RegioHuhn und ÖkoGen: Steffen Weigend und Inga Tiemann

RegioHuhn und ÖkoGen: Interview mit Steffen Weigend und Inga Tiemann

Prof. Dr. Steffen Weigend und Dr. Inga Tiemann beschäftigen sich in Forschungsprojekten mit der Züchtung von Zweinutzungshühnern für den Öko-Landbau. Auch wenn die Züchtung noch am Anfang steht, sehen sie ein großes Potenzial für Zweinutzungshühner. Im Interview mit Oekolandbau.de sprechen sie über die Forschungsziele der Projekte "RegioHuhn" und "ÖkoGen" und über die aktuellen Erkenntnisse und Herausforderungen der Züchtung.

In den vom Bundesprogramm für Ökologischen Landbau (BÖL) geförderten Verbundsprojekten "RegioHuhn" und "ÖkoGen" sollen drei regionale Hühnerrassen züchterisch weiterentwickelt werden, um eine Zweinutzung im Öko-Landbau zu ermöglichen. Prof. Dr. Steffen Weigend, Leiter des Forschungsbereichs "Züchtung und Genetische Ressourcen" am Friedrich-Loeffler-Institut in Mariensee, und Dr. Inga Tiemann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Landtechnik der Universität Bonn, erklären im Interview mit Oekolandbau.de die Forschungsziele der Projekte "RegioHuhn" und "ÖkoGen" und sprechen über die aktuellen Erkenntnisse und Herausforderungen in der Zucht von Zweinutzungshühnern.

Oekolandbau.de: Weshalb brauchen wir Zweinutzungsrassen?

Steffen Weigend/Inga Tiemann: Die züchterische Entwicklung hochspezialisierter, vollständig getrennter Zuchtlinien für die Fleisch- und Eiererzeugung in der Wirtschaftsgeflügelzucht seit circa 1950 hat zu sehr unterschiedlichen Tieren geführt, die entweder für die Mast oder als Legetiere genutzt werden. Die Zuchtunternehmen selektieren auf Leistungsmerkmale in reinen Linien der jeweiligen Nutzungsrichtung. In der Landwirtschaft dagegen kommen Kreuzungen aus diesen Linien an, die verlässliche und vorhersagbare Leistungen erbringen. Dabei legen die weiblichen Legehennen etwa 320 Eier in 12 Monaten auf der einen Seite, während Masthühner auf der anderen Seite circa zwei Kilogramm in vier Wochen erreichen. Auf diese Weise werden Verbraucherinnen und Verbraucher mit hochwertigen und zugleich, aufgrund der Leistungseffizienz der Tiere, kostengünstigen Lebensmitteln versorgt.

Masthähne sind also nicht die Brüder der Legehennen, die für die Eiererzeugung genutzt werden. Das typische Masthähnchen gibt es übrigens nicht mehr, es werden beide Geschlechter gemästet. Die "männlichen Legehühner" waren von einer Nutzung bisher ausgeschlossen, da sie aufgrund der Zucht auf hohe Legeleistung nur sehr begrenzt für die Mast geeignet sind. Versuche, diese männlichen Tiere dennoch zu mästen gibt es, wobei die sogenannte "Bruderhahn Initiative" aus Sicht des Ressourcenaufwandes und der begrenzten Masttagszunahmen umstritten ist. Die fehlende Wirtschaftlichkeit der männlichen Tiere aus der Legehennenzucht führte zum Töten dieser Tiere als Eintagsküken, die unter anderem in der Wild- und Zootierfütterung genutzt werden. Ethische Gründe des Tötens von Eintagsküken, das in weiten Teilen des ökologischen Landbaus als auch in der Gesellschaft nicht als nicht akzeptabel angesehen wird, hat zu einem Verbot dieser Praxis geführt.

Eine Alternative besteht in der Zucht von Tieren, die für eine Zweinutzung geeignet sind, das heißt, bei denen die männlichen Tiere für die Mast geeignet sind, während die weiblichen Tiere für die Eierproduktion verwendet werden können. Die Züchtung eines Huhns für eine Zweinutzung ist daher eine der Möglichkeiten, das Töten der männlichen Eintagsküken der Legerichtung zu verhindern, indem beide Geschlechter, der Hahn als Masttier und die Henne für das Eierlegen, eingesetzt werden.

