Was erwartet die Kundschaft vom Bio-Fachhandel?

Was erwartet die Kundschaft vom Bio-Fachhandel?

Wie kann der Bio-Fachhandel Kundinnen und Kunden für die Transformation der Lebensmittelwirtschaft gewinnen? Mit dieser Fragestellung hat sich eine Studie des Rheingold-Instituts im Auftrag der BioHandel Akademie beschäftigt.

Hierzu wurden in der Studie 32 Frauen und Männer zwischen 21 und 67 Jahren beim Einkaufen in 16 kleinere, mittlere und große inhabergeführte Bio-Läden begleitet und im Nachgang in tiefenpsychologischen Interviews befragt. 16 Teilnehmende kauften mindestens einmal in der Woche im inhabergeführten Bio-Fachhandel und seltener im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ein. Die anderen 16 Teilnehmenden kauften mindestens einmal wöchentlich im LEH und teilweise auch im Bio-Fachhandel ein.

Hinweis: In der Studie des Rheingold Instituts wird der Bio-Fachhandel als "Gesinnungsstätte" bezeichnet. Das Wort "Gesinnung", dass laut Definition des Dudens eine Haltung, die jemand einem anderen oder einer Sache gegenüber einnimmt, beziehungsweise eine geistige und sittliche Grundeinstellung eines Menschen beschreibt, kann mit positiven und negativen Emotionen behaftet sein.

Menschen kaufen aus unterschiedlichen Gründen Bio-Lebensmittel ein. Dies ist meistens auf besondere Situationen im Leben zurückzuführen wie gesundheitlichen Problemen, Allergien, einer Ernährungsumstellung oder der Schwangerschaft und Geburt eines Kindes. Oft findet der erste Kontakt mit Bio-Lebensmitteln der Studie zufolge beim Einkauf im LEH statt. Dort wird das Bio-Produkt im schnellen Abverkauf, zu günstigen Preisen und ohne weitere Wertung an die Kundschaft gebracht. Solange die Kundin beziehungsweise der Kunde nur am Bio-Produkt an sich interessiert ist, ist der Wechsel zum Fachhandel unwahrscheinlich. Daher wird der LEH auch als "Produktmarktplatz" bezeichnet.

Doch welche Motive führen dazu, dass Bio-Interessierte vom LEH zum Bio-Fachhandel wechseln? Der Studie zufolge setzt dies eine zunehmende Bewusstwerdung über Themen wie Nachhaltigkeit, Tierwohl, die Produktherkunft, den Arbeitsbedingungen im In- und Ausland, dem Zweifeln an der im LEH angebotenen Bio-Qualität ("Gefühl von Masse auch bei Bio-Produkten") oder auch dem Hinterfragen von Plastikverpackungen und Fertiggebinden bei Bio-Produkten voraus. Als Folge des Prozesses wird das eigene Einkaufsverhalten zunehmend in Frage gestellt. Getreu dem Motto "Ich probiere jetzt etwas anderes aus" wechselt der Bio-Interessierte dann in den Fachhandel. Dieser genießt aus Kundensicht ein Grundvertrauen, da dort nur Bio-Lebensmittel zum Verkauf angeboten werden.

Produktmarktplatz versus Gesinnungsstätte

Wird in der Rheingold Studie der LEH als Produktmarktplatz bezeichnet, bei dem es sich allein um den schnellen Verkauf des Produkts dreht, wird der Bio-Fachhandel demgegenüber als "Gesinnungsstätte" bezeichnet. Dabei bezieht sich die Bezeichnung auf drei unterschiedliche Dinge. Zum einen ist damit eine Wertewelt gemeint, die eine Wertschätzung und Verantwortung gegenüber dem gesamten Naturkreislauf ausdrückt. Anders als im LEH geht es nicht um das einzelne Produkt, sondern um die gesamte Wertschöpfungskette, die hinter einem Produkt steckt. Daneben geht es um die Sinnlichkeit, mit denen Bio-Produkte im Fachhandel dargeboten werden. Als dritter Punkt wird als Gesinnung eine dogmatische Haltung bezeichnet, deren Bedeutung in der Studie negativ assoziiert ist. Darunter versteht sich eine moralische und ethische Haltung, denen sich Bio-Interessierte im Fachhandel (vermeintlich) ausgesetzt fühlen.

Auf die Atmosphäre kommt es an

Ein wichtiger Punkt beim Kauf von Bio-Produkten ist zudem die Atmosphäre, die die Einkaufsstätte ausstrahlt. So wird der Einkauf im LEH laut Aussagen der Studienteilnehmenden als stressig und hektisch wahrgenommen. Es ist zudem spürbar, dass es um den schnellen Abverkauf von Waren geht. Der Einkauf ist funktional und zweckmäßig. Auf der anderen Seite wird der Einkauf im Fachhandel als Entschleunigung wahrgenommen, die Atmosphäre wird in den oftmals kleineren Läden als ruhiger bezeichnet und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken entspannter. Holzelemente und eine stimmige Beleuchtung tragen beispielsweise zu einem natürlichen, warmen Erscheinungsbild bei. So wird der Kauf im Fachhandel als "entschleunigter Wohlfühlkauf" wahrgenommen.

Die sieben magischen Punkte

Dennoch begeben sich nicht alle Bio-Interessierten, die zuvor im LEH gekauft haben, in den Fachhandel. Die Gründe sind vielfältig und können unter anderem mit kleinen Eingängen und zugeklebten Fensterscheiben, die den Blick ins Innere des Ladens verwehren, oder auch mit der anderen Raumaufteilung und Produktplatzierung zusammenhängen. Um diese Barrieren abzubauen, hat die Rheingold Studie folgende sieben Handlungsempfehlungen beziehungsweise Punkte herausgearbeitet.

