100 Prozent Bio-Fütterung in der Praxis: Wie ist der Stand der Dinge?

100 Prozent Bio-Fütterung in der Praxis: Wie ist der Stand der Dinge?

Wie können Bio-Betriebe mit rein ökologisch erzeugten Futtermitteln eine bedarfsgerechte Versorgung von Schweinen und Geflügel sicherstellen? Welche Komponenten haben das Potenzial, insbesondere den Bedarf an hochwertigem Eiweiß zu decken? Diese und weitere Fragen wurden Mitte März 2025 auf einer Fachtagung diskutiert.

Nationale Sonderregelung bei der Fütterung von Bio-Ferkeln

Laut Peter Röhrig, Geschäftsführer des BÖLW, dürfen Bio-Betriebe bei Ferkeln bis 35 Kilogramm mit Beginn des Jahres 2025 nur noch drei Prozent Kartoffeleiweiß oder Maiskleber aus konventioneller Erzeugung einsetzen, um eine bedarfsgerechte Eiweißversorgung der Tiere sicherzustellen. Bei Junggeflügel bis 18 Wochen sind fünf Prozent konventionelle Eiweißträger erlaubt. Die Regelungen bei Schweinen sind damit in Deutschland strenger als es die EU-Öko-Verordnung vorsieht (fünf Prozent).

Ausrichter der Veranstaltung war der Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) gemeinsam mit den Verbänden Naturland, Bioland, dem Aktionsbündnis Deutscher Bio-Schweinehalter e.V. und der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen. Die Mittel wurden über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft bereitgestellt.

Röhrig hält diese Sonderregelung im Sinne eines fairen Wettbewerbs für nicht nachvollziehbar. Die derzeitigen Regelungen gelten noch bis Ende 2026. Ab 2027 rechnet er mit einer Neuregelung der aktuell bestehenden Ausnahmen für Ferkel und Junggeflügel. Falls diese nicht beschlossen wird, gilt laut Röhrig zum 1.1.2027 eine 100 Prozent Bio-Fütterung in der ökologischen Tierhaltung. Eine große Herausforderung bleibe dabei der Mangel an hochwertigem Bio-Eiweiß im EU-Raum.

Richtige Rassenwahl reicht nicht aus

Dr. Jochen Krieg von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen betonte in seinem Beitrag, dass auch langsam wachsende Rassen in der Geflügelhaltung keine Lösung sind für eine reine 100 Prozent Bio-Fütterung. Denn auch diese Rassen benötigten nährstoffdichte Rationen, um ihr Potenzial auszuschöpfen. Die Gleichung "ein Drittel weniger Zuwachs gleich ein Drittel weniger Bedarf" gehe nicht auf, wie eine Studie auf Haus Düsse gezeigt habe.

Er empfahl stattdessen eine optimale Kombination verschiedenster, verfügbarer Futtermittel, um eine Unterversorgung zu vermeiden. Dabei sollten Betriebe den Blick weniger auf den reinen Eiweißgehalt richten, sondern stärker auf die enthaltenen Aminosäuren, insbesondere auf Cystein und Methionin. Entscheidend sei hier vor allem die Verdaulichkeit der Aminosäuren, da es hier bei gleichen Futtermitteln oft große Schwankungen gebe.

Welches Potenzial haben Leguminosen und Proteinkonzentrate für die Eiweißversorgung?

Dr. Daniela Werner vom Thünen-Institut für Ökologischen Landbau berichtete in ihrem Beitrag über das Potenzial feinsamiger Leguminosen wie Luzerne und Rotklee für die Eiweißversorgung. Beide Pflanzen haben laut Werner hohe Gehalte an den gewünschten Aminosäuren Lysin und Methionin. Vor allem in der Schweinehaltung seien sie als Futterkomponenten in Form von Silage oder Trockenfutter gut geeignet, um Kraftfutter einzusparen. Bei Geflügel sei der Einsatz von Luzerne dagegen schwieriger, da die relativ hohen Saponingehalte Probleme bereiten können. Für die Eiweißversorgung von Jungtieren seien feinsamige Leguminosen deshalb auch keine Lösung.

Dr. Hanna Philippi von der Universität Hohenheim stellte aktuelle Ansätze zur Herstellung von Proteinkonzentraten vor, die als hochwertige Eiweißergänzung genutzt werden könnten. So ziele etwa ein aktuelles BÖL-Projekt der Universität Hohenheim darauf ab, einen Eiweißextrakt aus Grünlandaufwuchs herzustellen. Damit könnte die in Gräsern enthaltene Proteine auch für Monogastrier verfügbar gemacht werden. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich derzeit mit der Herstellung von Rapskernkonzentrat mit Eiweißgehalten von über 50 Prozent, das deutlich weniger antinutritive Stoffe als Extraktionsschrot aus Raps enthält.

Landen künftig Algen und Insekten in den Futtertrögen?

Ob Algen zukünftig Teil einer optimierten Eiweißversorgung sein könnten, skizzierte Professor Gerhard Bellof von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf anhand eines aktuellen Forschungsprojektes. Algenarten wie Spirulina haben laut Bellof relativ gute Eiweißgehalte mit einer mittleren Verdaulichkeit für Ferkel und Junggeflügel. Die Zufütterung von Algen in der Broilermast mit Anteilen von bis zu fünf Prozent führte zu höheren Futteraufnahmen und Endgewichten.

"Bei Schweinen waren die Versuchsergebnisse dagegen insgesamt ernüchternd", sagte Bellof. So seien Tageszunahmen bei Algenanteilen von bis zu zehn Prozent zurückgegangen, vermutlich aufgrund einer verringerten Proteinverdaulichkeit. Insgesamt könnten die betrachteten Algenarten laut Bellof hochwertige Eiweißfuttermittel wie Kartoffeleiweiß nicht ersetzen. Zudem seien Algen teuer und nicht wirtschaftlich einsetzbar.