Oekolandbau.de: Welche alternativen Möglichkeiten zum Kükentöten neben der Züchtung von Zweinutzungsrassen gibt es?

Weigend/Tiemann: Eine Möglichkeit ist das Verhindern des Schlupfes männlicher Tiere der Legerichtung. Das kann erreicht werden, indem bereits im Brutei zu einem frühen Zeitpunkt (etwa um dem 9./10. Bruttag laboranalytisch, oder am 12./13. Bruttag über spektroskopische Verfahren bei Tieren mit einer geschlechtsgetrennten Farbvererbung des Gefieders) das Geschlecht des sich entwickelnden Embryos bestimmt wird – das sogenannte "in-ovo-sexing". Dabei wird die Brut der männlichen Embryonen abgebrochen. In der Forschung gibt es inzwischen auch Ansätze, durch genetisch veränderte Elterntiere die Entwicklung männlicher Embryonen ganz zu unterbinden, wobei die dann schlüpfenden weiblichen Tiere genetisch nicht verändert sind.

Oekolandbau.de: Welche Züchtungsbestrebungen gibt es im Bereich Zweinutzungshuhn? Wie weit ist man überhaupt mit der Züchtung?

Weigend/Tiemann: Obwohl eine Zweinutzung lange vor Beginn der heutigen Wirtschaftsgeflügelzucht beim Huhn für zahlreiche lokale Hühnerrassen beschrieben wurde, steht die Zucht auf Zweinutzung noch ziemlich am Anfang. Alte lokale Rassen können zwar sowohl für die Fleisch- als auch für die Eiererzeugung genutzt werden, jedoch ist ihr Leistungsvermögen und damit ihre Effizienz in der Ressourcennutzung im Vergleich zu den spezialisierten Herkünften der Mast- bzw. Legerichtung sehr gering.

Entsprechende Zuchtprogramme wurden begonnen bzw. sind derzeit in der Entwicklung. Auch in der Wirtschaftsgeflügelzucht bieten Zuchtunternehmen Zweinutzungshühner an. Lohmann Breeders GmbH, als Zuchtunternehmen der EW-Group in Deutschland, bietet für alternative Haltungen das Huhn "Lohmann Dual" an, eine Kreuzung aus Mast- und Legezuchttieren.

Die ökologische Zuchtarbeit im Geflügelbereich weiterzuentwickeln, ist auch eine Zielsetzung im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL). In den durch das BÖL geförderten Projekten "Öko2Huhn" und "RegioHuhn" soll die Zucht von Hühnern für eine Zweinutzung im ökologischen Landbau weiterentwickelt werden. Das betrifft einerseits die von der Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) betreuten Zuchtlinien, anderseits die Kreuzung von leistungsstarken Wirtschaftsgeflügellinien mit regionalen Hühnerrassen.

BÖL-Forschungsprojekte "RegioHuhn" und "ÖkoGen"

Das Projekt "RegioHuhn" (Innovative Wege der regionalen nachhaltigen Nutzung tiergenetischer Ressourcen beim Haushuhn) und das Parallelprojekt "ÖkoGen" (Charakterisierung funktionaler Merkmale für eine nachhaltige und ökologische Nutzung des Haushuhns) werden vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau gefördert.