  1. Einladende Offenheit: Der Kundschaft soll von außen das Gefühl gegeben werden, dass sie willkommen ist. Dazu tragen zum Beispiel ein großer Eingangsbereich, Sonderangebote, eine Bäckerei direkt am Eingang, eine schöne Dekoration oder auch Verkostungsaktionen im Eingangsbereich bei. Dass jeder willkommen ist, sollten auch die Mitarbeitenden ausstrahlen.
  2. Organische Grundstruktur: Das Sortiment muss gut geordnet, strukturiert und stimmig sein. Eine passende Beschilderung kennzeichnet beispielswiese die einzelnen Produktbereiche. Auch Regale, die nicht so hoch sind, tragen zur besseren Orientierung bei. Die Kundschaft soll spüren, dass es nicht nur um den Abverkauf von Ware geht.
  3. Natürliche Stimmungsinszenierung: Die einzelnen Produktbereiche sollen stimmig in Szene gesetzt werden und Assoziationen bei der Kundschaft wecken. In der Obst- und Gemüseabteilung bieten sich für die Warenpräsentation zum Beispiel Holzkisten oder Flechtkörbe an, wodurch die Produkte wirken, als kämen sie frisch vom Feld. Auch das Storytelling bietet sich für einzelne, ausgewählte Produkte an, um Emotionen bei der Kundschaft zu wecken.
  4. Achtsame/Inspirierende Produktdarbietung: Mit den einzelnen Bio-Produkten soll achtsam umgegangen werden. Das angebotene Gemüse soll immer frisch aussehen und keine braunen Blätter oder ähnliches aufweisen. Bio-Produkte, die nicht mehr ganz so frisch sind oder deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald abläuft, können als zweite Wahl zum halben Preis verkauft werden. Bezüglich der Inspiration können Unterschiede zwischen einzelnen Produkten herausgestellt werden. Was unterscheidet beispielsweise eine Stearinkerze von einer Wachskerze? Warum ist Manuka-Honig so teuer?
  5. Wohlwollendes Entgegenkommen: Die Mitarbeitenden sollen der Kundschaft wohlwollend, freundlich und hilfsbereit entgegenkommen. Einzelne Produkte können nicht nur in Verkostungsaktionen probiert werden. Im Idealfall kennen die Mitarbeitenden die Kundschaft schon länger und haben Zeit für ein kurzes, persönliches Gespräch. Wichtig ist zudem, den Bezug zur Kundschaft auf allen Ebenen herzustellen. Die Intention dahinter lautet: Wir verbinden uns sowohl mit den Produzierenden, den Mitarbeitenden als auch der Kundschaft.
  6. Verwurzelung im Nahbereich: Das Thema Regionalität ist allgegenwärtig. Daher sollte der Bio-Laden Lieferbetriebe aus der Nähe unterstützen oder beispielsweise Kooperationen mit Handwerksbetrieben eingehen, deren Produkte im Laden zu kaufen sind. Je nach Möglichkeit können auch Kitas, Schulen, Sportvereine, Krankenhäuser oder Tafeln für Obdachlose mit Ware unterstützt werden.
  7. Aufwandserleichterungen: Auch Convenience-Produkte wie Tiefkühlpizza oder vorgeschnittenes Gemüse sollten im Sortiment zu finden sein. Die Zahl der Single-Haushalte in Deutschland steigt, die für sich allein nicht unbedingt ausgiebig kochen. Auch Lieferservices, wie die klassische Bio-Gemüsekiste oder Kochboxen, liegen im Trend. Beiliegende Rezeptvorschläge erleichtern das gesunde Essen ohne großen Aufwand.

Auf die Größe des Ladens kommt es an

Je größer die Fläche im Bio-Fachhandel ist, desto schwächer ist die "Gesinnung", so ein Ergebnis der Rheingold Studie. Bio-Interessierte, die zuvor im LEH gekauft haben, werden als Einstieg eher in Bio-Ketten wie Alnatura oder Denns einkaufen gehen, da dort ähnliche Strukturen wie im LEH vorzufinden sind. So ist die Verkaufsfläche größer als im kleinen, inhabergeführten Bio-Laden, ebenso sind die Produktbereiche normierter und strukturierter. Da die Inhaberin oder der Inhaber oft nicht selbst im Laden steht und die Mitarbeitenden unter Umständen häufiger wechseln, ist es wichtig, dass die Bio-Ketten ihre "Gesinnung" nicht aus den Augen verlieren. Bei kleinen, inhabergeführten Bio-Läden ist die Überzeugung beziehungsweise Gesinnung stärker spürbar und kann bei der LEH-Kundschaft unter Umständen mehr Berührungsängste hervorrufen. Wichtig ist daher, als Inhaberin oder Inhaber nicht zu dogmatisch aufzutreten. Wichtiger Stichpunkt an dieser Stelle ist die "Einladende Offenheit".

Mit den Augen der Kundschaft sehen

Wechseln Sie die Perspektive! Versetzen Sie sich als Ladnerin oder Ladnerin in die Rolle der LEH-Kundschaft und gehen Sie kritisch die sieben oben aufgeführten Punkte durch. Welche werden erfüllt? Wo besteht Verbesserungspotenzial? Lassen Sie die Atmosphäre Ihres Ladens auf sich wirken. Oftmals verlieren sich die Menschen zu tief im Detail beziehungsweise ihrer alltäglichen Arbeit, so dass ein Perspektivwechsel neue Inspirationen liefern kann!


Letzte Aktualisierung 02.06.2022

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