Pflanzengesundheit im Öko-Obstbau: Die Realität abbilden

Pflanzengesundheit im Öko-Obstbau: Die Realität abbilden

Jutta Kienzle hat das Forschungsprojekt "PSSYSTEMBIOOBST" mitgeleitet, in dem Bio-Obstbaubetriebe ihre Maßnahmen zur Erhaltung der Pflanzengesundheit in einem Online-Portal offenlegen. Im Interview erklärt Sie, welche Ergebnisse das Projekt gezeigt hat, was das für Praxis und Forschung bedeutet und warum sich Transparenz auch im ökologischen Anbau bezahlt macht.

Das neue Online-Portal bietet Obstbaubetrieben und Interessierten eine Fülle an Praxisdaten zu Maßnahmen rund um die Erhaltung der Pflanzengesundheit. Das Portal ist das Ergebnis des Forschungsprojektes "PSSYSTEMBIOOBST" des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL). 37 Bio-Obstbaubetriebe haben über sechs Jahre Informationen zu den verschiedenen Maßnahmen gesammelt und übermittelt – von der Sortenwahl sowie der Bodenbearbeitung und -pflege bis hin zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Alle gesammelten Informationen können unter www.poseidon.foeko.de für einzelne Anbaugebiete und -jahre abgerufen werden. Die Daten sind transparent aufbereitet und sowohl grafisch als auch in Tabellen einsehbar. Betriebe können die Daten bei Bedarf mit den eigenen betrieblichen Maßnahmen vergleichen.

Laut Statistischem Bundesamt hat sich der Trend zur ökologischen Wirtschaftsweise bei den Baumobstbetrieben fortgesetzt. Gut 1.000 Baumobstbetriebe erzeugen ihr Obst auf einer Fläche von 10.102 Hektar inzwischen vollständig ökologisch. Damit ist der Anteil der ökologischen Obsterzeugung an der gesamten Baumobstfläche zwischen 2017 und 2022 um 5,5 Prozentpunkte von 15,0 auf 20,5 % gestiegen. Besonders hohe Anteile mit mehr als 50 % ökologischer Erzeugung zeigen sich bei Haselnüssen, Quitten und Walnüssen. Aber auch bei Äpfeln und Birnen ist der Anteil ökologischer Erzeugung inzwischen gestiegen. Baumobstarten mit vergleichsweise geringen Anteilen ökologischer Erzeugung sind Süßkirschen, Mirabellen/Renekloden, Aprikosen und Pflaumen. Alle Zahlen gibt es au der Webseite des Statistischen Bundesamtes nachzulesen.

Oekolandbau.de: Frau Kienzle, seit 2014 liefern über 30 Bio-Obstbaubetriebe bundesweit jährlich alle Informationen zu ihren Pflanzengesundheitsmaßnahmen. Wie aufwendig ist das für die Betriebe?

Jutta Kienzle: Die Daten sind sehr umfassend und reichen von den Aufwandmengen der eingesetzten Präparate über die Spritztermine bis zu indirekten Maßnahmen wie der Entfernung von Laub aus der Anlage. Sehr aufwendig sind die Erfolgsbonituren, für die wir in diesem Projekt einheitliche Vorgaben entwickelt haben. Das alles ist für die Betriebe sehr viel Zusatzarbeit, für die sie derzeit leider keine Aufwandsentschädigung erhalten.

Oekolandbau.de: Wie konnten Sie die Betriebe motivieren, mitzumachen?

Jutta Kienzle: Alle beteiligten Betriebe sind Mitglieder der FÖKO. Im Verband waren wir uns einig, dass wir die Pflanzengesundheitsmaßnahmen im Bio-Obstbau transparent machen möchten. Wir brauchten das für eine strukturierte Weiterentwicklung intern. Außerdem gab es von außen regelmäßig Vorwürfe im Sinne von: Die Bios spritzen ja auch, sagen das aber nicht. Uns war klar, dass wir die Vorwürfe nur ent-kräften können, wenn wir offenlegen, was wir in der Praxis tun. Deshalb waren genügend Betriebe bereit, uns zu unterstützen.

Oekolandbau.de: Hat sich die Transparenz bisher ausgezahlt?

