Wie Bio-Bäckereien Fachkräfte langfristig für sich gewinnen

Wie Bio-Bäckereien Fachkräfte langfristig für sich gewinnen

Fachkräftemangel, Betriebsschließungen, sinkende Ausbildungszahlen – das Lebensmittelhandwerk steckt in der Krise. Doch Bio-Bäckereien zeigen: Es geht auch anders. Mit Konzepten wie Integration und Inklusion sowie weniger Nachtarbeit setzen sie neue Maßstäbe für Arbeitsbedingungen und gewinnen so erfolgreich Personal, das sie langfristig für ihren Betrieb begeistern können.

Die Anzahl an Fachkräften im Lebensmittelhandwerk sinkt seit Jahren und somit auch die der Betriebe. Bäckereien schließen oftmals, weil ihnen das Personal fehlt oder sie keine Nachfolge für ihren Betrieb finden. Die Zahlen des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. zeigen es deutlich:

Während es 2014 noch 12.611 Bäckereien gab, sind es zehn Jahre später nur noch 8.912 Betriebe. Besonders stark sank vor allem die Zahl der Auszubildenden in diesem Jahrzehnt von 20.540 auf etwa die Hälfte mit 10.175 Auszubildenden. Die niedrigste Zahl zeigte sich im Jahr 2023 mit 9.977 Auszubildenden. Besonders die Arbeitsbedingungen sind ausschlaggebend dafür, warum sich junge Menschen heutzutage gegen eine Ausbildung oder auch eine Beschäftigung in einer Bäckerei entscheiden. Der leichte Anstieg in 2024 lässt Bäckerbetriebe jedoch hoffen, dass das Backhandwerk in den nächsten Jahren wieder ein attraktiver Beruf werden könnte.

Einige Bio-Bäckereien haben sich daher intensiv Gedanken gemacht, wie sie ihr Personal gut halten und neues Personal gewinnen können. Oekolandbau.de hat nachgefragt, was sie anders machen und auf welche Erfahrungen sie mit ihren außergewöhnlichen Wegen blicken.

Integration als Schlüssel zur Zukunft

Björn Wiese, Geschäftsführer der Bio-Bäckerei Wiesein Eberswalde, arbeitet seit 2015 gezielt mit regionalen Integrationsinitiativen zusammen, um neue Fachkräfte für seinen Betrieb zu gewinnen. Den Anfang machte der Kontakt zur Initiative Willkommen in Eberswalde. Für ihn war klar: "Arbeit ist nach der Sprache der wichtigste Weg zur Integration.“ Damals wie heute sieht er auf beiden Seiten Chancen: Menschen mit Migrationsgeschichte bekommen Perspektiven, während sein Betrieb benötigte Mitarbeitende gewinnt.

Neben dem Teamzuwachs bleiben im Alltag allerdings stetige Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt: Bürokratische Hürden, Sprachbarrieren, die durch betriebliche Sprachkurse abgebaut werden und der zusätzliche Betreuungsaufwand durch Behörden, Wohnungssuche oder Alltagsorganisation. "Man muss über das normale Maß auch Hilfe leisten“, doch dann, erklärt Wiese, „ist auf der anderen Seite die Motivation und Loyalität meist besonders hoch – im besten Fall eine echte Win-Win-Situation.“

Auch intern stellt er sich der Aufgabe bewusst. Ihm ist wichtig, dass sich das Team gegenseitig unterstützt, vor allem wenn es im Kundenkontakt zu Verständnisproblemen aufgrund des Sprachniveaus kommt. Die sprachsicheren Mitarbeitenden werden dahingehend sensibilisiert zum Beispiel durch interkulturelle Schulungen. Daneben sorgen eine sensible Führungskultur mit regelmäßigen Gesprächen oder auch täglichen kurzen Feedbackrunden dafür, dass Probleme gar nicht erst groß werden.

Backhandwerk ohne Nachtarbeit: Ein Modell der Zukunft?

Marianne Quelle, Gründerin der Bio-Bäckerei Brotquelle Prien, verfolgt seit der Eröffnung im April 2024 mit ihrem Mann einen anderen Ansatz: keine Nachtarbeit. Statt um zwei oder drei Uhr beginnt die Arbeit frühestens um fünf Uhr und das auch nur an den stärksten Wochentagen. Den Rest der Woche backt das Team ab sechs Uhr, montags sogar erst ab sieben Uhr.

