30 Prozent Öko-Landbau in Deutschland – Herausforderungen für den Handel?

30 Prozent Öko-Landbau in Deutschland – Herausforderungen für den Handel?

Mit der Zielvorgabe, 30 Prozent Öko-Landbau in Deutschland bis 2030 zu erreichen, stehen Handelsunternehmen vor der Aufgabe, Absatzmöglichkeiten für Bio-Lebensmittel zu schaffen. Wie ist der Stand der Dinge und welche konkreten Forderungen bestehen hierzu an die Politik?

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag 2021 das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 den Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen in Deutschland auf 30 Prozent zu steigern. Damit liegt das Ziel über der Vorgabe der EU, die im Rahmen der "Farm to-Fork" bislang ist der deutsche Öko-Landbau noch weit von der Zielerreichung entfernt. Der Anteil des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche lag im Jahr 2021 bei elf Prozent. Das jährliche Flächenwachstum müsste mindestens elf Prozent betragen, um auf eine rechnerische Bio-Fläche von 5,1 Millionen Hektar zu kommen. So wird etwa die Zukunftsstrategie ökologischer Landbau in einem ressortübergreifenden Prozess weiterentwickelt. Damit sollen Hürden aus dem Weg geräumt werden, die der Erzeugung, der Verarbeitung, der Vermarktung und dem Verbrauch von Bio-Lebensmitteln im Weg stehen. Aber für das Wirtschaftsjahr 2022/23 erwarten die meisten Marktbeteiligten eher noch geringere Umstellungsraten als im Wirtschaftsjahr 2021/22. Die nicht einschätzbaren Bau- und Energiekosten erschweren die Planung einer Betriebsumstellung. Auch die Preissprünge am konventionellen Markt bei manchen Produkten und die hohen Futterkosten halten manche Landwirtinnen und Landwirte davon ab. Dennoch wäre wichtig, dass gerade jetzt viele Betriebe umsteigen, damit auch in zwei bis drei Jahren der Markt bedient werden kann.

Handelsunternehmen mit klaren Vorstellungen für mehr Bio

Um die erforderlichen Rahmenbedingungen für mehr Bio zu schaffen, hat der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V. (BVHL) gemeinsam mit Lebensmittelhandelsunternehmen Vorschläge in einem Positionspapier erarbeitet. Folgende Punkte werden dabei konkret gefordert:

  • Erhöhung der Konsumentennachfrage mithilfe einer staatlichen Informationskampagne
  • Unterstützung von Umstellungsbetrieben
  • Verbesserung des Genehmigungsrechts (Bundes- und Länderebene)
  • Schaffung eines Logos für die Deklaration von Umstellungsware
  • Mehr Flexibilität in der Vermarktung von Bio-Obst und -Gemüse durch erweiterte Toleranzen innerhalb der Normen
  • Zusätzliches Personal bei Kontrollstellen, Beratung und Verwaltung
  • Förderung des Ausbaus von privatwirtschaftlichen Verarbeitungskapazitäten
  • Forschung zu effizienzorientierten Züchtungen im ökologischen Anbau fördern
  • Mehrdimensionaler Blick und kohärente Politik: Nachhaltigkeitskennzeichnung mitgestalten
  • Bio national sowie im europäischen Binnenmarkt fördern

Ausgaben für Bio-Lebensmittel steigen

In den vergangenen Jahren sind die Verbraucherausgaben für Bio-Lebensmittel und -Getränke in Deutschland gestiegen. Die Trendberechnung weist einen jährlichen Anstieg von acht Prozent zwischen den Jahren 2007 und 2021 aus. Entsprechend hat sich auch der Bio-Anteil am Gesamtmarkt erhöht. Im Jahr 2021 lag der Gesamtumsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland bei knapp 16 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von knapp sieben Prozent am gesamten Lebensmittelumsatz. Dabei konnte der Lebensmitteleinzelhandel (inklusive Drogerien) stetig Umsatzanteile hinzugewinnen. Zuletzt erreichte er einen Umsatzanteil von 62 Prozent. Im Gegenzug büßte der Naturkostfachhandel Anteile ein. 2021 hatte er einen Umsatzanteil von 22 Prozent am Bio-Gesamtmarkt inne, nachdem es 2007 noch 31 Prozent gewesen sind.

Was bedeuten 30 Prozent Bio für den Handel?

Mehr Bio-Flächenwachstum erfordert mehr Absatzmöglichkeiten für Bio-Lebensmittel. An dieser Stelle sind die Handelsunternehmen gefordert. Impulse hierzu lieferte unter anderem die DLG-Wintertagung im Februar 2022, wo Bio-Unternehmerinnen und -unternehmer aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Beratung intensiv zum Thema 30 Prozent Öko-Landbau diskutierten. Demnach sei es wichtig, Absatz- und Erzeugungsmengen bestmöglich aufeinander abzustimmen, um ein Überangebot zu vermeiden. So sollten Bio-Landwirtinnen und -Landwirte bereits bei der Anbauplanung mit den Abnehmenden im Gespräch sein. Die erzielten Preise sollen zudem die Kosten der gesamten Wertschöpfungskette ehrlich abbilden. Auch Logistikprozesse müssen entsprechend angepasst werden, beispielsweise bei der Belieferung von Zentrallagern.

