100 Prozent Bio-Fütterung in der Tierhaltung – ist das möglich?

100 Prozent Bio-Fütterung in der Tierhaltung – ist das möglich?

Die 100 Prozent Bio-Fütterung bleibt im Ökolandbau eine Herausforderung. Der Bio-Schweinehaltungsexperte Christian Wucherpfennig erklärt im Interview, warum Bio-Jungtiere den gleichen Bedarf an hochwertigem Eiweiß haben wie konventionelle Tiere, wie er neue Bio-Eiweißalternativen einschätzt und warum man im Ökolandbau über den Einsatz synthetisch hergestellter Aminosäuren nachdenken sollte.

Oekolandbau.de: Herr Wucherpfennig, kennen Sie Praxis-Bio-Betriebe, denen es gelingt, eine 100 Prozent Bio-Fütterung erfolgreich in der Geflügel- oder Schweinemast umsetzen?

Christian Wucherpfennig: Mitgliedsbetriebe des Demeter-Verbandes dürfen keine konventionellen Eiweißkomponenten einsetzen. Deshalb müssen es die Betriebe schaffen, ihre Tiere ausschließlich mit Bio-Futter zu versorgen. Allerdings sprechen wir hier von einem sehr, sehr kleinen Markt, was die Erzeugung von Bio-Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch angeht. Dafür nutzen die Demeter-Betriebe einen erheblichen Teil der verfügbaren Mengen an Bio-Maiskleber und Bio-Kartoffeleiweiß.

Ansonsten kenne ich keinen Bio-Ferkelerzeuger hier in Nordrhein-Westfalen, dem das gelingt. Und in der Geflügelaufzucht ist die Herausforderung ja noch größer. Vor allem bei Masthähnchen und Puten schaffen wir es derzeit nicht mit einer 100 Prozent Bio-Fütterung.


Stand der 100 Prozent Bio-Fütterung
Seit dem 1. Januar 2022 müssen ausgewachsene Tiere im Ökolandbau wie zum Beispiel Legehennen zu 100 Prozent mit ökologisch erzeugtem Futter versorgt werden. Für die Aufzucht von Schweinen und Geflügel gelten jedoch Ausnahmen für Jungtiere. So dürfen Ferkel bis zu einem Gewicht von 35 Kilogramm in Deutschland, und damit strenger als in anderen europäischen Ländern, mit maximal drei Prozent konventionellen Eiweißträgern wie Kartoffeleiweiß oder Maiskleber gefüttert werden. Bei Junggeflügel bis 18 Wochen liegt der zulässige Anteil von konventionellem Eiweiß bei maximal fünf Prozent. Der Grund dafür ist der hohe Bedarf an essenziellen Aminosäuren wie Methionin oder Lysin in der frühen Wachstumsphase, die mit den verfügbaren Bio-Eiweißfuttermitteln nicht in ausreichender Menge zugefüttert werden können. Die aktuelle Regelung gilt bis zum 31. Dezember 2026.


Oekolandbau.de: Wäre es nicht möglich, in den frühen Wachstumsphasen auf hohe Zunahmen zu verzichten und den Bedarf an hochwertigen Eiweißfuttermitteln zu verringern?

Wucherpfennig: Ganz klar nein! Man muss sich klarmachen, dass es bei der Versorgung mit essenziellen Aminosäuren in der frühen Aufzuchtphase weniger um Leistung geht, sondern vor allem um die Gesundheit der Tiere. Bei einer Unterversorgung mit Methionin und Lysin bei gleichzeitiger Eiweißüberversorgung kommt es bei Ferkeln und Küken zu schweren Durchfallerkrankungen und Stoffwechselstörungen. Gleichzeitig ist der Bedarf an essenziellen Aminosäuren in dieser Phase besonders hoch, vor allem bei Masthähnchen und Puten wegen ihres schnellen Wachstums.

