Oekolandbau.de: Wie viele Treiberinnen und Treiber braucht man dafür?
Dr. Schäkel: Das funktioniert im besten Fall ganz allein, auch ganz ohne Stock oder andere Hilfsmittel. Entscheidend ist der Ansatz, dass eine Kuh für mich gehen soll, weil ich sozusagen das ranghöhere Tier bin. Sie soll nicht laufen beziehungsweise weglaufen, weil ich ihr Angst mache. Es kommt auch darauf an, richtig zum Tier zu stehen, also am besten schräg hinter der Kuh. Läuft man häufiger vor der Kuh hin und her, heißt das für sie: Da will jemand die Rangordnung klären.
Oekolandbau.de: Wie schafft man es in die Position des ranghohen Tieres?
Dr. Schäkel: Indem man angstfrei agiert und von innen heraus den Anspruch nach außen zeigt, dass man ranghöher ist. Das ist auch eine Art von Persönlichkeitstraining. Wer den Anspruch an den Status des Ranghöheren nicht vermitteln kann, der wird auch bei den Kühen nichts bewegen.
Oekolandbau.de: Funktioniert das Konzept auch im Stall mit Einzeltieren?
Dr. Schäkel: Grundsätzlich ja. Allerdings haben wir in der Stallsituation das Problem, dass die Respekt beziehungsweise Nahzone des Tieres, also ein Abstand von drei bis fünf Metern, sehr oft unterschritten wird. Wie beim Umgang mit der ganzen Herde wendet man auch bei einzelnen Tieren die Schritte "Aufmerksamkeit herstellen", "Bereitschaft erkennen" und "Durchlässigkeit abwarten" an, um das Rind zur gewünschten Handlung zu bewegen.
Oekolandbau.de: Wie sieht es beim Umgang mit Deckbullen aus? Gibt es hier einen speziellen Ansatz?
Dr. Schäkel: Die Angst vor Bullen sitzt tief auf vielen Betrieben und wird oft über Generationen weitergegeben. Aber Angst ist gerade beim Umgang mit Bullen ein schlechter Ratgeber. Denn das zieht ihn an. Auch hier geht es wieder darum, Respekt zu zeigen, indem man ihm nicht zu viel Aufmerksamkeit gibt und auf eine bestimmte Weise sogar ignoriert. Viel Aufmerksamkeit ist für einen Bullen eine Aufforderung zum Spielen. Auf der Weide darf man ihn nicht einzeln bearbeiten wollen. Ein Bulle muss Teil der Herde sein, dann läuft er auch automatisch mit. Denn nicht er bestimmt, wohin die Herde zieht, sondern die Leitkühe. Dafür braucht es auch manchmal Geduld. Absolut tabu ist es, Druck zu erzeugen, etwa indem man ihn bedrängt. Druck erzeugt beim Tier immer Angst und vor allem Gegendruck, den man gerade beim Bullen unbedingt vermeiden möchte.
Oekolandbau.de: Sie sprechen oft von Geduld und Abwarten beim Umgang mit den Tieren. Ist das Stockmanship zeitaufwendiger als das konventionelle Treiben mit Stock?
Dr. Schäkel: Ganz im Gegenteil, die Arbeitszeit für das Treiben halbiert sich! Wenn man das System verinnerlicht hat, geht das Treiben einer Herde viel schneller und stressfreier für die Rinder. Denken Sie nur an mein Eingangsbeispiel mit dem Wiegen der Tiere. Wenn das alles mit Druck und Unruhe passieren würde, würde es mindestens doppelt so lange dauern und alle Beteiligten wären nachher gestresst.
Oekolandbau.de: Welche Vorteile bietet das Verfahren noch?
Dr. Schäkel: Neben der Zeitersparnis und dem geringeren Bedarf an Treibern erhöht es vor allem die Sicherheit beim Umgang mit Rindern. Nicht umsonst bucht die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft häufiger meine Kurse zum Stockmanship-Konzept. Ich bin mir auch sicher, dass der besonders stressfreie Umgang mit den Tieren auch die Mastleistung positiv beeinflusst, auch wenn hier natürlich noch andere Faktoren wie etwa die Fütterung mit reinspielen. Ich habe zum Teil Tageszunahmen von bis zu 1.800 Gramm pro Tier und Tag. Und ich habe eine hervorragende Fleischqualität, die mir leider vom Großabnehmer nicht honoriert wird. Aber aus der Direktvermarktung weiß ich, wie sehr die Kundschaft diese Qualität zu schätzen weiß.
Oekolandbau.de: Wie lange dauert es, bis man das Konzept anwenden kann?
Dr. Schäkel: Ich denke, man braucht etwa zwei Jahre Erfahrung, bis man das Ganze gut verinnerlicht hat und anwenden kann. Entscheidend ist, ganz viel mit den Tieren zu arbeiten, am besten auf der Weide. Aus meiner Sicht ist es eine absolut sinnvolle Investition in den Betrieb, mithilfe des Stockmanship-Konzepts einen Bezug zur eigenen Rinderherde aufzubauen. Am Anfang ist dies mit einigem Aufwand verbunden, langfristig macht es sich aber absolut bezahlt für den Betrieb.
Text: Jürgen Beckhoff