Juister: Oft lastet ein hoher Erwartungsdruck auf ihnen. Die politische Vorgabe, dass der Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten vorangebracht werden soll, bekommt mit den Wertschöpfungskettenentwicklerinnen oder -entwicklern ein konkretes Gesicht. Was es aber an Strukturen darum herum braucht, damit Transformation gelingen kann, ist viel größer und kann von einer Person allein vielleicht gar nicht geleistet werden. Die Gefahr ist, dass sie an der Größe und der Undefiniertheit der Aufgabe scheitern.
Braun: Bei den Aktionstagen haben wir unter anderem den Ansatz des Soziodramas kennengelernt – eine Art Rollenspiel. Die Teilnehmenden waren Akteurinnen oder Akteure aus der Landwirtschaft, Verarbeitung, dem Handel oder Verbraucherinnen und Verbraucher. Und es ging darum, eine verbindliche Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette zu schaffen. Es kamen aber so viele unterschiedlichen Perspektiven zusammen, dass dieses System, sich zuerst überhaupt nicht bewegen wollte. Es brauchte jemanden von außen, der dafür sorgte, dass die Akteurinnen und Akteure ins Gespräch kommen und sagen konnten, was ihre Anforderungen und Erwartungen sind. Nur so konnte ein Verhandlungsspielraum entstehen und dieses Konstrukt bewegt werden.
Brandt: Welche Erfahrungen und Kompetenzen muss eine Person mitbringen, die Wertschöpfungsketten entwickeln will? Das scheint oft unklar zu sein, weil das Profil so neu ist.
Juister: Die Stellen werden häufig mit Berufseinsteigerinnen oder Berufseinsteigern besetzt, mit einem agrarischen oder ernährungswissenschaftlichen Hintergrund. Es ist gut und wichtig, diesen "Branchengeruch" zu haben, aber es braucht auch den Umgang mit sozialen Prozessen. Ich persönlich empfinde es auch als extrem wertvoll, nicht alleine, sondern mindestens zu zweit zu arbeiten. Besonders dann, wenn man mit einer großen Gruppe unterwegs ist, weil jeder einen anderen Blick auf eine Situation hat und man sich gut in seine Wahrnehmungen ergänzen kann.
Braun: In der Wertschöpfungskettenentwicklung braucht es individuelle Entscheidungen in jedem einzelnen Unternehmen und gleichzeitig muss ich die strategische Ausrichtung der Kette im Blick behalten – das ist eine besondere Herausforderung. Wertschöpfungskettenentwicklerinnen und -entwickler haben die Verantwortung, die Gruppe darin zu unterstützen, einen Weg zwischen praktischen Problemen und inspirierender Zukunftsidee zu gestalten. Es wurde immer wieder sichtbar, dass es hier noch einen großen Wissensbedarf gibt und die Ausbildung in den agrar- und ernährungswissenschaftlichen Studiengängen hinterherhinkt.