In der Ferkelaufzucht liegen die Öko-Betriebe etwa bei Lysin schon jetzt im Schnitt etwa 30 Prozent unter der offiziellen Versorgungsempfehlung. Damit ist aus meiner Sicht schon die Untergrenze erreicht. Und man muss sich klarmachen, dass die geringen Anteile der konventionellen Eiweißkomponenten ein Viertel der essenziellen Aminosäuren liefern.

Oekolandbau.de: Ist der Bedarf an essenziellen Aminosäuren unter ökologischen Bedingungen nicht geringer? Schließlich sind die Mastzeiten im Ökolandbau deutlich länger.

Wucherpfennig: Das stimmt. Bio-Tiere wachsen etwas langsamer und brauchen daher insgesamt etwas weniger hochwertiges Eiweiß, was auch ein Resultat der jetzt schon deutlich niedrigeren Werte in den Bio-Futtermitteln darstellt. Gehen wir noch weiter runter, hat es gesundheitliche Auswirkungen, für Ferkel und noch mehr für Junggeflügel. Hier ist der Bedarf an essenziellen Aminosäuren genauso groß wie bei konventionellen Tieren.

Aber auch im Ökolandbau haben Leistung und Wirtschaftlichkeit mit nachhaltiger Wirtschaftsweise zu tun. Wenn die Tiere sehr langsam wachsen, bedeutet das einen großen Verbrauch von Ressourcen. Wir haben schon jetzt vergleichsweise hohe Eiweiß- und Phosphorüberschüsse. Deshalb sollten wir die Versorgung mit hochwertigem Eiweiß nicht noch weiter absenken.

Oekolandbau.de: Warum lässt sich die Lücke an hochwertigem Eiweiß nicht mit Importen oder mehr heimischem Bio-Kartoffeleiweiß decken?

Wucherpfennig: Gerade bei Bio-Eiweißfuttermitteln haben wir schon lange einen hohen Import-Bedarf. Doch für die importierten Futtermittel gilt das gleiche wie für heimische Ware: Das Eiweiß ist nicht hochwertig genug und reicht nicht für den letzten Kick an essenziellen Aminosäuren, den wir bei Jungtieren brauchen. Eine Ausdehnung des Bio-Kartoffelanbaus für mehr Kartoffeleiweiß, das zudem nur in sehr geringen Mengen anfällt, scheitert daran, dass für Kartoffelstärke in Bio-Qualität kaum Nachfrage besteht.

Oekolandbau.de: Was ist mit alternativen Eiweißquellen wie Algen, Insekten oder Proteinkonzentraten aus Grünlandschnitt? Welche Alternativen haben aus Ihrer Sicht das größte Potenzial?

Wucherpfennig: Wir sind bei der Entwicklung alternativer Eiweißfuttermitte schon sehr weit gekommen. Aber alle neuen Komponenten sind aus meiner Sicht noch keine echten Alternativen für die Praxis. Bei Fischmehl sehe ich Probleme bei der Verbraucherakzeptanz. Die Insektenerzeugung ist aufwendig und sehr teuer, vor allem wenn hier hochwertiges Bio-Futter eingesetzt wird. Algen konnten in den bisherigen Untersuchungen nicht überzeugen.

Eiweißextrakte aus Grünland sind interessant, aber bisher noch im Forschungsstadium. Auch bei fermentierten Aminosäuren gab es bisher noch keine überzeugenden Ergebnisse. Interessant könnten synthetisch hergestellte Aminosäuren sein, die aber nach EU-Bio-Verordnung nicht zugelassen sind. Die hohen Leistungen bei konventioneller Haltung wären ohne diese synthetischen Aminosäuren nicht denkbar.

Oekolandbau.de: Wären synthetische Aminosäuren eine Chance für den Ökolandbau, wenn sie nicht mit Gentechnisch Veränderten Organismen (GVO) hergestellt werden?

