SchoolFood4Change: Ernährungsbildung vom Feld bis zum Klassenzimmer

SchoolFood4Change: Ernährungsbildung vom Feld bis zum Klassenzimmer

Das EU-geförderte Projekt "SchoolFood4Change" macht Schulen und Kitas zu Orten, an denen eine gesunde und nachhaltige Ernährungskultur gelebt wird. Im Interview erklären Alice Baumgärtner und Vera Stöbel, wie Schul- und Kitaverpflegung zur Transformation des lokalen Ernährungssystems beiträgt und wie die Schülerinnen und Schüler dabei miteinbezogen werden.

Das Projekt "SchoolFood4Change" verfolgt das Ziel, ein nachhaltiges und gesundes Kita- und Schulverpflegungssystem auf kommunaler Ebene anzuregen. Der Fokus des Projekts liegt dabei nicht nur auf einem leckeren, nachhaltigen und gesunden Essenangebot, sondern auch auf einer nachhaltigen und regionalen Beschaffung sowie der Integration von Ernährungsbildung auf allen Ebenen der Bildungsarbeit von Kitas und Schulen.

Finanziert wird das Projekt durch die Europäische Union im Rahmen des "Horizon 2020"-Förderprogramms. Die 43 Projektparterinnen und -partner finden sich in 12 europäischen Ländern. In Deutschland wird das Projekt von Speiseräume – Büro für angewandte Ernährungspolitik koordiniert und von den Städten Nürnberg und Essen auf lokaler Ebene umgesetzt.

Interview mit Alice Baumgärtner und Vera Stöbel

Im Interview mit Oekolandbau.de stellen die Projektbeteiligten Alice Baumgärtner und Vera Stöbel die Ideen hinter dem Projekt "SchoolFood4Change" vor, unter anderem die Whole School Food Approach, und erzählen, was Kinder und Jugendliche sich in ihren Ernährungsumgebungen wünschen.

Alice Baumgärtner arbeitet für Speiseräume als National Lead Partner Deutschland im Projekt "SchoolFood4Change" und begleitet dort die Kommunen Essen und Nürnberg bei der Umsetzung zukunftsfähiger Schulernährungssystems auf kommunaler Ebene. In ihrer Rolle als Projektkoordinatorin fungiert sie als zentrale Schnittstelle im europäischen Netzwerk und fördert den länderübergreifenden Wissenstransfer sowie die strategische Vernetzung der Akteurinnen und Akteuren.

Vera Stöbel begleitet als Projektmanagerin von "SchoolFood4Change" bei der Grünen Hauptstadtagentur der Stadt Essen Kitas und Schulen bei der Umsetzung einer ganzheitlichen Ernährungskultur. Als studierte Ökotrophologin (B.Sc.) und Erziehungswissenschaftlerin (B.A.) mit Schwerpunkt auf praktischer Ernährungsbildung und partizipativer Esskultur arbeitet sie seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Pädagogik, Gesundheitsförderung und nachhaltiger Ernährung.

Oekolandbau.de: Wie lässt sich Ernährungsbildung erlebbar machen im Kita- und Schulalltag?

Vera Stöbel: Zunächst einmal ganz banal: indem wir Essen und Trinken wieder sichtbarer machen in unseren Einrichtungen! Nahrungsmittelproduktion wird immer unpersönlicher und undurchsichtiger. Es gilt Zeit und Raum dafür zu schaffen, dass Kinder Lebensmittel wieder mit allen Sinnen erfahren können.

Dazu bedarf es nicht zwangsweise ausgedehnten Kochstunden. Ein Hochbeet, Gemüsegarten, Leitungswasser, das mit frischen Kräutern oder aufgeschnittenem Obst optisch ansprechend gestaltet wird und was den Kindern die Möglichkeit gibt sich in einem losen, ungezwungenen Kontext (unbekannten) Lebensmitteln wieder anzunähern und den eigenen Geschmack neu kennenzulernen.

Alice Baumgärtner: Es lohnt sich über den Tellerrand zu blicken und zu schauen, welche Akteurinnen und Akteure es bereits in der eigenen Stadt gibt, die im weiten Bereich Ernährungsbildung unterwegs sind.

Im Rahmen von"SchoolFood4Change" haben wir die Erfahrung gemacht, dass es sehr wertvoll ist, lokale Akteurinnen und Akteure in die Bildungsarbeit mit einzubeziehen. Dies können lokale Höfe, Gartenprojekte, Bäckereien, Caterer oder auch andere Initiativen wie FoodSharing sein.

Ein Netzwerk aus Ernährungsbildungsakteurinnen und -akteure aufzubauen – wie es die Stadt Essen im Rahmen des Projektes getan hat – und diese mit den Kitas und Schulen zusammenzubringen, bietet eine niederschwellige Möglichkeit für Bildungseinrichtungen praktische Ernährungsbildung anzubieten.

