Leinsamenpresskuchen in der Bio-Lebensmittelverarbeitung

Nebenprodukt mit Potenzial: Neue Chance für Leinsamenpresskuchen in der Bio-Lebensmittelverarbeitung

Ein Team des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik und der sächsischen Bio-Ölmühle Moog hat ein dreistufiges Verfahren entwickelt, mit dem sich Blausäure aus dem Presskuchen von Leinsamen entfernen lässt. Außerdem wurde in dem vierjährigen BÖL-Forschungsvorhaben LINOVIT ein vielversprechender Ansatz zur Verwertung von Leinölpresskuchen in der Lebensmittelindustrie entwickelt.

Ob als Öl, Saat oder Schrot – Leinsamen werden schon lange als Teil einer gesunden Ernährung vielseitig genutzt. Aber auch der Leinsamenpresskuchen ist geradezu prädestiniert als wertgebende Zutat für pflanzenbasierte Lebensmittel. Denn das ohnehin bei der Leinölgewinnung anfallende Nebenprodukt punktet mit einem hohen Gehalt an Proteinen, Ballaststoffen und gesundheitsfördernden Omega-3-Fettsäuren. Dennoch wird der Presskuchen bislang überwiegend in der Tierfütterung eingesetzt.

Grund dafür ist dessen Gehalt an cyanogenen Glycosiden, die von der Leinpflanze als Schutzmechanismus gegen Fraßfeinde gebildet werden. Diese Verbindungen sind für sich genommen nicht toxisch, können aber durch enzymatische Spaltung die für Mensch und Tier toxische Blausäure freisetzen. Da cyanogene Glycoside wasserlöslich sind, verbleiben sie nach der Ölgewinnung meist im Presskuchen. Dabei erreicht die Blausäure häufig eine für die menschliche Gesundheit bedenkliche Konzentration von 200 bis 400 mg/kg Trockensubstanz.

Nun ist es einem Forschungsteam am Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) gelungen, eine dreistufige Prozesskette zu entwickeln, die den Gehalt an cyanogenen Glycosiden im Ölpresskuchen deutlich verringert. Mit diesem Verfahren ließ sich der Blausäuregehalt in den untersuchten Proben von 390 mg/kg Trockensubstanz auf unter 40 mg/kg Trockensubstanz senken, womit der gesetzliche Grenzwert von 150 mg/kg deutlich unterschritten wird. Die dazugehörigen Verarbeitungsschritte sind mit den Grundsätzen des ökologischen Landbaus vereinbar, sodass auch eine Anwendung für Bio-Produkte im industriellen Maßstab möglich ist.

Im Verbundvorhaben LINOVIT haben die Forschenden des DIL zudem in Zusammenarbeit mit der Ölmühle Moog einen vielversprechenden Ansatz entwickelt, um das pflanzliche Protein aus dem Ölpresskuchen für Fleischersatzprodukte nutzbar zu machen. Außerdem haben Agrarwissenschaftlerinnen der Universität Bonn erforscht, wie sich der Standort und das Anbauverfahren auf die Entstehung der Blausäurevorstufen auswirken. Gefördert wurde das vierjährige Forschungsprojekt über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL).

Dessen Ziel war es,

  • den Anbau von Leinsamen hierzulande zu fördern,
  • die Lebensmittelsicherheit von Leinprodukten zu erhöhen und
  • die Nutzung von Nebenprodukten der Leinverarbeitung zu ermöglichen.

Dreistufiger Prozess zur Blausäurereduktion

Erhöhte Ressourceneffizienz für Ölmühlen

Nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten die Forschungsergebnisse wertvolle Impulse sowohl für die landwirtschaftliche Praxis als auch für die industrielle Verarbeitung. Ihr neues Verfahren zur Blausäurereduktion in Leinsamenpresskuchen sehen sie als einen entscheidenden Schritt, um dieses wertvolle Nebenprodukt sicher und vielseitig in der Lebensmittelproduktion einsetzen zu können.

Allein oder zusammen mit Erbsen, Soja oder Ackerbohnen hat texturierter Leinsamenpresskuchen großes Potenzial für Fleischersatzprodukte. Auch in Form von Mehl für Backwaren oder als Proteinpulver ist eine interessante Verwertung möglich. Für Ölmühlen, die kaltgepresstes Leinsamenöl herstellen, bieten diese Verwertungswege die Chance, ihre Ressourceneffizienz zu steigern und ihre Produktpalette zu erweitern.