Wucherpfennig: Das wäre eine komplette Lösung und ein absoluter Gamechanger. Damit wäre eine ausreichende Versorgung der Tiere gesichert und ihre Gesunderhaltung. Gleichzeitig ließen sich Eiweißüberschüsse vermeiden und heimische Leguminosen könnten besser genutzt werden. Aber: Bio und synthetische Futterergänzer passen nicht gut zusammen. Dennoch meine ich, man sollte dieses Werkzeug nicht vorschnell aus der Hand geben und die Vor- und Nachteile gut gegeneinander abwägen. Genau das passiert gerade in der Branche, das Thema wird aktuell als eine von mehreren Alternativen zur optimalen Eiweißversorgung diskutiert.

Elementare Voraussetzung für eine Zulassung im Ökolandbau wäre natürlich die Erzeugung dieser Aminosäuren ohne GVO. GVO spielen bei fermentativ hergestellten Aminosäuren eine große Rolle, aber nicht bei der chemischen Synthese von zum Beispiel Methionin, die eher der Produktion der im Ökolandbau zulässigen fettlöslichen Vitamine A, D und E gleicht.

Oekolandbau.de: Würde das nicht das positive Image des Ökolandbaus belasten?

Wucherpfennig: Ich glaube, für Verbraucherinnen und Verbraucher wäre das kein Thema. Schließlich haben wir gute Argumente, weil wir damit klimaschonender arbeiten und das Tierwohl verbessern. Außerdem ist die aktuelle Regelung mit der Zulassung konventioneller Futtermittel ja auch nicht optimal.

Oekolandbau.de: Das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Was können Bio-Betriebe bei den jetzigen Bedingungen tun für eine bessere Versorgung mit hochwertigem Eiweiß?

Wucherpfennig: Bei Legehennen und Schweinen liegt der Anteil der aufgenommenen Menge an Bio-Futtermitteln auf die gesamte Lebenszeit gerechnet bei 99,7 Prozent. Bei Mastgeflügel sind es 96,6 Prozent. Das heißt, wir sprechen von sehr kleinen Mengen an, die uns für eine gute Versorgung, wohlgemerkt deutlich unter den Versorgungsempfehlungen, fehlen. Bei Bio-Ferkeln kann man Kartoffeleiweiß teilweise durch Milchpulver ersetzen, das aber mit hohem Ressourcenaufwand erzeugt werden muss. Bei Jung- und Mastgeflügel – hier herrscht Einigkeit bei allen Fachleuten – gibt es keine funktionierenden Alternativen.

Oekolandbau.de: Die aktuelle EU-Regelung zur Bio-Fütterung mit fünf Prozent konventionellen Futtermitteln für Junggeflügel und drei Prozent bei Ferkeln läuft Ende 2026 aus. Was glauben Sie, wie geht es danach weiter?

Wucherpfennig: Viele Bio-Betriebe im europäischen Ausland und auch die Forschung in den meisten Ländern ist nicht so weit wie in Deutschland. Insofern kann man wohl davon ausgehen, dass die EU-Kommission einer Verlängerung der Ausnahmeregelung zustimmen wird.

Oekolandbau.de: In Deutschland gilt als einzigem EU-Land eine strengere Sonderregelung, die statt fünf nur drei Prozent konventionelle Eiweißfuttermittel bei Bio-Ferkeln bis 35 kg erlaubt. Wie groß sind die Nachteile für die Betriebe?

Wucherpfennig: Man muss sich bewusst machen, dass es auch Zeiten gab, wo noch 20 Prozent Zufütterung konventioneller Futtermittel erlaubt waren. Die zunehmend strengeren Regelungen haben viele Entwicklungen und Innovationen angestoßen. Mein Eindruck ist, dass die deutschen Bio-Betriebe auf EU-Ebene mit am weitesten vorangekommen sind bei der 100 Prozent-Bio-Fütterung.

Mit der Fünf-Prozent-Regelung war es für die Bio-Ferkelbetriebe sicherlich einfacher. Aber auch mit drei Prozent Zufütterung kommen die Betriebe noch einigermaßen gut zurecht, obwohl es die Futterkosten erhöht und die Versorgungssicherheit auf einem ohnehin schon beschränkten Niveau weiter herabsetzt.

Das Interview führte Jürgen Beckhoff.


Letzte Aktualisierung 28.05.2025

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