Handelsunternehmen sind eigenen Angaben zufolge bereits seit einigen Jahren Partnerschaften mit Bio-Anbauverbänden eingegangen (zum Beispiel Rewe seit 2009 mit Naturland oder Lidl seit 2018 mit Bioland). Auf diese Weise konnte ein größerer Kundenkreis erschlossen werden. Daneben sind die Handelsunternehmen nach wie vor bei der Platzierung und Ausweitung des Angebots an Bio-Lebensmitteln mittels innovativer Konzepte gefordert.Das Thema Nachhaltigkeit bleibt für die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin ein wichtiges Kaufkriterium bei Lebensmitteln, so dass regionale Lebensmittel ebenso wie fleischfreie, pflanzenbasierte Kost künftig weiter gefragt sein werden. Das ist eine gute Basis für den Absatz von Bio-Produkten. Entscheidend dabei sei letztendlich auch der Wille des Handels, Bio listen und verkaufen zu wollen, so ein Ergebnis der DLG-Wintertagung. Dass 30 Prozent Umsatz mit Bio im Handel machbar sind, hat das Handelsunternehmen tegut bereits in den Jahren 2020 und 2021 bewiesen.

Drei Fragen an Marcus Wewer, Qualitätssicherung Bio-Eigenmarken der REWE Group

Marcus Wewer leitet seit über fünf Jahren die Qualitätssicherung der Bio-Eigenmarken von REWE und PENNY. Er ist seit über 30 Jahren in der Bio-Branche tätig und seit eineinhalb Jahren im Vorstand des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) und vertritt dort den Lebensmittelhandel.

Oekolandbau.de: Worin bestehen momentan die größten Herausforderungen für Handelsunternehmen, das Ziel 30 Prozent Öko-Landbau bis 2030 umzusetzen?

Marcus Wewer: Grundsätzlich ist dem klassischem Lebensmitteleinzelhandel die Bedeutung und damit die Verantwortung zur Erreichung von 30 Prozent Öko-Landbau sehr bewusst. Fast Zweidrittel des Umsatzes mit Bio-Produkten werden im Lebensmitteleinzelhandel getätigt. Wenn also der Anteil des Öko-Landbaus in der Fläche steigt, müssen diese Rohwaren als Lebensmittel den Weg in die Regale und zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern finden. Das ist die Aufgabe des Handels.

Aktuell stagniert seit Jahren erstmalig der Anteil von Bio-Produkten am Gesamtabsatz von Lebensmitteln. Ansonsten sind wir es gewohnt, dass Bio-Produkte einen wachsenden Markt bilden. Dennoch bleiben die Kundinnen und Kunden Bio treu, sie wechseln aber zum Teil von Marke zu Eigenmarke und die Einkaufsquelle, vom Fachhandel Richtung Discount. Bei REWE und PENNY ist der Umsatz an Bio-Produkten stabil, allerdings auch mit zum Teil gestiegenen Preisen.

Die Diskussion um Klima und Schutz von Boden, Wasser und Luft, aber auch über Tierwohl sind die bestimmenden gesellschaftlichen Themen. Hier hat Bio die tragfähigen Antworten für die Zukunft. REWE und PENNY sind überzeugt, dass wir auch weiterhin mehr Menschen überzeugen werden, für eine nachhaltigere und zukunftsfähige ökologische Landwirtschaft Bio-Produkte zu kaufen.

Oekolandbau.de: Welche Maßnahmen wären seitens der Politik wünschenswert, um dieses Ziel zu erreichen?

Marcus Wewer: Das Ziel ist 30 Prozent Bio auf dem Acker und im Regal. Für die landwirtschaftliche Seite gibt es Förderkulissen, die auszubauen sind. Die Umstellungsberatung muss sicher ausgeweitet werden, ebenso wie die Anbauberatung für bestehende Bio-Betriebe. Die Mittel für Forschung in der Öko-Züchtung, in tierwohlgerechte Stallsystem, in Humusaufbau oder die Symbiose von Leguminosen und Knöllchenbakterien zur besseren Stickstoffbindung sind deutlich zu erhöhen.

Für den Handel ist eine Informationskampagne der Bundesregierung über die Vorzüge des ökologischen Landbaus wichtig. Seit Einführung des Bio-Siegels vor 20 Jahren durch Renate Künast hat es keine Aufklärung mehr für Bio gegeben. Warum ist Bio gut fürs Klima, was tut Bio für den Boden- und Gewässerschutz, ist Bio gut für sauberes Trinkwasser, hilft Bio Insekten zu überleben, fördert Bio die Biodiversität und heißt Bio mehr Tierwohl?

Oekolandbau.de: Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin zum Kauf von Bio-Lebensmitteln animiert werden?

Marcus Wewer: Ehrliche und authentische Antworten auf die Fragen der Zeit. Bio muss sauber bleiben, daher ist das Kontrollsystem von eminenter Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Öko-Landbaus und von Bio-Produkten.


Letzte Aktualisierung 07.12.2022

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