa dem Kohlenstoff-Fußabdruck von 460.000 Deutschen.

Humus ist gleichzeitig auch die Grundlage für Bodenfruchtbarkeit. Der Erhalt und die Förderung von Humus sollte daher eigentlich im ureigensten Interesse aller Landwirtinnen und Landwirte liegen. Fakt ist jedoch, dass die Agrarböden derzeit eher von Humusverlusten betroffen sind. Nicht nur weltweit, auch in Deutschland: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen Instituts gehen in der 2018 veröffentlichten Bodenzustandserhebung davon aus, dass bis zum Jahr 2028 organischer Kohlenstoff in Höhe von 0,19 Tonnen pro Hektar verloren gehen wird.

Humusaufbau honorieren über CO2-Zertifikate

Um diesem Trend entgegenzusteuern, werden derzeit Möglichkeiten diskutiert, wie man Landwirtinnen und Landwirte dabei unterstützen kann, die Humusgehalte auf ihren Flächen zu erhöhen. Eine bereits praktizierte Maßnahme ist die Honorierung der Kohlenstoffanreicherung mithilfe von CO2-Zertifikaten – auch Humuszertifikate genannt. Landwirtinnen und Landwirte schließen dabei mit spezialisierten Zertifizierungsunternehmen einen Vertrag über eine vereinbarte Laufzeit ab – in der Regel fünf bis 20 Jahre. Darin verpflichten sie sich, innerhalb des gesteckten Zeitrahmens den Humusgehalt ihrer Böden zu erhöhen – mithilfe regenerativer Maßnahmen. Dazu zählen zum Beispiel die Erweiterung der Fruchtfolge, der Anbau von Zwischenfrüchten oder Untersaaten, die Anlage mehrjähriger Kulturen wie Kleegras oder eine reduzierte Bodenbearbeitung. Zum Ende der Vertragslaufzeit messen und zertifizieren die Unternehmen dann die tatsächlich umgesetzte CO2-Bindung auf dem Acker und bezahlen dem Betrieb eine Prämie dafür. Anstatt zu messen, berechnen manche Zertifizierer auch die anzunehmende Kohlenstoffspeicherung für bestimmte Maßnahmen auf Basis von wissenschaftlichen Studien – dadurch entstehen keine zusätzlichen Kosten für Bodenproben.

Die Zertifikate über die jeweilige CO2-Bindung verkaufen die Zertifizierungsunternehmen dann weiter an Unternehmen, die ihre eigenen Treibhausgas-Emissionen kompensieren wollen.

Humuszertifikate sind sehr beliebt

Die Nachfrage nach solchen Humuszertifikaten ist derzeit groß. Und auch das Interesse der Landwirtinnen und Landwirte an diesem Geschäftsmodell nimmt stetig zu. Der Zertifikatehändler Carbocert, einer der Pioniere in diesem Bereich, hat eigenen Angaben zufolge inzwischen Verträge zum Humusaufbau mit mehr als 370 Landwirtschaftsbetrieben auf einer Fläche von über 15.000 Hektar abgeschlossen. Wegen des stark ansteigenden Interesses sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Zertifizierer hinzugekommen.

Auch die EU-Kommission sieht Potenzial in dieser Methode und will den Handel mit Humuszertifikaten künftig mehr fördern, indem sie bis Ende 2022 einen verlässlichen Rechtsrahmen für die Zertifizierung schafft.

Kritik am System des Humuszertifikate-Handels

Humusgehalte über CO2-Zertifikate steigern und das Klima schützen, dabei die Bodenfruchtbarkeit verbessern und gleichzeitig Landwirtinnen und Landwirten ein zusätzliches Einkommen verschaffen. Klingt erstmal gut. Die Sache hat aber leider einige Haken.

