Oekolandbau.de: Welche Rolle spielt der Bio-Zierpflanzenbau derzeit und wie könnte diese in Zukunft aussehen?
Herbert Vinken: Vorweg eine kurze Begriffsklärung: wir bei der föga verstehen unter "Bio-Zierpflanzen" neben den klassischen Zierpflanzen des Beet- und Balkon-Sortiments auch Grünpflanzen, Stauden, Kräuter, Gehölze und Schnittblumen – alles Kulturen, die nicht im Gemüsebetrieb oder in der Landwirtschaft angebaut werden, aber ebenso eine biologische Kultur verdienen. Auch wenn der Food-Sektor dominiert: Bio nur bei essbaren Produkten anzustreben, greift zu kurz. Mit immer kleineren Gärten oder Balkonen wächst der Markt für Topfkulturen. Kräuter und Beerenobst haben seit Jahren Hochkonjunktur, mit ihrer Langlebigkeit entsprechen Stauden und Wildstauden dem Wunsch vieler Verbraucherinnen und Verbraucher, nachhaltig zu gärtnern. Ob sich das klassische Beet & Balkon-Sortiment im Bio-Segment durchsetzen kann, wird die Zukunft zeigen. Gute Chancen sehe ich für robuste reichblühende Sommerblumen mit geringem Wärmebedarf während der Kultur, also mit kleinem CO2-Fußabdruck. Betriebe, die diesen Markt erkennen und sich die Bio-Kultur zutrauen, werden nicht nur Nischen besetzen.
Wie kann der Leitfaden eine positive Entwicklung unterstützen?
Herbert Vinken: Der Leitfaden hilft, bei unterschiedlichsten Kulturen einen Einstieg zu finden, eigenes Wissen aufzufrischen und Mitarbeitende, vor allem Auszubildende, an die Bio-Prozesse heranzuführen. Es ist eine große Herausforderung, auf die Sicherheiten von vertrauten Düngern und Spritzmitteln zu verzichten. Der Leitfaden fußt auf den gesammelten Erfahrungen vieler Betriebe und langjähriger Beratungspraxis. Daher bietet er wie ein großes Nachschlagewerk hilfreiches Detailwissen und ist Motivation und Mutmacher zugleich.
Welche Leitfadeninhalte sind für die Praxis besonders interessant?
Herbert Vinken: Das hängt natürlich sehr vom Wissensstand des jeweiligen Betriebes ab. Fragen nach Substraten und zulässigen Düngern, nach Stärkungsmitteln und biologischem Pflanzenschutz hören wir oft. Hier tut sich sehr viel am Markt und in den Versuchsanstalten. Deshalb muss der Leitfaden dauerhaft als "Work in Progress" verstanden werden. Um den jeweils aktuellen Wissensstand abzubilden, ist eine regelmäßige redaktionelle Bearbeitung notwendig. Das gilt ebenso für den rechtlichen Rahmen der EU-Bio-Verordnung wie für die daraus resultierende Kontrollpraxis. Der Leitfaden lebt, wenn Betriebe, Beratung, Handel, Kontrollgremien und Behörden ihn gemeinsam nutzen und stetig fortschreiben.
Sie sind nun seit fast 30 Jahren Bioland-Betrieb. Können Sie noch etwas aus dem Leitfaden lernen?
Herbert Vinken: Da bin ich mir sicher: Wir werden ihn zunächst in der Ausbildung unserer Azubis und für Schulungen neuer Mitarbeitenden einsetzen. Und zum Auffrischen meines Wissens, gerade was die rechtliche Seite angeht. Ein solch umfassender Überblick erlaubt mir aber auch Ausblicke: Wo läuft die Branche hin? Wohin möchte ich meinen Betrieb, meinen Bio-Anbau entwickeln?
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen und Risikobereiche im Bio-Zierpflanzenbau?
Herbert Vinken: Mit dem Schritt in den Bio-Anbau steht man vor der Notwendigkeit, den eigenen Qualitätsbegriff neu zu definieren und vom Endprodukt auf den gesamten Prozess auszudehnen. Zugleich steht man anders im Fokus der Öffentlichkeit, wenn man sich "als Bio outet" und den Kundinnen und Kunden ein entsprechendes Angebot macht. Glaubwürdigkeit wird hier zu einer wichtigen Währung. Besonders wichtig ist eine transparente Warenfluss-Dokumentation vom Kulturbeginn bis zum Endverkauf. Auch beim Zukauf von konventioneller Handelsware ist ein hohes Maß an Sorgfalt erforderlich, was leider immer auch bürokratischen Aufwand bedeutet.
Grundsätzlich: Risikobereiche entstehen immer dort, wo übertriebenes Profitdenken auf mangelnde Kontroll-Qualität beziehungsweise fehlende Durchsetzung von Sanktionen trifft. Konkret sind mir bisher keine Betrugsversuche im Zierpflanzenbereich bekannt. Aber bisher ist der Markt noch überschaubar und man kennt sich untereinander. Das wird sich zukünftig in einem hoffentlich wachsenden Bio-Zierpflanzenmarkt ändern. Dann ist es wichtig, dass nur wirtschaftlich gesunde Betriebe den Schritt in den Bio-Anbau unternehmen. Eine Umstellung braucht Puffer an Kraft, Zuversicht und auch an Geld.
Was bereitet Ihnen am meisten Sorge?
Herbert Vinken: Ich persönlich sorge mich tatsächlich besonders um die Glaubwürdigkeit des zukünftigen Bio-Zier- und -Gartenpflanzen-Angebotes. Ich selbst leite einen vergleichsweise kleinen Betrieb mit Kräutern, Wildstauden und Gemüsepflanzen – überwiegend im Direktabsatz beziehungsweise für den Versandhandel – und entspreche somit dem gängigen Bild eines traditionellen Bio-Betriebes, auch wenn dieses Klischee in Wirklichkeit schon heute die Ausnahme ist. Mir ist es dennoch wichtig, die Vielfalt der Betriebe und ihrer Strukturen zu fördern, insbesondere Menschen zu ermutigen, auch kleinere Betriebe zu gründen oder umzustellen.
Warum sind überschaubare Strukturen für Sie so wichtig?
Herbert Vinken: Je größer und anonymer die Anbau- und Vermarktungsstrukturen werden, desto austauschbarer werden die Produzentinnen und Produzenten für den sehr mächtigen Handel. Das führt nicht selten zu Preiskämpfen und die gehen schnell zu Lasten von Sozialstandards oder führen zum riskanten Dehnen der Richtlinien. Deshalb wünsche ich dem Bio-Zierpflanzen-Sektor, dass nicht bloß Dünger und Pflanzenschutzmittel umgestellt werden. Vielmehr sollte man sich auch auf die Suche nach Modellen einer fairen und somit nachhaltigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette machen.
Was können Betriebsleiter vorbeugend tun, um Risiken zu vermeiden?
Herbert Vinken: Das A und O sind Austausch, Kommunikation und (Fort)Bildung. Aber auch Mut zu Transparenz und die Bereitschaft, sich auf hilfreiche Techniken wie Barcodierung von Anfang an einzulassen.