Oekolandbau.de: Wo gibt es das Fleisch der Bruderkalb-Initiative zu kaufen und welche Herausforderungen stellen sich bei der Vermarktung?
Frey: Die Vermarktung von Demeter Kalbfleisch ist eine sehr große Herausforderung. Mir war es sehr wichtig, dass wir mit unseren Partnern in der Wertschöpfungskette, also Verarbeitern, Gastronomie und Handel, von Anfang an offen in die Verhandlung gehen. Es gibt seit Mai 2020 in sechs Kauflandfilialen in Baden-Württemberg die ersten Produkte aus dieser Haltungsform. Eigentlich war der Start für den März anvisiert, aber die Corona-Krise hat alles durcheinandergewirbelt. Die Einführung der Produkte war erfolgreich. Das Kalbfleisch aus der kuhgebundenen Haltung wird separat angeboten. Um die Kundinnen und Kunden zu informieren, gibt es einen Aufsteller und es liegen Flyer aus. Die Gespräche mit Kaufland sind sehr konstruktiv und zielführend verlaufen. Unser Bruderkalbfleisch gibt es mittlerweile in regionalen Metzgereien, der Gastronomie, Kantinen, Einzelhandel und dem Großhandel.
Oekolandbau.de: Wie ist die Preisgestaltung beim Bio-Kalbfleisch?
Frey: Demeter Kalbfleisch ist ein äußerst hochwertiges Produkt und gegenüber anderen Fleischprodukten im höheren Preissegment zu finden. Demeter-Bruderkalbfleisch muss aufgrund der noch höheren Erzeugungskosten deutlich teurer angeboten werden. Daher bedarf es hier auf den Betrieben, dem Handel sowie den Bio-Verbänden einer überzeugenden Marketing- und Kommunikationsstrategie. Um einen vertretbaren Preis für Erzeuger, Verarbeiter und Handel zu finden, müssen lange Gespräche geführt werden. Wichtig war mir hierbei, dass ich als Erzeugerin auch mit dem Handel zusammenkomme, weil ich mich als Landwirtin mit dem Haltungssystem identifiziere und den Mehrwert und die Kosten hierbei am besten kommunizieren kann.
Die Aufzucht eines Bruderkalbes ist deutlich teurer als das übliche Aufzuchtverfahren. Bruderkälber trinken deutlich mehr Milch, da die Mengen nicht durch die Fütterung im Eimer limitiert werden kann. Für diesen Mehraufwand muss der Landwirt auch einen fairen Erzeugerpreis erwarten können.
Oekolandbau.de: Wie bewerten Sie die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten der Kalbfleischvermarktung aus diesem Haltungssystem?
Frey: In den vergangenen zwei Jahren wurde von Seiten der Verbraucher und in den Medien eine zunehmende Sensibilität über die Herkunft des Fleischs und die Haltung der Kälber erkennbar. Dies ist ein großer Vorteil bei der Weiterentwicklung dieser Produkte. Beim Bio-Fachhandel wächst ebenfalls das Bewusstsein für dieses Thema, aber dies hängt sehr von den individuellen Einstellungen der Ladnerin und des Ladners ab. Die Klientel ernährt sich zudem überproportional zur Bevölkerung vegetarisch, so dass das Thema Fleisch nicht immer so leicht zu vermitteln ist. Um das Bruderkalbfleisch flächendeckend anzubieten, benötigt der Naturkostladen hierfür am besten eine Frischetheke. Denn nicht in jeder Region gibt es so gut aufgestellte Verarbeiter, wie bei uns mit der BESH, die die Möglichkeit haben, das Bruderkalbfleisch auch abgepackt für die Selbstbedienungstheke anzubieten. Das heißt also, wir brauchen unbedingt auch die kleineren Metzgereien, die diese Kälber auch im Sinne einer Ganztierverwertung in Hälften zubereitet und aufgeteilt den Läden anbieten kann.
Langfristig ist durch die kuhgebundene Kälberaufzucht sowohl die Milch als auch die Fleischmenge reduziert. Wenn die Kälber bei ihrer Mutter aufwachsen, erhöht sich die Zwischenkalbezeit immens. Konsequenz sind weniger Kälber im Leben einer Milchkuh.
Oekolandbau.de:Wie ist das Interesse von Milchviehbetrieben an ihrem Projekt?
Frey: Sehr groß. In den letzten Jahren habe ich dazu hier auf meinem Betrieb regelmäßig Praxisseminare angeboten, bei denen bundesweit Landwirtinnen und Landwirte kommen, um sich hier über diese Haltungsform zu informieren und weiterzubilden. Unterstützt wurde ich hierbei auch von der Uni Hohenheim, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und der Demeter Beratung e.V.
BÖLN-Projekt hat Vermarktungspotenzial im Visier
Langfristig dürfte die Nachfrage seitens der Konsumentinnen und Konsumenten nach Milch oder Fleisch aus mutter- oder ammengebundener Kälberaufzucht steigen und sich ein entsprechender Markt herausbilden. Noch ist es vielen Kundinnen und Kunden nicht klar, dass auch in der ökologischen Milchwirtschaft Kuh und Kalb meist wenige Stunden nach der Geburt getrennt werden. Im Handel sollten Produkte aus dieser Haltungsform klar erkennbar sein und separat beworben werden.
Weitere Betätigungsfelder dürften in der Zukunft der Ausbau der Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sein, damit die hochwertigen Produkte zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern gelangen. Spannend dürfte in diesem Zusammenhang das BÖLN-Projekt Milk & Calf – Vermarktung von Produkten aus kuhgebundener Haltung sein, dessen Projektlaufzeit im Juni 2020 endet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen Instituts gehen der Frage nach, wie Betriebe, die ihre Kälber kuhgebunden aufziehen, ihre Milch und auch die Bullenkälber vermarkten und ob diese Produkte ein größeres Vermarktungspotenzial haben.
Erste Ergebnisse aus dem Projekt wurden bereits 2019 vorgestellt. Demnach wurden bundesweit 45 Betriebe, die kuhgebundene Aufzucht praktizieren, in Form von qualitativen Interviews befragt. Lediglich fünf der Betriebe kennzeichneten ihre Produkte direkt mit dem Hinweis, dass es sich um Milch aus kuhgebundener Kälberaufzucht handelt. Die höchsten Erlöse wurden durch Direktvermarktung, die niedrigsten durch die Abgabe an Molkereien erzielt. Dennoch bewerteten vor allem Betriebe, die ihre Milch lediglich an Molkereien zu ökologischen Preisen vermarkteten, ihr Vorgehen als gewinnbringend.