Neuer Leitfaden BioZier ermöglicht effiziente Öko-Kontrolle

Neuer Leitfaden BioZier ermöglicht effiziente Öko-Kontrolle

Seit Anfang November ist der neue "Leitfaden BioZier" online. Er bietet einen umfassenden Überblick über die ökologische Zierpflanzenproduktion und Vermarktung. Im Interview erläutert das Projektkoordinationsteam, wie die gesamte Öko-Zierpflanzenbranche von dem Leitfaden profitieren kann.

An dem vierjährigen Projekt des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL) haben Vertreterinnen und Vertretern der beiden Öko-Kontrollstellen Gesellschaft für Ressourcenschutz (GfRS) und der ABCERT AG, die Bioland Beratung GmbH sowie Beratung und Praxis intensiv mitgewirkt.

Im Interview erläutern die Projektkoordinatorin Andrea Frankenberg von Bioland, Dr. Jochen Neuendorff von der Kontrollstelle GfRS und der Vorstandsvorsitzende der Fördergemeinschaft ökologischer Zier- und Gartenpflanzen (föga) Herbert Vinken von der Bioland-Gärtnerei herb’s die wachsende Bedeutung des Zierpflanzensektors innerhalb des Bio-Marktes und inwiefern die ganze Branche von dem Leitfaden profitieren kann.

Oekolandbau.de: Wie ist der Leitfaden aufgebaut?

Andrea Frankenberg: Im Leitfaden stellen wir die komplexen Anbauverfahren und vielfältigen Vermarktungswege von Bio-Zierpflanzen vor. Für die beiden Bereiche Erzeugung und Vermarktung sind die Anforderungen der EU-Bio-Verordnung im Detail beschrieben und in den Prozessbeschreibungen verlinkt. Das Kapitel Umstellung hilft besonders Betrieben, die noch am Anfang stehen und sich über den Bio-Anbau informieren möchten.  Zusätzlich haben wir Risikobereiche und Vorsorgemaßnahmen für die Öko-Integrität herausgearbeitet. Viele Praxisbeispiele unterstützen Produzenten und Handel dabei, eigene Schwachstellen zu erkennen und zu beseitigen. Hintergrund ist, dass die EU-Bio-Verordnung von allen Bio-Unternehmen ein Vorsorgekonzept verlangt, um eine Vermischung mit konventioneller Ware und Kontaminationen mit unzulässigen Stoffen zu vermeiden.

Oekolandbau.de: Warum wurde der Leitfaden speziell für den Zierpflanzenbereich entwickelt?  Welche Kulturen werden berücksichtigt?

Andrea Frankenberg: Anbauverfahren im Zierpflanzenbereich sind oft sehr komplex. Allein bei der Vermehrung von Stauden und Gräsern gibt es viele verschiedene Methoden. Zum einen wird hier mit Saatgut vermehrt oder es werden verschiedene Formen von Stecklingen verwendet. Teils erfolgt die Vermehrung auch durch Teilung, Abreißen oder durch Dauerorgane wie zum Beispiel Rhizome. Neben Stauden und Gräsern werden die Bio-Anbauprozesse von Beet- & Balkonpflanzen, Zimmerpflanzen, Schnittblumen sowie Wildstauden, Gehölzen (Bäume und Sträucher) und Weihnachtsbäumen beispielhaft beschrieben. Jeder Betrieb produziert anders.

Oekolandbau.de: Für wen wurde der Leitfaden erstellt? Wer kann sonst noch von ihm  profitieren?

Andrea Frankenberg: Unsere Zielgruppe ist sehr breit. Der Leitfaden richtet sich an Praktiker, also an Betriebe, die sich für eine Umstellung interessieren, und an bereits zertifizierte Bio-Zierpflanzen-Betriebe. Außerdem unterstützt er Beratungskräfte sowie Mitarbeitende in Öko-Kontrollstellen und in den zuständigen Landes-Öko-Behörden. Aber auch für den Handel enthält der Leitfaden wichtige Hinweise, er beschreibt, was bei der Vermarktung von Bio-Pflanzen zu beachten ist. Auch für den gesamten Gartenbau kann der Leitfaden hilfreich sein.

Oekolandbau.de: Wie hilft der Leitfaden bei der Kontrolle und warum ist er so wichtig?

Jochen Neuendorff: In den meisten Zierpflanzenbetrieben gibt es im Anbau viele verschiedene Arbeitsschritte, die stark arbeitsteilig realisiert werden. Das macht für solche Betriebe die Bio-Kontrollen aufwändig und komplex. Für die Mitarbeitenden in den Öko-Kontrollstellen ist es sehr herausfordernd, die verschiedenen Produktionsverfahren zu kennen und wirksam zu überprüfen. Mit dem Leitfaden wollen wir eine reibungslose Bio-Zertifizierung von Zierpflanzenbetrieben und Händlern unterstützen. Es ist wichtig, dass alle Akteurinnen und Akteure in diesem komplexen Bereich klare und eindeutige Vorgaben zur Umsetzung der EU-Bio-Verordnung haben, da die Verordnungstexte für die Unternehmen nicht mehr verständlich sind. Nur so ist eine effektive und effiziente Kontrolle möglich – und nur so kann sich der Bio-Zierpflanzenbau weiterentwickeln. Dazu gehören alle Stufen der Wertschöpfung, vom Saatgut bis zur fertigen Pflanze einschließlich der Vermarktung und des Handels.