Wertvoll ist in diesem Kontext auch die Kooperation mit dem Essener Ernährungsrat und unserer Kollegin Karin Schmidt, die das Netzwerk besonders in Bezug auf Lebensmittelpraktikerinnen und -praktiker erweitert hat.

Oekolandbau.de: Was macht eine positive Ernährungsumgebung aus?

Vera Stöbel:

  • Eine Umgebung, in der sich alle wohlfühlen.
  • Genug Zeit, sich mit allen Sinnen einer Mahlzeit zu widmen, das heißt ausreichend Sitzplätze, um mit Freundinnen, Freunden und Bezugspersonen gemeinsam am Tisch zu sitzen und das Essen einzunehmen.
  • Die Möglichkeit mir das Essen selbst zu nehmen, die Portionsgröße zu bestimmen, einzelne Komponenten zu wählen, die Erfahrung, dass meine Stimme gehört wird.
  • Ein Raum mit gedämpfter Akustik, der es ermöglicht, mich mit den anderen zu unterhalten, wie das Essen, dass da gerade vor mir auf dem Teller liegt, auf mich wirkt. Was ich ansprechend finde, was mich vielleicht irritiert.
  • Ausreichend helle, aber keine penetrante Beleuchtung, die zum Wohlgefühl beiträgt und es mir ermöglicht, mein Essen gut sehen zu können.
  • Eine ruhige Atmosphäre, in der ich mich entspannen und zur Ruhe kommen kann zwischen den Unterrichtsstunden.
  • Möbel, Wände, optische Gestaltung im Raum, in der ich mich wiederfinde als Kind oder Jugendliche, die meine Bedürfnisse respektieren. Ein Raum für Austausch, denn Mahlzeiten stillen nicht nur den physiologischen, sondern auch den sozial-emotionalen Hunger.

Alice Baumgärtner: Im Rahmen unseres Projektes betrachten wir Kitas und Schulen als wichtige Ernährungsumgebung für Kinder und Jugendliche. Der im Projekt entwickelte Whole School Food Approach gibt Bildungseinrichtungen einen Überblick, an welchen Stellen Ernährung überall mitgedacht werden kann.

Dies beinhaltet beispielsweise strategische Entscheidungen zur Einrichtungsentwicklung, die Frage welches Essen in den Einrichtungen angeboten wird – auch außerhalb der Kantine, (praktische) Bildungsarbeit und die Kooperation mit Akteurinnen und Akteuren aus dem Schulumfeld. So können Bildungseinrichtungen nachhaltige und gesunde Ernährung Stück für Stück an unterschiedlichen Punkten ihrer Arbeit einbringen und so langfristig eine positive Ernährungsumgebung für Kinder und Jugendliche schaffen.

Im Projekt haben wir zudem eine Checkliste erarbeitet, die Bildungseinrichtungen nutzen können, um einen schnellen Überblick darüber zu bekommen, welche Aktivitäten und Aktionen im Themenbereich Ernährung die Einrichtung bereits umsetzt und an welchen Stellen noch Handlungsbedarf besteht.

Oekolandbau.de: Wie unterstützt Ihr Projekt Kinder und Jugendliche dabei, einen gesunden und nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln zu entwickeln?

Vera Stöbel: Ziel der Umsetzung des Whole School Food Approach ist es, Essen und Trinken wieder sichtbar und erlebbar im Kita- beziehungsweise Schulalltag zu machen. Was ist nötig, damit ich das Essen in der Schule auf dem Teller haben kann? Was ist bis hierher passiert, wo kommt mein Essen her, wer hat daran mitgewirkt, unter welchen Bedingungen und was passiert mit den Resten? Regelmäßiger Austausch ist hier ein wichtiger Schlüssel.

Wir bilden Essensgremien in den Einrichtungen, in denen sich alle an der Verpflegung enger und weiter Beteiligte zusammensetzen und sich darüber austauschen, wie die aktuelle Situation in der Einrichtung ist und welche Veränderungen sich die einzelnen Beteiligten wünschen.

Dabei zählt jede Stimme. Die der Kinder und Jugendlichen genauso wie die der weiteren Beteiligten. Indem die Kinder und Jugendliche in praktischen Angeboten lernen, was dazu gehört sich eine Mahlzeit zuzubereiten, lernen sie die Lebensmittel, aber auch die Menschen, die täglich für sie in der Küche stehen, wieder mehr zu schätzen.

Oekolandbau.de: Wie können auch die Eltern eingebunden werden?

Vera Stöbel:  Durch offenen Austausch, gemeinsame Gesprächsrunden mit allen Verpflegungsbeteiligten und dass jede Stimme Gehör verdient, auch die der Eltern mit ihren Wünschen und Bedürfnissen. Außerdem freuen sich viele Eltern über theoretische und praktische Tipps.