Möglich macht das ein durchdachtes Konzept, kombiniert mit moderner Ofentechnik:

  • Lange Teigführung: Die Bäckerei bereitet alle Teige mit Sauerteig bereits am Vortag vor. Nach einer Ruhephase von drei bis fünf Stunden bringen die Bäckerinnen und Bäcker die Teige in Form. Anschließend lagern sie die Teige über Nacht im Kühlhaus, wo sie weiterreifen. Durch diese lange Reifezeit entsteht ein intensiveres Aroma und eine bessere Bekömmlichkeit. Gleichzeitig ermöglicht sie es dem Team, den Backprozess flexibler zu steuern.

  • Etappenproduktion: Statt alle Teige auf einmal zu backen, verteilt die Bäckerei den Backvorgang bedarfsgerecht über den Tag.

"Nachtarbeit ist unattraktiv – besonders, wenn man keine Zuschläge zahlen kann oder will. Und sie ist auch gar nicht nötig, wenn man nur an einem Standort verkauft", erklärt sie. Ihr Anspruch: Handwerk auf höchstem Niveau, aber nicht auf Kosten der Mitarbeitenden. "Gute Arbeit braucht gute Bedingungen und dazu gehören für uns auch menschliche Arbeitszeiten, die mit einem gesunden Lebensrhythmus vereinbar sind. Salopp gesagt, sprechen wir von einer ,artgerechten Bäckerhaltung‘ mit Tageslicht und Bergblick."

Die Resonanz auf das Modell ist eindeutig. Seit der Eröffnung stieg die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von drei auf elf Angestellte. Ihre Zufriedenheit durch geregelte und planbare Arbeitszeiten, eine geringe Fluktuation und ein gutes Betriebsklima mit flachen Hierarchien sprechen für sich. Viele wechseln bewusst von konventionellen Nachtbäckereien zur Brotquelle oder bewerben sich um einen Ausbildungs- oder Praktikumsplatz. Marianne Quelle betont, dass es auffällig sei, dass Neugründungen nur noch als Tagesbäckereien funktionieren. Dies zeigt einen deutlichen Wandel im Handwerk.

Inklusion als festes Element

Meinhard Rediske, Geschäftsführer der Bio-Bäckerei Siebenkorn in Marburg, geht einen anderen Weg: Bereits seit 2002 betreibt er im Rahmen eines Inklusionsprojektes mit der "Siebenkorn gemeinnützige Integrationsgesellschaft mbH" ein Inklusionsunternehmen im ersten Arbeitsmarkt. Insgesamt 17 Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen hat er so geschaffen. Das funktioniert ganz ohne Anbindung an eine Werkstatt, sondern als Wirtschaftsunternehmen – ein Alleinstellungsmerkmal unter den Projekten.

"Die Backstube bietet einen außerordentlichen Schutzraum, weil wir in einem festen Team arbeiten“, erklärt er. Voraussetzung sei eine sorgfältige Auswahl der Mitarbeitenden, angepasste Arbeitsplätze und ständige Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Fertigkeiten der schwerbehinderten Menschen. Für das gesamte Team bedeute das mehr soziale Erlebnisse, aber auch mehr Anspruch und Verantwortung.

"Einfache Tätigkeiten sind der Startpunkt und brechen in unserer sich stets verdichtenden Welt immer weiter weg", so Rediske weiter. Er warnt eindringlich: "Wenn solche Einstiegsarbeitsplätze nicht erhalten bleiben und wertgeschätzt werden, wird es für schwerbehinderte Menschen immer schwieriger einen Platz zu finden." Deshalb möchte er zeigen, dass Inklusion nicht nur möglich ist, sondern notwendig – gerade im Handwerk.

Ausblick: Vielfalt braucht Struktur und Haltung

Ob Integration, Inklusion oder ausbalancierte Arbeitszeiten – die Beispiele zeigen: Soziale Nachhaltigkeit im Lebensmittelhandwerk ist kein Luxus, sondern ein realistischer Weg, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Vorausgesetzt, man denkt Arbeit neu mit Offenheit, Planung und Mut, wie die Wege der Bio-Bäckereien zeigen. Sie alle bieten menschliche Rahmenbedingungen, um neue Arbeitswelten zu gestalten.

Text: Melissa Buchholz, BLQ


Letzte Aktualisierung 21.07.2025

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