Oekolandbau.de: Gab es bei der Beschreibung der Vorgaben der EU-Bio-Verordnung besondere Herausforderungen?

Jochen Neuendorff: Ja, besonders beim Thema "Pflanzenvermehrungsmaterial" ist die komplexe EU-Bio-Verordnung eine echte Herausforderung und es gab hierbei großen Abstimmungsbedarf. Einige Punkte mussten wir sogar direkt mit Vertreterinnen und Vertretern der EU-Kommission klären. Es war uns wichtig, die Knackpunkte klar herauszuarbeiten und verständlich für die Praxis Lösungen aufzuzeigen. Der Leitfaden soll mit Fallbeispielen aus der Praxis mehr Klarheit schaffen.

Oekolandbau.de: Welche Vermarktungswege werden beschrieben und wie hilft der Leitfaden dem Handel?

Jochen Neuendorff: Auch die Vermarktungswege von Bio-Zierpflanzen sind vielfältig. Ein wichtiger Weg ist die Direktvermarktung an Verbraucherinnen und Verbraucher in der Gärtnerei selbst und über Wochenmärkte und Spezialmärkte. Neben der Versteigerung der Blumen und Pflanzen spielt aber auch der sogenannte Cash and Carry-Großhandel eine Rolle, eine Art Selbstbedienungsgroßhandel. In diesem Bereich werden überwiegend konventionelle Blumen und Pflanzen vertrieben. Immer häufiger werden Bio-Zierpflanzen auch online verkauft. Das Problem dabei ist: Viele Online-Händler wissen gar nicht, dass sie kontrollpflichtig sind und ein Bio-Zertifikat benötigen. Bei der Vermarktung von Bio-Zierpflanzen tauchen immer wieder Fragen auf, weil die Bio-Pflanzen und Bio-Blumen im Großhandel fast immer zunächst in gemischte Kanäle fließen, ein "Pflanzen-Bio-Laden" ist nicht in Sicht. Die Schulung von Mitarbeitenden ist daher das A&O und der Leitfaden bietet hierfür eine gute Grundlage für alle Händler. Risikobereiche können unter anderem mithilfe der Vorsorgekonzepte für den Groß- und Einzelhandel identifiziert werden.

Oekolandbau.de: Welche Rolle spielt der Bio-Zierpflanzenbau derzeit und wie könnte diese in Zukunft aussehen?

Herbert Vinken: Vorweg eine kurze Begriffsklärung: wir bei der föga verstehen unter "Bio-Zierpflanzen" neben den klassischen Zierpflanzen des Beet- und Balkon-Sortiments auch Grünpflanzen, Stauden, Kräuter, Gehölze und Schnittblumen – alles Kulturen, die nicht im Gemüsebetrieb oder in der Landwirtschaft angebaut werden, aber ebenso eine biologische Kultur verdienen. Auch wenn der Food-Sektor dominiert: Bio nur bei essbaren Produkten anzustreben, greift zu kurz. Mit immer kleineren Gärten oder Balkonen wächst der Markt für Topfkulturen. Kräuter und Beerenobst haben seit Jahren Hochkonjunktur, mit ihrer Langlebigkeit entsprechen Stauden und Wildstauden dem Wunsch vieler Verbraucherinnen und Verbraucher, nachhaltig zu gärtnern. Ob sich das klassische Beet & Balkon-Sortiment im Bio-Segment durchsetzen kann, wird die Zukunft zeigen. Gute Chancen sehe ich für robuste reichblühende Sommerblumen mit geringem Wärmebedarf während der Kultur, also mit kleinem CO2-Fußabdruck. Betriebe, die diesen Markt erkennen und sich die Bio-Kultur zutrauen, werden nicht nur Nischen besetzen.

Wie kann der Leitfaden eine positive Entwicklung unterstützen?

Herbert Vinken: Der Leitfaden hilft, bei unterschiedlichsten Kulturen einen Einstieg zu finden, eigenes Wissen aufzufrischen und Mitarbeitende, vor allem Auszubildende, an die Bio-Prozesse heranzuführen. Es ist eine große Herausforderung, auf die Sicherheiten von vertrauten Düngern und Spritzmitteln zu verzichten. Der Leitfaden fußt auf den gesammelten Erfahrungen vieler Betriebe und langjähriger Beratungspraxis. Daher bietet er wie ein großes Nachschlagewerk hilfreiches Detailwissen und ist Motivation und Mutmacher zugleich.

Welche Leitfadeninhalte sind für die Praxis besonders interessant?

