Die Nachfrage nach solchen Humuszertifikaten ist derzeit groß. Und auch das Interesse der Landwirtinnen und Landwirte an diesem Geschäftsmodell nimmt stetig zu. Der Zertifikatehändler Carbocert, einer der Pioniere in diesem Bereich, hat eigenen Angaben zufolge inzwischen Verträge zum Humusaufbau mit mehr als 370 Landwirtschaftsbetrieben auf einer Fläche von über 15.000 Hektar abgeschlossen. Wegen des stark ansteigenden Interesses sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Zertifizierer hinzugekommen.
Auch die EU-Kommission sieht Potenzial in dieser Methode und will den Handel mit Humuszertifikaten künftig mehr fördern, indem sie bis Ende 2022 einen verlässlichen Rechtsrahmen für die Zertifizierung schafft.
Kritik am System des Humuszertifikate-Handels
Humusgehalte über CO2-Zertifikate steigern und das Klima schützen, dabei die Bodenfruchtbarkeit verbessern und gleichzeitig Landwirtinnen und Landwirten ein zusätzliches Einkommen verschaffen. Klingt erstmal gut. Die Sache hat aber leider einige Haken.
Ende 2021 haben sich mehr als 30 Institutionen und Personen aus Landwirtschaft und Wissenschaft sowie Klima- und Umweltschutz in einem gemeinsamen Positionspapier gegen eine Kompensation von Treibhausgas-Emissionen durch Humusaufbau via CO2-Emissionszertifikaten ausgesprochen. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Papiers unterstützen zwar grundsätzlich die Ziele des Humuserhalts und des Humusaufbaus in Böden. Der Generierung von CO2-Zertifikaten für die Festlegung von Kohlenstoff in Böden und dem Handel damit steht das Bündnis jedoch kritisch gegenüber. Dafür führt das Bündnis gleich mehrere Gründe an und beruft sich dabei vor allem auf Untersuchungen des Thünen-Instituts sowie auf eine Studie des BonaRes-Zentrums für Bodenforschung – die sogenannte Wiesmeier-Studie.
Kohlenstoffbindung langfristig nicht gewährleistet
Aus Sicht des Bündnisses ist Humusaufbau als Klimaschutzmaßnahme nur dann wirksam, wenn die Kohlenstoffspeicherung dauerhaft erfolgt und die entsprechende Menge CO2 auch langfristig der Atmosphäre entzogen bleibt. Dies sei jedoch über den Humuszertifikate-Handel im Rahmen des Carbon Farming nur schwer zu gewährleisten. Ein Problem sei zum Beispiel, dass der Humusaufbau reversibel ist. Das heißt, verringern oder stoppen die landwirtschaftlichen Betriebe die humusaufbauenden beziehungsweise -erhaltenden Maßnahmen, wird der im Boden gebundene Kohlenstoff wieder als CO2 freigesetzt. Unberücksichtigt bleibe in vielen Geschäftsmodellen auch der Effekt des Klimawandels. Denn die Klimaerwärmung wird dazu führen, dass sich der Humus künftig um einiges schneller wieder abbaut.
Bei der Zertifizierung müsste also sichergestellt werden, dass die angerechnete Klimaschutzleistung auch über die vereinbarte Vertragslaufzeit hinaus erhalten bleibt. Dies sei derzeit aber in der Regel nicht gewährleistet. Unklar ist meist auch, ob und wer dafür haften muss, wenn das gesteckte Humusziel nicht erreicht wird oder der Humus nach einigen Jahrzehnten wieder verlorengeht. Meist liegt das Risiko für solche nicht erbrachte Leistungen bei den Landwirtinnen und Landwirten.
Zusätzlicher Effekt oder nicht?
Häufig ist es schwierig zu trennen, welche der regenerativen Maßnahmen zum Humusaufbau im Rahmen der üblichen Ackerbodenpflege und welche durch zusätzliche zertifizierbare Maßnahmen im Rahmen des Carbon Farmings erbracht werden. Einige Maßnahmen zum Humusaufbau werden durch Förderprogramme seit Jahren bereits finanziell unterstützt, wie zum Beispiel der Anbau von Zwischenfrüchten oder die Anlage von mehrjährigen Blühflächen. Ebenso werden Fördergelder für den ökologischen Anbau bereitgestellt, bei dem viele regenerative Maßnahmen wie vielfältige Fruchtfolgen, permanente Bodenbedeckung oder Kleegrasanbau bereits die Grundlage sind.
Verlagerungseffekte
Ein weiterer kritischer Punkt, so das Bündnis, seien die sogenannten Verlagerungs- oder Verschiebungseffekte. Ein Verlagerungseffekt liegt zum Beispiel dann vor, wenn Pflanzenmasse von einer Fläche A auf eine Fläche B des Betriebs befördert wird, um dort einen Humusaufbau zu bewirken. Die beförderte Pflanzenmasse fehlt dann für den Humusaufbau auf Feld A und erbringt unterm Strich keinen zusätzlichen Nutzen für das Klima. Bei einer CO2-Kompensation durch Humuszertifikate müssten solche Verlagerungseffekte also mit einberechnet werden. Das ist aber nicht immer der Fall.
Mangelnde Fairness
Einige Betriebe – darunter viele Öko-Betriebe – betreiben freiwillig bereits seit Jahrzehnten humusaufbauende Landwirtschaft auf ihren Flächen und können dadurch hohe Humusgehalte in ihren Böden nachweisen. Da sich die Humusgehalte in landwirtschaftlichen Böden aber nicht unbegrenzt erhöhen lassen, haben sie meist nur noch ein geringes Potenzial für weiteren Humusaufbau.
Die Pionierinnen und Pioniere der humusaufbauenden Landwirtschaft könnten also nicht von einem zusätzlichen Einkommen aus Humusaufbau-Zertifikaten profitieren, obwohl sie seit Jahren bereits die zu honorierenden Praktiken umsetzen. Umgekehrt können Landwirtinnen und Landwirte, die seit Jahrzehnten über eine intensive, rein gewinnorientierte Landwirtschaft Humusverluste auf ihren Flächen in Kauf genommen haben, über den Humuszertifikate-Handel Geld am Humuswiederaufbau verdienen. Aufgrund dieser ungleichen Voraussetzungen wäre ein Humuszertifikatehandel aus Sicht des Bündnisses nicht fair.
Fazit: Anreiz für Humusaufbau besser über einkommenswirksame Fördergelder schaffen
Der Handel mit Humuszertifikaten, so fasst das Bündnis aus Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zusammen, untergrabe die europäischen Klimaschutz-Bemühungen. Unternehmen würden ermutigt, eine nicht exakt messbare (siehe Infokasten) und leicht wieder umkehrbare Speicherung von Kohlenstoff im Boden als Ersatz für eine konsequente Minderungsstrategie in ihren eigenen Wertschöpfungsketten zu nutzen.