Weitere Informationen zum Projekt LINOVIT

Die vollständige Bezeichnung des Forschungsvorhabens LINOVIT lautet: "Innovative Ansätze zum Umgang mit qualitätsbildenden und qualitätsmindernden Inhaltsstoffen von Lein und dessen Verarbeitungsprodukten mit dem Fokus auf Blausäure"

Hier geht's zum Abschlussbericht

Interview mit Juliette Rudzick

Juliette Rudzick, Diplom-Ingenieurin für Verfahrenstechnik am DIL und Projektleiterin des LINOVIT-Projektes beschreibt im Interview die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten von Leinsamenpresskuchen.

Oekolandbau.de: Über welche funktionellen Eigenschaften verfügt Leinsamen?

Juliette Rudzick: Leinsamen enthält besonders viel Proteine und Ballaststoffe. Der Proteingehalt ist abhängig von der Ölausbeute – in Leinsamenpresskuchen liegt er bei etwa 34 g pro 100 g. Diese Proteine sind besonders interessant, weil sie Eigenschaften wie Gelbildung, Schaumstabilisierung oder Emulgierung beeinflussen können. Eine Besonderheit von Leinsamen sind die enthaltenen Schleimstoffe, auch als Leinsamengummi bekannt. Das sind lösliche Ballaststoffe, die sich hauptsächlich in der Samenschale befinden und etwa ein Drittel des gesamten Ballaststoffgehalts ausmachen. Sie wirken verdickend und können in Lebensmitteln für eine verbesserte Textur sorgen. Außerdem können sie in der veganen Küche als Bindemittel fungieren, da sie in Wasser eine gelartige Konsistenz entwickeln.

Oekolandbau.de: Bei welchen Produkten erscheint Ihnen der Zusatz von Leinsamenpresskuchen besonders interessant?

Juliette Rudzick: Leinsamenpresskuchen ist eine tolle ballaststoffreiche, pflanzliche Proteinquelle, die sich vielseitig einsetzen lässt. In der Lebensmittelindustrie wird Leinmehl bereits in Produkten wie Pasta, Backwaren, Pizzaböden, Müslis, Proteinpulvern oder Shakes verwendet.

Durch seine funktionellen Eigenschaften kann das Leinmehl als Ei-Ersatz dienen, als Bindemittel in veganen Rezepturen eingesetzt oder als Verdickungsmittel und Emulgator genutzt werden. Vor allem in pflanzlichen Produkten oder proteinangereicherten Lebensmitteln ist Leinsamenpresskuchen eine interessante Zutat.

Oekolandbau.de: Die Textur ist neben dem Geschmack und Aroma das entscheidende Qualitätsmerkmal von Fleischersatzprodukten. Zur Verbesserung der Textur von Fleischersatzprodukten haben Sie den Zusatz von Ackerbohnen-, Erbsen- und Sojaprotein zum Leinsaatpresskuchen getestet. Was bringt dies?

Juliette Rudzick: Fleischersatzprodukte auf Basis von Erbsen- oder Sojaprotein sind inzwischen Standard. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich aber mehr heimische Rohstoffe. Hier kann Leinsamenpresskuchen eine interessante Ergänzung sein, weil er sich als Nebenprodukt der Leinölproduktion nachhaltig verwerten lässt und gleichzeitig eine wertvolle Quelle für Proteine und Ballaststoffe mit einem gewissen Restfettgehalt ist.

Durch die Kombination von Leinsamenpresskuchen mit bekannten pflanzlichen Proteinquellen wie Soja oder Erbse lässt sich außerdem das Aminosäureprofil des Endprodukts verbessern, da jede Proteinquelle ein etwas anderes Spektrum an Aminosäuren liefert. Allerdings hat sich bei unseren Versuchen gezeigt, dass die Extrusion von reinem Leinsamenpresskuchen nicht zur gewünschten Expansion führt, wie man sie beispielsweise von Sojagranulat kennt. Das liegt daran, dass der Proteingehalt im Presskuchen allein nicht hoch genug ist. Deshalb ist es sinnvoll, ihn mit anderen pflanzlichen Proteinkonzentraten oder -isolaten zu kombinieren.

Oekolandbau.de: Welche Mischungsverhältnisse haben Sie getestet und wie gut kamen die getesteten Produkte bei Verbraucherinnen und Verbrauchern an?

Juliette Rudzick: Wir haben verschiedene Mischungsverhältnisse getestet – von 50:50 bis hin zu 70:30, also 70 Prozent Soja-, Erbsen- oder Ackerbohnenprotein und 30 Prozent Leinsamenpresskuchen. In einem Verbraucherakzeptanztest haben wir dann ein Leinsamenpresskuchen-Erbsen-Extrudat mit einem kommerziell verfügbaren Sonnenblumenextrudat verglichen. Dabei wurden die Extrudate sowohl pur als auch in einer Bolognese-Sauce getestet. Das Ergebnis war vielversprechend: Unser Produkt schnitt ähnlich ab wie das kommerzielle Referenzprodukt. Das zeigt, dass Leinsamenpresskuchen eine vielversprechende Zutat für pflanzliche Fleischalternativen sein kann.

