Kartoffelkombinat: Genossenschaftliche Bio-Lebensmittelversorgung in München

Kartoffelkombinat: mit Naivität, Größenwahn und Glück zum Erfolg

Das Kartoffelkombinat versorgt als genossenschaftlich organisierte solidarische Landwirtschaft (Solawi) über 2.300 Haushalte in München – und ist damit die größte Solawi in Deutschland. Mit diesem Erfolg rechnete das Gründungsteam nicht, auch weil jegliche landwirtschaftliche Expertise fehlte. Im Interview berichtet Mitgründer Daniel Überall, wie gemeinwohlorientiertes Wirtschaften funktionieren kann und was ihn antreibt.

Faire, saisonale und nachhaltige Ernährung in der Stadt ermöglichen – das ist das Ziel des Kartoffelkombinats. Mit einem Team von 40 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, über 3.300 Genossenschaftsmitgliedern und 130 Verteilerpunkten ist die Genossenschaft seit 2012 auf einem mehr als guten Weg, dieses Ziel zu erreichen.

Doch kann eine genossenschaftliche Organisation bei solchen Größenordnungen überhaupt funktionieren, wenn alle gleichberechtigt mitreden dürfen? Was ist das Erfolgsrezept? "20 Prozent Know-How, 20 Prozent harte Arbeit und 60 Prozent Glück" sagt Daniel Überall augenzwinkernd. Darüber hinaus sei die Vielfalt der Beteiligten im Kartoffelkombinat ein großer Gewinn, um das Lebensmittelsystem und die damit verbundene Infrastruktur anders zu denken und zu gestalten, als man es bisher gewohnt war. Welche Herausforderungen das Kartoffelkombinat bisher gemeistert hat und wie die gemeinschaftliche Arbeit funktioniert, berichtet Überall im Interview.

Oekolandbau.de: Wie kam es zur Gründung des Kartoffelkombinats?

Daniel Überall: Die meisten solidarischen Landwirtschaften werden von Seiten der landwirtschaftlichen Betriebe gegründet. Bei uns war das anders, wir sind 2012 komplett aus den alltäglichen Bedürfnissen von zwei Verbrauchern heraus entstanden. Simon und ich hatten keine Ahnung von Landwirtschaft, keinen Quadratmeter Ackerfläche und kein Eigenkapital. Aber wir wollten uns gerne regionaler und saisonaler ernähren, ohne jeden Donnerstagvormittag auf den Bauernmarkt zu rennen oder am Wochenende zum Hofladen zu hetzen.

Deswegen haben wir uns gefragt, ob wir nicht eine alternative Versorgungsstruktur aufbauen können, durch die sich Menschen ohne großen Aufwand nachhaltiger verhalten können. Mit einer Mischung aus Größenwahn, Naivität und viel Glück haben wir dann Ackerflächen gefunden und eine Genossenschaft gegründet, die mittlerweile über 2.300 Haushalte  mit regionalem Bio-Gemüse versorgt.

Oekolandbau.de: Wie macht die Perspektive der Verbraucherinnen und Verbraucher eure Organisation so besonders?

Überall: Für uns steht immer die selbstorganisierte Versorgung der Haushalte im Vordergrund. Wir betreiben keine Landwirtschaft, um Landwirtschaft zu betreiben. Natürlich haben wir eigene Ackerflächen und eine Hofstelle, aber sollte es zum Worst-Case kommen und die Vermarktung über die solidarische Landwirtschaft funktioniert – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr, verkaufen wir den Betrieb, bevor wir verzweifelt nach neuen Vermarktungswegen suchen.

Oekolandbau.de: Was ist deine Motivation in einer Genossenschaft tätig zu sein?

Überall: Es ist eine sinnstiftende Arbeit, die wir uns selbst geschaffen haben. Wir sind nicht gewinnmaximierend unterwegs, sondern genossenschaftlich, es können also alle Mitinhaberin oder Mitinhaber werden. Gleichzeitig sind wir zu 100 Prozent transparent und versuchen, die Leute zumindest in einem kleinen Lebensbereich, der Ernährung, wieder selbst zu befähigen.

Oekolandbau.de: In der Genossenschaft sind über 40 Mitarbeitende aktiv – wie funktioniert das?

Überall: Wir haben mittlerweile eine ziemlich professionelle Struktur: Neben dem Vorstand und dem Aufsichtsrat ist für den Freilandanbau, das Gewächshaus, die Verpackung sowie die Logistik jeweils ein Team inklusive Teamleitung verantwortlich. Alle Mitarbeitenden sind unbefristet festangestellt, sowohl in Teil- aus auch in Vollzeit. Das war uns wichtig, weil wir bei vielen anderen Projekten gesehen haben, dass es häufig an ausreichend Unterstützung fehlt oder immer derselbe kleine Kreis von Ehrenamtlichen mitanpackt, die aber dann irgendwann ausgebrannt sind. So wissen wir, dass die Leute erscheinen und die anstehenden Aufgaben erledigen. Aber natürlich läuft es auch nicht ohne genossenschaftliches Engagement, wie beispielsweise 2022, als über 500 Mitglieder gemeinsam 70 Tonnen Äpfel geerntet haben.

Das Kartoffelkombinat ist seit 2024 Mitglied des Netzwerks Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau und bietet damit besondere Einblicke in die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft. Mehr Infos zum Netzwerk


Film ab: Trailer zum Dokumentarfilm "DAS KOMBINAT"

Der Dokumentarfilm "DAS KOMBINAT" begleitet über einen Zeitraum von neun Jahren das Kartoffelkombinat aus München auf seiner bewegenden Reise von der idealistischen Idee zur größten Solidarischen Landwirtschaft in Deutschland.


Oekolandbau.de: Neben der Genossenschaft habt ihr auch einen Verein gegründet. Warum war das notwendig? Welche Aufgaben übernimmt der Verein?

Überall: Den Verein haben wir gegründet, weil wir festgestellt haben, dass wir ganz viel Bildungsarbeit in der Genossenschaft betreiben und beispielsweise Führungen für Schulklassen und Workshops angeboten haben. Das ging weit über die internen Angebote der Genossenschaft hinaus. Mit einem Verein, der gemeinnützig und für alle offen sein muss, haben wir weitere Möglichkeiten. Mit verschiedenen Bildungsprojekten vermittelt der Verein Inhalte rund um Natur- und Klimaschutz.

Oekolandbau.de: Welche Tipps hast du für Menschen, die überlegen, eine landwirtschaftliche Genossenschaft zu gründen?

Überall: Man sollte niemals seine Selbstwirksamkeit unterschätzen – siehe zum Beispiel Greta Thunberg, ohne die es Fridays for Future nicht gäbe. Gleichzeitig sind ein sehr langer Atem und eine hohe Frustrationstoleranz wichtig, denn es kommt immer wieder zur Rückschlägen. Mir hat bei Konflikten oder Problemen immer der Perspektivwechsel geholfen: Wenn ich in drei oder fünf Jahren auf diese Situation zurückblicke, wäre es gerechtfertigt, jetzt hinzuschmeißen? Ist die Antwort Nein, dann mache ich weiter. Außerdem hilft es sehr, sich bewusst zu machen, was bereits gut funktioniert und keine Probleme bereitet – das geht häufig unter!

Letzte Aktualisierung 28.08.2024

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