Lebensmittelhändlerinnen und -händler sollten ihr Qualitätsmanagement kritisch untersuchen und den Verlusten von Lebensmitteln durch Verderb und Bruch entgegenwirken. Der Handel hat Möglichkeiten, die Warenverluste möglichst gering zu halten. Eine bedarfsgerechte Bestellung der Ware ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
"Pakt gegen Lebensmittelverschwendung"
Mit dem Ziel, Lebensmittelabfälle im Groß- und Einzelhandel in Deutschland systematisch zu verringern, wurde vom September 2019 bis Jahresende 2022 das Dialogforum Groß- und Einzelhandel durchgeführt. Im Juni 2023 haben das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und 14 Unternehmen des deutschen Lebensmittelgroß- und Einzelhandels eine Vereinbarung zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen abgeschlossen.
Mit dem "Pakt gegen Lebensmittelverschwendung" verpflichteten sich die unterzeichnenden Unternehmen auf konkrete Reduzierungsziele und verpflichtende Reduzierungsmaßnahmen – sowohl im eigenen Unternehmen als auch an den Schnittstellen zu den vor- und nachgelagerten Bereichen der Lebensmittelversorgungskette. Mit den richtigen Maßnahmen soll die Wertschätzung von Lebensmitteln gefördert und ein verantwortungsvollerer Umgang mit Lebensmitteln in der Gesellschaft gestärkt werden.
Wo treten Lebensmittelverluste im Lebensmittelhandel auf?
Bei der Produktion für den Frischmarkt gehen durchschnittlich mehr als 25 Prozent der genussfähigen Salate und Möhren verloren, so das Ergebnis des Forschungsprojekts REFOWAS (siehe Thünen Report 73 (PDF_Datei)). Auf den nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette verursachen
- lange Transportwege,
- witterungsbedingte Nachfrageschwankungen und
- das Wareneinkaufsmanagement in den Filialen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH)
zum Teil hohe Verluste. Auch die LEH-Vorgaben zum Mindesthaltbarkeitsdatum führen zu den Abschriften, die teilweise bis zu fünf Prozent und mehr betragen – je nach Warengruppe. Besonders hohe Verluste treten bei Gemüse und Obst auf.
Was sind Abschriften?
Abschriften werden die Verluste im Einzelhandel genannt, die den Rohertrag schmälern. Abschriften sind damit nicht zu verwechseln mit Abschreibungen, die im Rechnungswesen die Wertminderungen in Anlage- und Umlaufvermögen erfassen.
(Quelle: Lebensmitteleinzelhandel.com)
Trotz aller Bemühungen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) lassen sich Abschreibungen durch Bruch und/oder Verderb der Waren nicht vollständig vermeiden. Dabei sind die Verluste in den Frischesortimenten laut Aussagen des EHI Retail Instituts deutlich höher als in Trockensortimenten, da diese in der Regel deutlich weniger empfindlich und länger haltbar sind. Überdurchschnittlich hohe Verluste waren einer EHI-Analyse zufolge in den Vergleichsjahren 2019 und 2020 bei Brot und Backwaren, aber auch bei Obst und Gemüse zu verzeichnen.
Tipps zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen:
- Optimierung von Bestellpolitik und -prozess sowie der Kommunikation zwischen der Kundschaft und den Lebensmittelerzeugerinnen und -erzeugern. (Marktschwärmerei als Vorbild)
- kurze Transportwege (Regionalität)
- Mehrstufen-System: Preisreduzierung von Waren zum Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) beispielsweise mit 20 oder 50 Prozent Minderung vom Verkaufspreis; Backwarenangebote vom Vortag; Abgabe von nicht verkaufsfähiger Ware an Mitarbeitende, Lebensmittelretterinnen und -retter sowie Institutionen wie Tafeln oder lokale, gemeinnützige Vereine
- Aufklärung und thematische Sensibilisierung von Kundinnen und Kunden
- Saisonale Verkaufsstrategien (Saisonale Begrenzung beim Obst- und Gemüseverkauf)
- Bedarfsgerechte Bestellung: Anpassung des Warenangebots an die saisonale Nachfrage (beispielsweise Spargel zu Ostern)
- Platzierung neuer Ware hinter oder unter der älteren Ware ("first in- first out Prinzip")
- Angebot von nicht der Norm entsprechenden Lebensmitteln, anstatt diese im Vorfeld bereits auszusortieren
Bereits früh in der Wertschöpfungskette werden essbare Lebensmittel wegen der hohen Ansprüche des Handels an die äußere Qualität aussortiert. Die krumme Gurke steht schon fast symbolisch dafür: Obwohl sie geschmacklich ohne Einbußen ist, wird sie aussortiert, weil sie sich nicht effizient lagern und weiterverarbeiten lässt. Aber auch Äpfel mit kleinen Fehlstellen oder verwachsene Kartoffeln kommen gar nicht erst ins Verkaufsregal, weil sie schlechter verkäuflich sind. Damit die Auslage bis abends voll ist, wird auch spät am Tag Brot gebacken, das dann niemand mehr kauft.