Beide Projekte zielen darauf ab, sowohl die Erhaltung der genetischen Vielfalt beim Haushuhn zu unterstützen, als auch den Interessen des ökologischen Landbaus an einer breiten Produktvielfalt mit Regionalbezug Rechnung zu tragen.
Das Konzept basiert auf der züchterischen Weiterentwicklung von drei regionalen Hühnerrassen. Da lokale Hühnerrassen jedoch ein geringes Leistungsniveau aufweisen, werden sie mit Elternlinien aus der Wirtschaftsgeflügelzucht gekreuzt, um kurzfristig Tiere mit verbesserter Leistung für die Nutzung – nicht für die Zucht – im ökologischen Landbau zur Verfügung zu stellen. Die Kreuzungstiere kombinieren die Genetik der lokalen Rassen, die einen Elternteil bilden, mit dem Leistungspotenzial des Wirtschaftsgeflügels. Damit soll ein ressourcenschonendes als auch ökonomisch sinnvolles Leistungspotenzial erreicht werden.
Im Projekt "RegioHuhn" wird die Mast- und Legeleistung der regionalen Rassen erfasst und züchterisch verbessert. Produkteigenschaften der regionalen Eltern, aber vor allem der im Feld eingesetzten Kreuzungstiere werden im Projekt "ÖkoGen" ergänzt. Eine besondere Berücksichtigung findet dabei stets die Zweinutzung, die durch Einbeziehung von Tierwohlindikatoren und Tiergesundheitsmerkmalen ergänzt wird.

Oekolandbau.de: Welche lokalen Rassen werden für die Züchtung verwendet? Welche Rolle spielt die Regionalität bei der Züchtung?

Weigend/Tiemann: In den Projekten "RegioHuhn" und "ÖkoGen" werden die drei lokalen Rassen Ramelsloher (Norddeutschland), Bielefelder (Mitteldeutschland) und Altsteirer (Süddeutschland) verwendet, die als Kreuzungspartner mit Elterntieren der Wirtschaftsgeflügelzucht für die Erstellung der Produktionstiere genutzt werden. Über die drei lokalen Rassen ist ein Regionalbezug auch der Kreuzungstiere gegeben. Der Regionalbezug kann insbesondere bei der Vermarktung der Produkte einen Vorteil bieten, da er Verbraucherinnen und Verbraucher in der jeweiligen Region direkt anspricht. Inwieweit sich diese Konzeptidee in der Vermarktung umsetzen lässt, wird sich im Projektverlauf zeigen.

Im Gegensatz dazu basiert die Rasse Lohmann Dual auf einer Kreuzung aus Zuchtlinien der Zuchtunternehmen in der EW Group. Die Zuchttiere in der ÖTZ basieren auf der französischen Rasse Bresse Gauloise, die mit New Hampshire (ÖTZ Coffee) oder White Rock (ÖTZ Cream) gekreuzt werden. Darüber hinaus bietet die ÖTZ ein Kreuzungstier an: ÖTZ Caramel, das auf aus der Kreuzung von Deutschem Lachshahn und White Rock-Henne hervorgeht. Im Projekt "Öko2Huhn" basiert ein weiterer züchterischer Ansatz auf der Rasse Sundheimer Huhn.

Oekolandbau.de: Was bedeutet die bessere Anpassungsfähigkeit der Zweinutzungshuhn-Rassen für ihre Haltung?

Weigend/Tiemann: Belegt sind die Positivattribute Anpassungsfähigkeit, Resilienz, Robustheit für Zweinutzungsrassen noch nicht vollumfänglich, aber erste Ergebnisse lassen eine Prädisposition für gutes Tierwohl erkennen. Zweinutzungshühner können und sollten in der Lage sein, sich an verschiedene und wechselhafte Umweltbedingungen anzupassen, das heißt ohne große Stressreaktion auf diese Herausforderungen reagieren. Das liegt möglicher Weise daran, dass die Tiere statt Hochleistung geringere biologische Leistungen erbringen und damit körpereigene Ressourcen haben, um sich anzupassen. Solche Eigenschaften wären ein erheblicher Mehrwert für eine zukünftige und nachhaltige Nutzung – ob diese Annahme zutreffend ist, müssen aber erst zukünftige Forschungsprojekte zeigen.

Oekolandbau.de: Was hat sich in der Züchtung von Zweinutzungshühnern bisher bewährt? Wo gibt es Verbesserungsbedarf?

Weigend/Tiemann: Da die Züchtung beim Huhn mit der Zielrichtung einer Zweinutzung im ökologischen Landbau noch am Anfang steht, lässt sich diese Frage noch nicht beantworten. Die Erwartungen und Anforderungen, die an die Tiere gestellt werden, sind hoch.