Oekolandbau.de: Sie haben ein großes Potenzial für den Einsatz von Leinsamenpresskuchen in Lebensmitteln ausgemacht. Was fehlt noch, um die von Ihnen getesteten Produkte zur Marktreife und Zulassung zu bringen?

Juliette Rudzick: Die nächsten Schritte für eine industrielle Anwendung betreffen vor allem sicherheitsrelevante Aspekte. Ein wichtiger Punkt ist der kontinuierliche Austritt von Blausäure während der Extrusion. Hier müssen Konzepte für eine effektive Absaugung und Reinigung der Abluft entwickelt werden, die sowohl den Anforderungen der Arbeitssicherheit als auch des Umweltschutzes gerecht werden. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, kann das Verfahren im industriellen Maßstab sicher umgesetzt werden.

Oekolandbau.de: Welche sonstigen Schritte sind für eine breite Anwendung in der Praxis erforderlich?

Juliette Rudzick: Neben der bereits angesprochenen Abluftreinigung und Arbeitssicherheit ist auch die Skalierung des Verfahrens auf einen industriellen Maßstab entscheidend. Die Versuche am DIL wurden bereits im Pilot-Maßstab durchgeführt, jedoch müsste der Durchsatz für eine wirtschaftliche industrielle Nutzung weiter erhöht werden. Zudem wären weitere Optimierungen des Prozesses hilfreich, um die Extrusion und Trocknung noch schonender zu gestalten und die Proteindenaturierung zu minimieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mit Lohnherstellern. Gerade für kleinere Ölmühlen kann es sinnvoller sein, den Prozess auszulagern statt selbst in die notwendige Anlagentechnik zu investieren. Hier stehen wir im Austausch mit der Industrie, um mögliche Lösungen zu finden.

Oekolandbau.de: Wird die Blausäure nach dem Absaugen gebunden oder in die Atmosphäre abgegeben? Oder was passiert damit?

Juliette Rudzick: In unseren Versuchen am DIL wurde die Blausäure über eine mobile Absaugeinheit mit einem Filter erfasst. Wie genau das Abluftmanagement im industriellen Maßstab umgesetzt wird, hängt von den jeweiligen Produktionsbedingungen ab. Auch hier sind wir bereits im Austausch mit Unternehmen, um passende Lösungen zu finden – sei es durch Filtersysteme oder andere Maßnahmen zur sicheren Ableitung.

Oekolandbau.de: Mit welchen Kosten müssen Ölmühlen für die Anschaffung der benötigten Anlagen rechnen?

Juliette Rudzick: Die Investitionskosten für die Anschaffung eines geeigneten Mühlensystems, eines Mischers, eines Extruders und eines Trockners liegen im Millionenbereich. Hinzu kommen zusätzliche Kosten für Abluftreinigung und sicherheitstechnische Maßnahmen.

Gerade für kleinere Ölmühlen kann es daher wirtschaftlich sinnvoller sein, den Prozess zunächst an einen Lohnfertiger auszulagern, der bereits Erfahrung mit der Extrusion hat. Die genauen Kosten dafür variieren je nach Anbieter.

Oekolandbau.de: Wie anspruchsvoll ist die Anwendung Ihres Verfahrens? Ist eine Schulung der Mitarbeitenden der Ölmühlen erforderlich?

Juliette Rudzick: Aktuell ist das Verfahren relativ anspruchsvoll, insbesondere durch den Einsatz eines Extruders und die Sicherheitsanforderungen im Umgang mit freigesetzter Blausäure. Auch deshalb wäre es für die meisten Ölmühlen sicher sinnvoll, den Extrusionsprozess von spezialisierten Lohnherstellern durchführen zu lassen. Sollte eine Ölmühle das Verfahren selbst umsetzen wollen, wären nicht nur Schulungen erforderlich, sondern auch spezielle Anlagenführer für Extruder.

Oekolandbau.de: Unterstützen Sie die Ölmühle Moog und auch andere Unternehmen bei der Entwicklung von marktreifen Produkten auf der Basis von Leinsamenpresskuchen?

Juliette Rudzick: Ja, auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit der Ölmühle Moog war für uns sehr wertvoll. Auch wenn weitere Unternehmen Interesse an der Nutzung von Leinsamenpresskuchen haben, unterstützen wir diese gerne dabei, passende Anwendungen zu finden und die technologische Umsetzung zu begleiten – sei es bei Produktentwicklungen oder bei Fragen zur Verarbeitung.

Text: Nina Weiler
 


Letzte Aktualisierung 14.05.2025

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