AHV und regionale Wertschöpfungsketten: Das Zahnradmodell

AHV und regionale Wertschöpfungsketten: Das Zahnradmodell

Viele erwarten von der Gemeinschaftsverpflegung Impulse für den Aufbau bioregionaler Wertschöpfungsketten. Aber wie kann das gelingen? Der Artikel stellt dazu ein Zahnradmodell vor, aus dem sich die Erfolgsfaktoren ableiten lassen.

Die öffentliche Gemeinschaftsverpflegung wird von vielen als Hebel gesehen, um die Nachfrage nach Bio aus einer Region zu stärken und Impulse zur Umstellung zu setzen. Doch der Weg dahin ist mühsam und kein Selbstläufer. Warum ist das so? Was braucht es, damit bioregionale Wertschöpfungsketten mit Ziel Gemeinschaftsverpflegung mehr zustanden kommen? Das hier vorgeschlagene Zahnradmodell soll dabei helfen, das komplexe Themengeflecht zu lichten, die Wechselwirkungen besser zu verstehen und auf dieser Basis Maßnahmen zielgenauer zu planen.

Das Zahnradmodell

Im Kern geht es darum: Verschiedene Handlungsfelder greifen beim Aufbau bioregionaler Wertschöpfungsketten wie Zahnräder ineinander und beeinflussen sich gegenseitig. Jede Aktivität an irgendeiner Stelle hat Einfluss auf das ganze System. Wenn auch nur ein Rädchen fehlt, blockiert das Getriebe. Kommunikation, Bildung und Marketing können dabei wie ein Schmiermittel wirken, das dafür sorgt, dass alles besser läuft. Aber diese Schmiermittel können keine notwendigen Zahnräder ersetzen. Appelle an Tischgäste oder Küchenleitungen ersparen beispielsweise nicht die Mühen, gegebenenfalls notwendige Vorverarbeitungsstrukturen aufzubauen.

Zielvorgaben durch politische Beschlüsse

Ganz links im Zahnradmodell für mehr bioregionale Produkte in der Gemeinschaftsverpflegung stehen die Zielvorgaben durch politische Beschlüsse. Denn die Rolle der Politik und Verwaltung für mehr Bio in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung ist entscheidend, um bestimmten Qualitäten und Umweltaspekten bei Ausschreibungen ein Gewicht zu geben.

Vergabeverfahren in der AHV als Hebel

Mit der Rückendeckung durch politische Beschlüsse können dann die zuständigen Stellen in einer Verwaltung die Vergabeunterlagen so gestalten, dass in Schulen, Kita & Co mehr Bio auf den Teller kommt und die Verwendung regionaler Produkte wahrscheinlicher wird. Einen Überblick zum Thema Bio und Regio in Ausschreibungen gibt ein eigener Beitrag.

Viele Kommunen nutzen diesen Hebel bereits, wie Beispiele aus den Biostädten zeigen.

Stärkung der Küchen

Am Ende entscheiden natürlich maßgeblich die Küchenverantwortlichen (oder bei Verbünden der zentrale Einkauf) darüber, welche Produkte in welcher Qualität auf den Teller kommen. Sie müssen gestärkt und dabei unterstützt werden, in der Speiseplanung mehr Bio-Produkte aus der Region einzusetzen. Das betrifft Catering-Unternehmen genauso wie Einrichtungen mit Küchen in Eigenregie. Bei Letzteren entfallen dann die beiden ersten Zahnräder links im Modell. Das macht Entscheidungsprozesse potenziell einfacher und schneller.

Bei der Unterstützung der Küchen geht es nicht nur um bloße Informationen und Wissensvermittlung. Vielmehr haben sich Beratungsprozesse mit hohen Anteilen von handlungsorientiertem Lernen, praxisnahen Tipps sowie Austausch und Stärkung der eigenen Motivation bewährt. Eine Evaluation der Kantine Zukunft Berlin zeigt, welches Potenzial Beratungsprogramme wie die Kantinenwerkstatt haben.

Logistik und Handel

Die Großküchen von heute sind auf eine effiziente Logistik angewiesen. Aus dem konventionellen Bereich sind sie es gewohnt, bei einem oder wenigen Lieferunternehmen möglichst alle gewünschten Produkte kurzfristig zu beziehen. Das steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zum Wunsch nach mehr Bio aus der Region und wieder mehr kleinteiligen Strukturen. Dafür gibt es nicht die perfekte Lösung – sondern in der Praxis verschiedene Lösungsansätze: So stellen sich regional verankerte Lieferservice-Betriebe immer mehr auf die Bedürfnisse der AHV ein (jedoch nur für kleinere Küchen interessant). Der Großhandel arbeitet daran, sein regionales Bio-Sortiment transparenter zu machen (da tut sich was!). Einige Küchen kaufen direkt bei verarbeitenden Betrieben (kostet Zeit) und in manchen Regionen entstehen digitale Marktplätze mit dem Anspruch, damit auch die Logistik zu optimieren (Ergebnis bleibt abzuwarten).