Ende 2021 haben sich mehr als 30 Institutionen und Personen aus Landwirtschaft und Wissenschaft sowie Klima- und Umweltschutz in einem gemeinsamen Positionspapier gegen eine Kompensation von Treibhausgas-Emissionen durch Humusaufbau via CO2-Emissionszertifikaten ausgesprochen. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Papiers unterstützen zwar grundsätzlich die Ziele des Humuserhalts und des Humusaufbaus in Böden. Der Generierung von CO2-Zertifikaten für die Festlegung von Kohlenstoff in Böden und dem Handel damit steht das Bündnis jedoch kritisch gegenüber. Dafür führt das Bündnis gleich mehrere Gründe an und beruft sich dabei vor allem auf Untersuchungen des Thünen-Instituts sowie auf eine Studie des BonaRes-Zentrums für Bodenforschung – die sogenannte Wiesmeier-Studie.

Kohlenstoffbindung langfristig nicht gewährleistet

Aus Sicht des Bündnisses ist Humusaufbau als Klimaschutzmaßnahme nur dann wirksam, wenn die Kohlenstoffspeicherung dauerhaft erfolgt und die entsprechende Menge CO2 auch langfristig der Atmosphäre entzogen bleibt. Dies sei jedoch über den Humuszertifikate-Handel im Rahmen des Carbon Farming nur schwer zu gewährleisten. Ein Problem sei zum Beispiel, dass der Humusaufbau reversibel ist. Das heißt, verringern oder stoppen die landwirtschaftlichen Betriebe die humusaufbauenden beziehungsweise -erhaltenden Maßnahmen, wird der im Boden gebundene Kohlenstoff wieder als CO2 freigesetzt. Unberücksichtigt bleibe in vielen Geschäftsmodellen auch der Effekt des Klimawandels. Denn die Klimaerwärmung wird dazu führen, dass sich der Humus künftig um einiges schneller wieder abbaut.

Bei der Zertifizierung müsste also sichergestellt werden, dass die angerechnete Klimaschutzleistung auch über die vereinbarte Vertragslaufzeit hinaus erhalten bleibt. Dies sei derzeit aber in der Regel nicht gewährleistet. Unklar ist meist auch, ob und wer dafür haften muss, wenn das gesteckte Humusziel nicht erreicht wird oder der Humus nach einigen Jahrzehnten wieder verlorengeht. Meist liegt das Risiko für solche nicht erbrachte Leistungen bei den Landwirtinnen und Landwirten.

Zusätzlicher Effekt oder nicht?

Häufig ist es schwierig zu trennen, welche der regenerativen Maßnahmen zum Humusaufbau im Rahmen der üblichen Ackerbodenpflege und welche durch zusätzliche zertifizierbare Maßnahmen im Rahmen des Carbon Farmings erbracht werden. Einige Maßnahmen zum Humusaufbau werden durch Förderprogramme seit Jahren bereits finanziell unterstützt, wie zum Beispiel der Anbau von Zwischenfrüchten oder die Anlage von mehrjährigen Blühflächen. Ebenso werden Fördergelder für den ökologischen Anbau bereitgestellt, bei dem viele regenerative Maßnahmen wie vielfältige Fruchtfolgen, permanente Bodenbedeckung oder Kleegrasanbau bereits die Grundlage sind.

Verlagerungseffekte

Ein weiterer kritischer Punkt, so das Bündnis, seien die sogenannten Verlagerungs- oder Verschiebungseffekte. Ein Verlagerungseffekt liegt zum Beispiel dann vor, wenn Pflanzenmasse von einer Fläche A auf eine Fläche B des Betriebs befördert wird, um dort einen Humusaufbau zu bewirken. Die beförderte Pflanzenmasse fehlt dann für den Humusaufbau auf Feld A und erbringt unterm Strich keinen zusätzlichen Nutzen für das Klima. Bei einer CO2-Kompensation durch Humuszertifikate müssten solche Verlagerungseffekte also mit einberechnet werden. Das ist aber nicht immer der Fall.

Mangelnde Fairness

Einige Betriebe – darunter viele Öko-Betriebe – betreiben freiwillig bereits seit Jahrzehnten humusaufbauende Landwirtschaft auf ihren Flächen und können dadurch hohe Humusgehalte in ihren Böden nachweisen. Da sich die Humusgehalte in landwirtschaftlichen Böden aber nicht unbegrenzt erhöhen lassen, haben sie meist nur noch ein geringes Potenzial für weiteren Humusaufbau.

