Wahre Kosten eines Öko-Lebensmittels – was bedeutet das?

Wahre Kosten eines Öko-Lebensmittels – was bedeutet das?

In der Regel schlagen sich die Kosten für ökologische und soziale Schäden bei der Herstellung eines Lebensmittels nicht im Preis nieder, sondern werden von der Gesellschaft getragen. Bei der Berechnung der wahren Kosten werden diese berücksichtigt. Studien zeigen, dass dann alle Lebensmittel deutlich teurer sein müssten. Es gibt jedoch Unterschiede zwischen pflanzlichen und tierischen sowie zwischen ökologischen und konventionellen Lebensmitteln.

Die Berechnung der wahren Kosten eines Produktes (True Cost Accounting) ist die Bilanzierung aller Kosten und Folgekosten, die im Zusammenhang mit der Herstellung des Produktes entstehen. Die Produktion eines Lebensmittels hat zum Beispiel externe Effekte auf die Natur (zum Beispiel durch die Belastung des Bodens, die Verschmutzung von Wasser oder die Verringerung der Artenvielfalt) oder die an der Produktion beteiligten Menschen (zum Beispiel psychische und physische Belastungen, Berufskrankheiten unter anderem). Wie negativ diese Auswirkungen sind, hängt vom Produktionssystem ab.

Die Folgekosten für ökologische und soziale Schäden - die externen Kosten - schlagen sich in der Regel nicht im Preis des Produktes nieder. Sie werden von der Gesellschaft getragen und nicht von den verursachenden Unternehmen.

Warum wahre Kosten errechnen?

Die Ermittlung der wahren Kosten für ein Produkt macht transparent, inwieweit das Unternehmen nachhaltig wirtschaftet. "Die Preise müssen auch ökologische und soziale Wahrheit sprechen", unterstreicht Amelie Michalke von der Uni Augsburg, die eine Studie über True Cost Accounting durchführte. Diese Wahrheit forderte unter anderem auch das Weltwirtschaftsforum Anfang 2021. Im sogenannten "Great Reset" fordern die Teilnehmenden des Wirtschaftsgipfels in Davos eine Neuausrichtung der Wirtschaft mit dem Fokus auf eine gesundheitliche, soziale und ökologische Vitalität. Damit folgen die Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter inhaltlich dem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission, welche einen nachhaltigen Wandel der europäischen Agrar- und Lebensmittelwirtschaft vorantreiben sollen.

Durch die Ermittlung der wahren Kosten erhalten Unternehmen auch einen transparenten Blick auf mögliche Beschaffungsrisiken. Hohe externe Kosten weisen auf ein höheres Risiko bei der langfristigen Rohstoffbeschaffung hin. Diese Risiken werden bereits von vielen Kreditinstituten bei der Entscheidung für eine Kreditvergabe einbezogen. Die Risikobilanzierung geht auf eine Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UN) und dem UN Global Compact zurück, die die sogenannten Principles of responsible Investment, also Prinzipien für verantwortliches Investieren, (UN PRI) entwickelt haben, die auch die ökologische und soziale Unternehmensführung einbeziehen.

Wie hoch sind die wahren Kosten für Lebensmittel?

Zur Berechnung der wahren Kosten von Lebensmitteln wurden in einer Studie der Universität Augsburg vier externe Kostenfaktoren berücksichtigt:  Die Kosten für den Ausgleich des Stickstoffaustrages, der Landnutzungsänderungen, der Treibhausgas-Emissionen sowie der Energiebereitstellung während der Produktion.

Die Ergebnisse dieser Studie sind eindeutig: Pflanzliche Lebensmittel schneiden deutlich besser ab als tierische Produkte und die aktuellen Marktpreise konventioneller Lebensmittel sind deutlich zu gering. Die Preise für konventionell-tierische Produkte müssten fast drei Mal höher sein als sie zurzeit sind, wenn man die externen Kosten miteinbezieht.

"Wenngleich auch Biofleisch deutlich teurer werden müsste (plus 107 Prozent), würde sich der Preisunterschied zwischen Bio und konventionell deutlich verringern", betont Dr. Tobias Gaugler von der Uni Augsburg. Die Studie soll künftig erweitert werden und unter anderem auch die Kosten von möglichen Antibiotikaresistenzen oder dem Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel berücksichtigen. Dadurch dürfte sich die wahre Preisdifferenz zwischen ökologischen und konventionellen Produkten weiter verringern – wenn nicht sogar positiv für Bio-Produkte ausfallen.

Eine Studie des Sustainable Food Trust in Großbritannien zeigte 2017, dass die Briten für jedes britische Pfund, das sie für Lebensmittel ausgaben, zusätzlich ein weiteres Pfund für die gesundheitlichen oder ökologischen Folgekosten bezahlten. Das sind 100 Prozent zusätzliche Kosten, die sich hinter Treibhausgas-Emissionen, Bodenerosion oder Lebensmittelabfällen verstecken.

Wie sind Öko-Unternehmen aufgestellt?

Ökologische Lebensmittelhersteller können diesen Vorteil in ihrer Kommunikation gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern nutzen und gleichzeitig ihre Beschaffungsrisiken minimieren. So hat zum Beispiel das Bio-Unternehmen eosta mit der Initiative nature & more eine umfassende Informationsplattform aufgebaut, um zu erklären, was wahre Kosten sind und warum die Preise der Lebensmittel nicht den wahren Kosten entsprechen. Die bereits 2009 mit weiteren Bio-Unternehmen entwickelte "Nachhaltigkeitsblume" ist ein Modell, um Organisationen anhand von sozialen und ökologischen Indikatoren zu bewerten.

Auch im Hinblick auf externe Effekte im sozialen Bereich sind einige Öko-Unternehmen bereits gut aufgestellt. Um die externen Kosten in diesem Bereich zu minimieren sind zum Beispiel eine faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen, Möglichkeiten der betrieblichen Gesundheitsvorsorge oder auch Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten wichtig. Dies gilt insbesondere bei der Beschaffung von Rohstoffen aus Ländern im globalen Süden. Die Hand-in-Hand Initiative von Rapunzel ist ein Beispiel, wie eine nachhaltige und soziale Kooperation aussehen kann.

Zukünftig wird die Bilanzierung der wahren Kosten eine immer wichtigere Rolle für Unternehmen und die Gesellschaft spielen. Die Farm-to-Fork-Strategie, der europäische Green Deal und nicht zuletzt auch immer mehr private Initiativen setzen sich für ein nachhaltigeres Lebensmittelsystem ein. In der Finanzbranche setzt ebenfalls ein Umdenken ein, welches Nachhaltigkeitsaspekte in der Unternehmensbewertung berücksichtigt. Das Prinzip, dass Unternehmen trotz hoher externe Kosten einen Wettbewerbsvorteil haben, ist letztlich zum Nachteil aller Beteiligten.


Letzte Aktualisierung 04.03.2021

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