Auch wenn sich die Diskussion beim Thema regionale Beschaffung häufig um die müßige Frage nach der politisch korrekten Entfernung dreht – im Sinne der Nachhaltigkeit ist am Ende eine effiziente Logistik für regionale Produkte viel wichtiger als die Kilometerzahl.

(Vor-)Verarbeitung

Vorverarbeitete Produkte sind heute aus vielen Großküchen nicht mehr wegzudenken. Dem Anspruch, wieder mehr Verarbeitungsschritte in der eigenen Küche durchzuführen, können viele Großküchen heute nicht (mehr) gerecht werden. Zwei Drittel der Küchen der Gemeinschaftsverpflegung verwenden Fresh-Cut-Produkte, so das Ergebnis einer Umfrage der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.

Oft ist das Vorhandensein von Strukturen der Vorverarbeitung deshalb ein Nadelöhr für die Etablierung von bioregionalen Wertschöpfungsketten. Doch solche Angebote können auch neu entstehen, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Gerade die Gemeinschaftsverpflegung kann dafür interessante Impulse geben. Das zeigen immer mehr Beispiele.

Landwirtschaftliche Produktion

Am Beginn der Wertschöpfungskette und im Zahnradmodell ganz rechts steht die landwirtschaftliche Produktion. Aber damit irgendwer irgendwo Pflanzen biologisch kultiviert und Nutztiere nach Öko-Standards hält, braucht es einen Nachfrageimpuls. Und der kommt im Modell von links, von der Nachfrage aus der Gemeinschaftsverpflegung. Im dreijährigen Forschungsprojekt ÖkoTrans wurde überschlagen, welche Mengen und Potenziale bei einer Umstellung öffentlicher Kantinen auf 30 Prozent Bio beziehungsweise 100 Prozent Bio dadurch entstehen.

Gemeinschaftsverpflegung als Impulsgeber für bioregionale Wertschöpfungsketten

Neben den quantitativen Effekten, die relevant aber nicht ausreichen für die gewünschten Bio-Ausbauziele in der Fläche sind, spielen vor allem die qualitativen Effekte eine wichtige Rolle: Die Gemeinschaftsverpflegung hat das Potenzial, durch neue Nachfrage bioregionale Wertschöpfungsketten zu stärken. Doch dafür gibt es keine Garantien. Es bedarf einer ganzen Reihe von Voraussetzungen für das Gelingen, die sich aus dem oben beschriebenen Zahnradmodell ableiten lassen.

Voraussetzungen für das Gelingen

  1. Alle Zahnräder müssen gleichzeitig vorhanden sein und sich drehen können. Aktivitäten zum Aufbau bioregionaler Wertschöpfungsketten müssen deshalb immer das ganze Getriebe im Blick haben. Salopp könnte man sagen: Hopp oder top. Ein bisschen Wertschöpfungskette aufbauen geht nicht. Am Anfang müssen bei den ausgewählten Produkten relevante Schwellenmengen erreicht werden. Aber jenseits davon sind graduelle Skalierungseffekte denkbar.
  2. Die Kybernetik des Modells ist sehr anspruchsvoll: Die Lieferkette braucht einen relevanten Nachfrageimpuls, aber er darf die aktuellen Kapazitäten nicht überfordern. Wachstum ist über die Zeit möglich, aber im Idealfall wachsen Nachfrage und Angebote in einem balancierten Verhältnis.
  3. Alle relevanten Akteurinnen und Akteure in der Region müssen mit einbezogen werden. Dabei sind eine gemeinsame Vision und geteilte Werte hilfreich. Vertrauen und Verbindlichkeit sind das entscheidende Fundament für regionale Kooperationen.

    Jeder landwirtschaftliche Kartoffelbetrieb, dessen Erdäpfel gewaschen und geschält auf den Tellern eines Catering-Betriebs landen sollen, muss für seinen Pflanzplan im Vorjahr wissen: Um welche Mengen geht es eigentlich? Und wer kauft die zu welchem Preis? Unverbindlichkeit zerstört hier Vertrauen schneller als es wachsen kann.
  4. Plattformen zum Austausch sind unbedingt zu installieren. Dafür braucht es verlässliche Ressourcen und Strukturen, die Projektlaufzeiten überdauern.

Text: Andreas Greiner, Ökonsult


Letzte Aktualisierung 18.11.2024

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