Die Pionierinnen und Pioniere der humusaufbauenden Landwirtschaft könnten also nicht von einem zusätzlichen Einkommen aus Humusaufbau-Zertifikaten profitieren, obwohl sie seit Jahren bereits die zu honorierenden Praktiken umsetzen. Umgekehrt können Landwirtinnen und Landwirte, die seit Jahrzehnten über eine intensive, rein gewinnorientierte Landwirtschaft Humusverluste auf ihren Flächen in Kauf genommen haben, über den Humuszertifikate-Handel Geld am Humuswiederaufbau verdienen. Aufgrund dieser ungleichen Voraussetzungen wäre ein Humuszertifikatehandel aus Sicht des Bündnisses nicht fair.

Fazit: Anreiz für Humusaufbau besser über einkommenswirksame Fördergelder schaffen

Der Handel mit Humuszertifikaten, so fasst das Bündnis aus Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zusammen, untergrabe die europäischen Klimaschutz-Bemühungen. Unternehmen würden ermutigt, eine nicht exakt messbare (siehe Infokasten) und leicht wieder umkehrbare Speicherung von Kohlenstoff im Boden als Ersatz für eine konsequente Minderungsstrategie in ihren eigenen Wertschöpfungsketten zu nutzen.

Humusnachweis aufwendig und ungenau

Der Nachweis des Humusgehaltes über Bodenproben ist sehr aufwendig und nicht immer eindeutig, denn je nach Bodentyp, Niederschlag, Temperatur und Bearbeitung wird unterschiedlich viel Humus gespeichert.

Die zeichnenden Institutionen und Personen fordern daher eine für Landwirtinnen und Landwirte einkommenswirksame Förderung humusaufbauender und -erhaltender Bewirtschaftungsmaßnahmen bei der Ausgestaltung agrarpolitischer Steuerungsinstrumente und sehen die Notwendigkeit einer Abstimmung mit Förderprogrammen auf europäischer und nationaler Ebene.

Noch keine abgeschlossene Position seitens der Öko-Anbauverbände

Die ökologischen Anbauverbände zählen nicht zu den Unterzeichnern des Positionspapiers. Auf Anfrage von oekolandbau.de teilte Naturland mit, dass der Verband grundsätzlich die Kritik am Handel mit Humuszertifikaten, wie er sich derzeit darstelle, teile. "Die alleinige Fokussierung auf Humus greift zu kurz und würde tendenziell sogar dazu führen, dass ausgerechnet Öko-Betriebe, die ja seit Jahren schon Humus aufbauen, eher behindert würden", sagt Sebastian Mittermaier, Naturland Geschäftsleiter Politik und Nachhaltigkeit. Dennoch könne ein Zertifikatehandel ein sinnvolles Instrument sein, um die Leistungen von Öko-Betrieben für Humusaufbau und CO2-Bindung zu unterstützen. Dafür müssten die derzeitigen Humuszertifikate aber weiterentwickelt werden zu langfristiger angelegten und inhaltlich breiter gefassten Öko-Systemzertifikaten, bei denen auch andere wichtige Leistungen wie etwa der Anbau von vielfältigen Zwischenfrüchten, Leistungen für die Biodiversität, Schutz des Grundwassers sowie die jeweiligen Standortbedingungen berücksichtigt würden.

Der Bioland-Verband schreibt dazu: "Die Diskussion um das Thema Humuszertifikatehandel ist sehr komplex und beschäftigt auch den Bioland-Verband." Wie eine Erfassungs- sowie Berechnungsmethodik aussehen könne und welche freiwilligen oder verbindlichen politischen Instrumente dazu implementiert werden sollten, sind dabei Kernfragen. Auch das "Boden.Klima"-Projekt der Bioland-Stiftung beschäftige sich intensiv mit dem Thema. Es sei also noch viel im Fluss, weswegen es seitens des Bioland-Verbands noch keine abgeschlossene Position gebe.


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Letzte Aktualisierung 23.02.2022

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