Einige Handelsketten haben bereits reagiert und verkaufen Obst und Gemüse, welches äußerlich nicht makellos ist, zu einem reduzierten Preis. Die Naturgut Bio-Helden bei Penny sind seit 2016 ein Beispiel für die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Außerdem spenden viele Unternehmen regelmäßig Lebensmittel, die nicht mehr verkauft, aber noch gegessen werden können, an die Tafeln. Diese Spenden sind jedoch freiwillig – anders als in Frankreich: Dort sind Supermärkte mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern verpflichtet, ihre unverkauften Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu spenden. Supermärkte, die dennoch Lebensmittel wegwerfen, können hohe Bußgelder erhalten
In der Initiative Foodsharing.de kooperieren Handelsunternehmen mit den sogenannten Foodsavern gegen Lebensmittelverschwendung. Foodsaver sind die Personen, die die vom Lebensmitteleinzelhandel abgegeben Lebensmittel entgegennehmen. Ein Großteil der geretteten Lebensmittel wird bei den Foodsavern an Vereine, Tafeln, Suppenküchen, Freundinnen oder Freunde, Nachbarinnen oder Nachbarn, und über das foodsharing-Netzwerk oder Fair-Teiler (öffentliche Regale zum Austausch von Lebensmitteln) verschenkt. Die Betriebe können ihre Lebensmittelabfälle reduzieren und ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen.
Vier Fragen an Marktexperten Dr. Hans-Christoph Behr
Oekolandbau.de fragte Dr. Hans-Christoph Behr, Marktexperte für Obst und Gemüse bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI), nach seiner Einschätzung der Lebensmittelverluste im Handel.
Oekolandbau.de: Warum sind die Abschriften von Obst und Gemüse im Handel so hoch?
Behr: Bei Obst und Gemüse wird von relativ hohen Abschriften ausgegangen. Die meisten Verluste entstehen durch Verderb, zum Beispiel dem Ablaufen des MHD oder Verbrauchsdatums. Ein kleinerer Teil entsteht durch Bruch der Ware. Verluste sind bei frischem Obst und Gemüse verständlicherweise höher als im Trockensortiment wie beispielsweise Konserven oder Tiefkühlware.
Oekolandbau.de: Gibt es bestimmte Gemüse- und Obstarten, die besonders hohe Abschriften haben?
Behr: Die Abschriften bei Standardartikeln wie Möhren und Äpfel, die kontinuierlich abverkauft werden, weniger empfindlich sind und nicht lange im Laden liegen, sind auf jeden Fall niedriger. Bei Fresh Cut-Salaten werden sicherlich höhere Abschriften erreicht. Auch weniger gängige Produkte, wie zum Beispiel Fenchel, haben höhere Abschriften. Der Einzelhändler nimmt eine ganze Kiste ab, verkauft aber nur wenige Stück. Hier werden die hohen Verluste in Kauf genommen, um ein breites Sortiment anbieten zu können.
Auch Blattgemüse hat höhere Verluste im Handel, weil es empfindlich ist, und dasselbe gilt auch für Beerenobst, auch wenn hier durch die aufwändige Verpackungstechnik der Verderb der empfindlichen Beeren schon deutlich gesenkt wurde.
Oekolandbau.de: Wie kann der Handel Abschriften minimieren?
Behr: Optimierte Verpackungen können durch ihre Schutzfunktionen helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Verdunstungsschutz vermindert Abschriften erheblich. Auch Schutzeigenschaften gegen Druck erhöhen die Haltbarkeit des Produkts. Der Verkauf von Beerenobst ohne Schutzverpackung wäre im LEH nicht möglich. Die Konsumentin beziehungsweise der Konsument wollen Obst und Gemüse besonders frisch und lose einkaufen. Dann gibt es gewissermaßen ein Paradox. So werden zum Beispiel Bundmöhren mit Grün im Laden angeboten. Das grüne Laub signalisiert die Frische der Möhren, erhöht jedoch die Verderblichkeit. Gemüse und Obst atmet nach der Ernte im Laden weiter und die Möhren wären ohne das Laub länger haltbar.
Oekolandbau.de: Gibt es Konzepte des Handels, wie der Lebensmittelverschwendung entgegengewirkt werden kann?
Behr: Ja, auf jeden Fall, denn der Handel hat ja schon allein aus wirtschaftlichen Gründen ein großes Interesse, Lebensmittelverluste zu vermeiden. Beispielsweise haben manche Einzelhändlerinnen und -händler erkannt, dass es besser ist, hochwertige Produkte an der Theke zu verkaufen. Die Kundschaft kauft dann wirklich nur das ein, was zum Essen benötigt wird und die Produkte werden frisch eingepackt. Auch hat man bei Thekenware einen konkreten Verzehranlass im Kopf und kauft sich die Zutaten für geplante Mahlzeiten.