Vielversprechender erscheint derzeit das Potenzial von Insekteneiweiß, wie Laura Schneider von der Technischen Hochschule Bingen berichtete. Nach Einschätzung der Expertin zeigten Fütterungsstudien mit Mehl aus Larven der Soldatenfliege gute Ergebnisse. Bei Anteilen von fünf bis zehn Prozent in der Ration als Ersatz für Sojaschrot förderte das Larvenmehl die Darmgesundheit bei Schweinen und Geflügel, stimulierte die Futteraufnahme und verbesserte bei Masthähnchen die Futterverwertung.

Als wichtigen Vorteil nannte Schneider zudem die Möglichkeit der sinnvollen Verwertung von Abfallprodukten wie Schimmelgetreide oder verdorbener Silage, die problemlos für die Aufzucht der Insekten genutzt werden können. Die Aufzucht auf dem eigenen Betrieb könne so zur Optimierung der Wertschöpfungskette beitragen.

Professor Wilhelm Pflanz von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sprach in seinem Beitrag über das Für und Wider mikrobiell erzeugter Aminosäuren als Futterergänzung im Ökolandbau. Aufgrund zu geringer Gehalte an essenziellen Aminosäuren wie Methionin würden Rationen häufig über die Mengen optimiert, was zu Überhängen bei Rohprotein führe. Der überschüssige Stickstoff werde unter anderem in klimaschädliche Gase wie Methan umgewandelt. Das ließe sich laut Pflanz vermeiden, wenn wie im konventionellen Bereich einzelne essenzielle Aminosäuren gezielt ergänzt würden.

Das widerspricht jedoch der aktuellen EU-Öko-Verordnung, die den Einsatz synthetisch hergestellter Aminosäuren durch gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verbietet. Zudem verbieten einige Bio-Verbände auch den Zusatz isolierter Aminosäuren. Pflanz hält es für notwendig, hier einen Abwägungsprozess für den Ökolandbau anzustoßen. "Die Zulassung synthetisch hergestellter Aminosäuren wäre ein Paradigmenwechsel, aber machbar", sagt der Fachmann. Entscheidend sei, dass eine Synthese ohne GVO sichergestellt ist. Als geeignetes Verfahren sieht er dafür zum Beispiel die Fermentation.

Praxiseinblick: so klappt die Bio-Fütterung

Wie eine 100 Prozent Bio-Fütterung in der Praxis umgesetzt werden kann, berichtete Schweinehalter Wilhelm Schulte-Remmert aus Lippstadt. Er sprach von einem langen Weg zur reinen Bio-Fütterung, jedoch nur bei Ferkeln. So hätte sich Kleegrassilage als Raufutter zwar grundsätzlich als sehr schmackhaftes, gutes Futter erwiesen. Doch wegen des hohen Arbeitsaufwandes und zu hoher Kalziumgehalte, die zu Geburtsproblemen führten, habe er auf Kleegras verzichten müssen. Stattdessen setze er heute hochwertiges Heu als Raufutter ein.

Die Futtergrundlage bildet eine vielseitige Getreidemischung mit Ackerbohne, Erbse und Ergänzer. Als sehr positiv für die Darmgesundheit habe sich der Zusatz von flüssigem Fermentgetreide (Brotgetreide) bei Ferkeln und Sauen erwiesen. Dennoch müsse er bei der Ferkelaufzucht noch auf 1,5 Prozent konventionelles Kartoffeleiweiß zurückgreifen, damit sich die Tiere gesund entwickeln. Insgesamt verzeichnet er durch die angepasste Fütterung und stallbauliche Änderungen eine deutliche Leistungssteigerung und eine verbesserte Tiergesundheit.

Auch Peter Schubert, Bio-Geflügelhalter in Franken, bestätigte, dass eine 100 Prozent Bio-Fütterung mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Eine mangelnde Eiweißversorgung erhöhe das Risiko für verringertes Wachstum und Durchfallerkrankungen, während zu viel Eiweiß die Verdauung belaste. Deshalb sei es problematisch, dass Komponenten wie Sojakuchen oft sehr schwankende Qualitäten bei der Verdaulichkeit aufweisen. Auch die Struktur des zugekauften Bio-Mischfutters sei häufig ungenügend und führe zu einer unerwünschten Futterselektion.

Deshalb mischt der Betrieb inzwischen alle Futtersorten selbst. Die Küken erhalten bis zum Tag 21 ausschließlich hochwertiges Krümelfutter. Sehr gute Erfahrungen hat Schubert mit der Zufütterung von Kleegrassilage bei Junghennen gemacht. Allgemein beobachtete der Bio-Landwirt, dass mit 100 Prozent Bio-Komponenten gefütterte Junghennen auch im späteren Legebetrieb besser mit reiner Bio-Fütterung zurechtkommen. Zudem seien Zweinutzungsrassen besser für die 100 Prozent Fütterung geeignet.

In der abschließenden Zusammenfassung wurde betont, dass für die ausreichende Eiweißversorgung von Geflügel und Schweinen im Ökolandbau heute deutlich mehr Alternativen zur Verfügung stehen als vor 20 Jahren. Auch die Forschung sei heute deutlich weiter. Dennoch sprachen sich viele Teilnehmende dafür aus, den Einsatz begrenzter Mengen an konventionellen Eiweißfuttermitteln auch nach 2026 weiter zu ermöglichen, insbesondere für die ersten zehn Lebenswochen bei Geflügel.

Text: Jürgen Beckhoff

Letzte Aktualisierung 17.04.2025

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