Herbert Vinken: Das hängt natürlich sehr vom Wissensstand des jeweiligen Betriebes ab. Fragen nach Substraten und zulässigen Düngern, nach Stärkungsmitteln und biologischem Pflanzenschutz hören wir oft. Hier tut sich sehr viel am Markt und in den Versuchsanstalten. Deshalb muss der Leitfaden dauerhaft als "Work in Progress" verstanden werden. Um den jeweils aktuellen Wissensstand abzubilden, ist eine regelmäßige redaktionelle Bearbeitung notwendig. Das gilt ebenso für den rechtlichen Rahmen der EU-Bio-Verordnung wie für die daraus resultierende Kontrollpraxis. Der Leitfaden lebt, wenn Betriebe, Beratung, Handel, Kontrollgremien und Behörden ihn gemeinsam nutzen und stetig fortschreiben.

Sie sind nun seit fast 30 Jahren Bioland-Betrieb. Können Sie noch etwas aus dem Leitfaden lernen?

Herbert Vinken: Da bin ich mir sicher: Wir werden ihn zunächst in der Ausbildung unserer Azubis und für Schulungen neuer Mitarbeitenden einsetzen. Und zum Auffrischen meines Wissens, gerade was die rechtliche Seite angeht. Ein solch umfassender Überblick erlaubt mir aber auch Ausblicke: Wo läuft die Branche hin? Wohin möchte ich meinen Betrieb, meinen Bio-Anbau entwickeln?

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen und Risikobereiche im Bio-Zierpflanzenbau?

Herbert Vinken: Mit dem Schritt in den Bio-Anbau steht man vor der Notwendigkeit, den eigenen Qualitätsbegriff neu zu definieren und vom Endprodukt auf den gesamten Prozess auszudehnen. Zugleich steht man anders im Fokus der Öffentlichkeit, wenn man sich "als Bio outet" und den Kundinnen und Kunden ein entsprechendes Angebot macht. Glaubwürdigkeit wird hier zu einer wichtigen Währung. Besonders wichtig ist eine transparente Warenfluss-Dokumentation vom Kulturbeginn bis zum Endverkauf. Auch beim Zukauf von konventioneller Handelsware ist ein hohes Maß an Sorgfalt erforderlich, was leider immer auch bürokratischen Aufwand bedeutet.

Grundsätzlich: Risikobereiche entstehen immer dort, wo übertriebenes Profitdenken auf mangelnde Kontroll-Qualität beziehungsweise fehlende Durchsetzung von Sanktionen trifft. Konkret sind mir bisher keine Betrugsversuche im Zierpflanzenbereich bekannt. Aber bisher ist der Markt noch überschaubar und man kennt sich untereinander. Das wird sich zukünftig in einem hoffentlich wachsenden Bio-Zierpflanzenmarkt ändern. Dann ist es wichtig, dass nur wirtschaftlich gesunde Betriebe den Schritt in den Bio-Anbau unternehmen. Eine Umstellung braucht Puffer an Kraft, Zuversicht und auch an Geld.

Was bereitet Ihnen am meisten Sorge?

Herbert Vinken: Ich persönlich sorge mich tatsächlich besonders um die Glaubwürdigkeit des zukünftigen Bio-Zier- und -Gartenpflanzen-Angebotes. Ich selbst leite einen vergleichsweise kleinen Betrieb mit Kräutern, Wildstauden und Gemüsepflanzen – überwiegend im Direktabsatz beziehungsweise für den Versandhandel – und entspreche somit dem gängigen Bild eines traditionellen Bio-Betriebes, auch wenn dieses Klischee in Wirklichkeit schon heute die Ausnahme ist. Mir ist es dennoch wichtig, die Vielfalt der Betriebe und ihrer Strukturen zu fördern, insbesondere Menschen zu ermutigen, auch kleinere Betriebe zu gründen oder umzustellen.

Warum sind überschaubare Strukturen für Sie so wichtig?

Herbert Vinken: Je größer und anonymer die Anbau- und Vermarktungsstrukturen werden, desto austauschbarer werden die Produzentinnen und Produzenten für den sehr mächtigen Handel. Das führt nicht selten zu Preiskämpfen und die gehen schnell zu Lasten von Sozialstandards oder führen zum riskanten Dehnen der Richtlinien. Deshalb wünsche ich dem Bio-Zierpflanzen-Sektor, dass nicht bloß Dünger und Pflanzenschutzmittel umgestellt werden. Vielmehr sollte man sich auch auf die Suche nach Modellen einer fairen und somit nachhaltigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette machen.

Was können Betriebsleiter vorbeugend tun, um Risiken zu vermeiden?

Herbert Vinken: Das A und O sind Austausch, Kommunikation und (Fort)Bildung. Aber auch Mut zu Transparenz und die Bereitschaft, sich auf hilfreiche Techniken wie Barcodierung von Anfang an einzulassen.


Weitere Infos im Web:

BioZier Leitfaden

Letzte Aktualisierung 30.01.2025

Nach oben
Nach oben