Jutta Kienzle: Vor der Veröffentlichung der ersten Praxisdaten zum Pflanzenschutz hatten wir ein bisschen Angst vor den öffentlichen Reaktionen. Aber dann ist überhaupt nichts passiert. Die Medien haben so gut wie gar nicht darüber berichtet. Aber seitdem wurde der Bio-Obstbau auch nicht mehr von der Presse kritisiert. Denn wir können mit diesen Daten schwarz auf weiß belegen, was wir tun und was wir anders machen als die konventionellen Betriebe. Auch die Politik hat großes Interesse an den Daten. Sie sind eine wichtige Grundlage für eine fachliche Diskussion und politische Entscheidungen. Und nicht zuletzt bringt es auch den ökologischen Obstbau voran. Denn wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir die Realitäten in der Praxis abbilden und kein Bullerbü, das auf Wunschvorstellungen beruht. Das ist die Basis für Verbesserungen.

Oekolandbau.de: Gab es Ergebnisse, die Sie als Expertin überrascht haben?

Jutta Kienzle: Überrascht hat uns, dass mit schorfwiderstandsfähigen „schowi“-Sorten wie ‘Topaz’, die in großem Stil angebaut werden, immer weniger Pflanzenschutzmittel eingespart werden aufgrund zunehmender Resistenzdurchbrüche. Wir führen diese Entwicklung auf fehlende Sortenvielfalt zurück, die das Risiko für Resistenzdurchbrüche erhöht. Interessant war auch, dass eine neu entwickelte indirekte Maßnahme wie das Laubsaugen kaum praktiziert wird, während die Förderung des Laubabbaus durch Vinasse im Herbst ihren Weg in die Praxis gefunden hat. Einige Betriebe arbeiten das Laub inzwischen in den Baumstreifen ein, obwohl es dazu keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Oekolandbau.de: Wie nutzen Sie diese und andere Ergebnisse der Datenanalyse für die Weiterentwicklung?

Jutta Kienzle: Diese Erkenntnisse sind für die Weiterentwicklung sehr wertvoll, weil wir jetzt wissen, was auf den Betrieben tatsächlich gemacht wird. Das gilt besonders für die indirekten Maßnahmen, die das Rückgrat der Strategie sind. Konkret ergibt sich daraus zum Beispiel, dass wir jetzt in einem Projekt prüfen wollen, ob das Einarbeiten von Laub wirksam ist. Eine übergeordnete Erkenntnis ist, wie wichtig die Sortenwahl und vor allem Sortenvielfalt für den vorbeugenden Pflanzenschutz sind.

Oekolandbau.de: Konnten die beteiligten Betriebe ihr Pflanzenschutzkonzept optimieren?

Jutta Kienzle: Für jeden Parameter können wir die jeweils 25 Prozent schlechtesten und besten Anlagen und deren Gesamtstrategie anonymisiert darstellen und die Strategien mit denen des eigenen Betriebs vergleichen. Gerade am Anfang gab es da schon einige Aha-Erlebnisse bei den Betrieben. Welche Schlüsse daraus gezogen werden, ist aber letztlich Sache der Betriebsberatung. Für die Betriebe gibt es im Projekt keinen Zwang, etwas Bestimmtes umzusetzen. Es war nicht unser Ziel, allen Betrieben eine einheitliche Strategie überzustülpen. Wir wollen auch keine festen Strategien, dazu sind die Anbaujahre und die Betriebe viel zu unterschiedlich. Wir wollen aus den Daten lernen und Schwachstellen schnell erkennen. Das Ziel ist letztlich eine dynamische Strategie, bei der Betriebe möglichst gut auf wechselnde Herausforderungen reagieren können.

Oekolandbau.de: Wie geht das Projekt weiter?

Jutta Kienzle: Das BÖL-Projekt und damit auch die Finanzierung sind ausgelaufen. Wir werden die Daten der Betriebe aber weiter aufnehmen und mit dem entwickelten Tool auswerten. Gegen Ende des Jahres werden Daten aus sieben Anbaujahren verfügbar sein. Mit unseren begrenzten Mitteln ist die weitere Auswertung schwieriger. Leider ist auch die Bio-Obstbauberatung stark überlastet und kann uns nur wenig unterstützen. Das ist sehr schade. Denn mit den Daten ließen sich bei intensiverer Auswertung sicherlich noch viel mehr für die Weiterentwicklung der Pflanzengesundheitsstrategie im Öko-Obstbau ableiten.

Text: Jürgen Beckhoff


Letzte Aktualisierung 10.10.2024

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