Häufig erreichen uns Fragen zu altersgerechten und entwicklungsangemessenen Essensangeboten, zum Beispiel:

  • Wie sieht eine ausgewogene Brotdose aus?
  • Wie kann ich als Elternteil abwechslungsreich und lecker pflanzlich kochen?
  • Darf ich meinem vierjährigen Kind ein Messer in die Hand geben?
  • Was mache ich, wenn mein Kind kein Gemüse mag?
  • Wie kann ich mein eigenes Essenstrauma aus der Kindheit überwinden?

Wir sind die Expertinnen und Experten für das Fachwissenschaftliche, die Eltern sind Expertinnen und Experten für ihre Kinder. Und so sollten wir uns auch begegnen dürfen.

Im Rahmen unserer Arbeit mit dem Whole School Food Approach beziehen wir Eltern bewusst in den Prozess mit ein, beispielsweise durch die Beteiligungsmöglichkeit an Essensgremien, Exkursionen oder Kochaktionen.

Oekolandbau.de: Welche Rolle spielen Bio-Lebensmittel und der Ökolandbau in Ihrem Projekt?

Alice Baumgärtner: Bio-Produkte leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit von Mensch und Umwelt, weshalb sie für unser Projekt eine bedeutende Rolle spielen. Im Rahmen von "SchoolFood4Change" arbeiten wir eng mit Kita- und Schulcaterern und deren Küchenteams zusammen. Mit kochpraktischen Workshops bieten wir den Köchinnen und Köchen Ideen und Anregungen, wie das Kochen mit saisonalen, unverarbeiteten Produkten und Hülsenfrüchten auch bei hohen Portionszahlen möglich ist.

In den Workshops probieren wir gemeinsam mit den Küchenteams praxistaugliche Rezepte aus, mit denen die Umsetzung einer frischen, leckeren und pflanzenbetonten Küche, die auch Kindern und Jugendlichen schmeckt, im Großküchenalltag gelingt.

Die Steigerung des Bio-Anteils innerhalb der gegebenen Budgets ist hier ein wichtiger Hebel, um all dies umzusetzen. Denn durch den Einsatz von mehr unverarbeiteten, saisonalen und pflanzlichen Produkte sinkt der Wareneinsatz im Einkauf. Dieses Budget kann wiederum dafür genutzt werden, vermehrt Bio-Produkte einzusetzen. Wie dies erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigen seit mehreren Jahren auch Projekte wie das House of Food in Kopenhagen sowie die Kantine Zukunft in Berlin.

Neben der Weiterbildung von Küchenteams setzt"SchoolFood4Change" auch bei kommunalen Ausschreibungen an. Im Rahmen des Projektes wurde ein Kriterienkatalog entwickelt, der Verwaltungen dabei unterstützt, Nachhaltigkeitskriterien, wie beispielsweise einen verpflichtenden Bio-Anteil, in die Ausschreibungen für Kita- und Schulcatering zu etablieren. Wichtig ist, dass diese beiden Maßnahmen unmittelbar zusammenhängen: Auf der einen Seite schaffen Kommunen Rahmenbedingungen für die Verpflegung und auf der anderen Seite werden Küchenteams durch Weiterbildungen dabei unterstützt, diese neuen Anforderungen in Form von leckeren und attraktiven Gerichten umzusetzen.

Oekolandbau.de: Wie gefallen die Aktionen den Kindern und Jugendlichen? Was wünschen sie sich in Bezug auf das Schul- und Kitaessen?

Vera Stöbel: Sie wünschen sich, selbst eingebunden zu werden, eine Stimme zu haben, an der wir Erwachsenen tatsächlich interessiert sind. In der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen haben wir schon oft die Erfahrung gemacht, dass das Erstaunen zunächst sehr groß ist, wenn wir nach ihren Wünschen und Bedürfnissen fragen. Häufig kommen zunächst nur zaghaft Antworten.

Wenn sie dann merken, dass wir ihre Meinung wirklich hören wollen und gemeinsam nach Lösungen suchen möchten, kommt mehr – und das noch häufiger bei jugendlichen Schülerinnen und Schülern als bei jüngeren. Besonders groß ist die Begeisterung überall dort, wo wir die Jugendlichen praktisch arbeiten lassen.

Das Gefühl, dass wir ihnen etwas zutrauen und sie sich selbstbestimmt und kreativ ausprobieren dürfen – beispielsweise, wenn es um den Einsatz von Gewürzen geht, der Kombination von verschiedenen Geschmäckern, etc. – lässt viele über sich hinauswachsen. Oft ergeben sich darauf spannende Gespräche im Nachgang und auch die Gruppendynamik in festen Klassenverbänden kann sich mitunter auf interessante Weise positiv verändern.


Letzte Aktualisierung 30.05.2025

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