Zum einen müssen sie ein akzeptables Leistungsniveau sowohl in der Mast als auch in der Eierproduktion aufweisen, das unter Beachtung des Merkmalsantagonismus züchterisch nicht einfach zu erreichen sein wird. Darüber hinaus müssen sie eine hohe Stoffwechselstabilität und Resilienz aufweisen, da im ökologischen Landbau die Zusammensetzungen des Futters schwanken können und mit der Freilandhaltung eine höhere Pathogenbelastung einhergeht. Des Weiteren sind Merkmale des Tierwohls, der Tiergesundheit und des Verhaltens der Tiere von Bedeutung, so zum Beispiel eine gute Knochenstabilität, eine geringe Neigung zum Federpicken und Kannibalismus als auch eine gute Nestgängigkeit. Das sind sehr komplexe Herausforderungen an die Tierzüchtung, deren Umsetzung einen umfangreichen Forschungsbedarf begründen.

Oekolandbau.de: Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit Zweinutzungsrassen der Standard werden?

Weigend/Tiemann: Inwieweit Zweinutzungsrassen generell zum Standard in der Hühnerhaltung werden und werden sollen, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht abschätzen. Der erwähnte Merkmalsantagonismus zwischen Mast- und Legeleistung wird der Zucht Grenzen bezüglich der Effizienz setzen. Um dem Dilemma des Tötens der männlichen Eintagsküken der Legerichtung zu entkommen, gibt es – wie aufgezeigt – auch andere Lösungswege. Bei der Bewertung der Effizienz einer Zweinutzung wird der Aufwand sowohl für die Mastleistung als auch für die Eierproduktion gemeinsam betrachtet werden müssen. Andererseits gelten Zweinutzungshühner als robust, resilient und anpassungsfähig. Mit diesen Eigenschaften erreichen sie auch unter suboptimalen Bedingungen möglicherweise einen besseren Tierwohlstatus. Ob dem wirklich so ist, soll Gegenstand der Forschung in naher Zukunft sein.

Oekolandbau.de: Gibt es unterschiedliche Herausforderungen für bio und konventionell?

Weigend/Tiemann: Im ökologischen Landbau ist die Zweinutzung eine generell angestrebte Zielsetzung. Dafür sind noch eine Reihe von Fragen zu lösen, beginnend bei der Definition "Zweinutzung" und der Ableitung von Zuchtzielen. In diesem Kontext stellt sich jedoch die Frage, ob "Zweinutzung" als Mästbarkeit der Hähne und Eiererzeugung durch die Hennen tatsächlich das alleinige Ziel ist, oder ob Merkmalskomplexe wie

  • die Produkt-Eigenschaften und -Diversität,
  • die Eignung für unterschiedliche Haltungsformen und Bestandgrößen,
  • kleinbäuerliche Haltungen versus größere Tierbestände,
  • die Haltungen unter unterschiedlichen Umweltbedingungen in verschiedenen Regionen

nicht letztlich eine diversere Zuchtbasis erfordern. All das sind Fragen, mit der die Entwicklung der Züchtung im Bereich des ökologischen Landbaus konfrontiert ist und deren Lösung weiteren intensiven Forschungsbedarf begründet. Dafür wird es gesellschaftlicher Anstrengungen und Unterstützung durch die öffentliche Seite bedürfen.

Erste Schritte sind an unterschiedlichen Stellen bereits gemacht und müssen nun verstetigt werden. Neben der Zucht ist die Infrastruktur der verlässlichen Bereitstellung solcher Tiere für die Landwirtschaft aufzubauen. Dazu gehören Brütereien, Junghennen-Aufzüchterinnen und -Aufzüchter und die Entwicklung von Vermarktungswegen. Das wird Zeit erfordern und letztlich wird der Erfolg des Ansatzes "Zweinutzungshühner", das heißt deren Etablierung im Markt, von den Akteurinnen und Akteuren in der Produktion und insbesondere von der Akzeptanz durch Verbraucherinnen und Verbraucher abhängen. Ein Zweinutzungshuhn, das unter den Anforderungen des ökologischen Landbaus Lebensmittel erzeugt wird, wird auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher mit höheren Produktpreisen verbunden sein.


Letzte Aktualisierung 19.01.2024

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