Wertschätzung der männlichen Küken: Wie die Geschäftsführerin und Leiterin der Ökologischen Tierzucht gGmbH (ÖTZ), Inga Günther, im Interview erklärt: "Kurz gesagt: Das Zweinutzungshuhn ist die einzige Möglichkeit, das Problem des Kükentötens systemisch zu lösen und nicht ein Symptom zu bekämpfen. Wenn man nur das Kükentötungsverbot betrachtet, ist für Landwirtinnen und Landwirte sicherlich die In-Ovo-Selektion die einfachste und kostengünstigste Lösung: Das Geschlecht der Embryos wird bereits im Ei bestimmt und die Eier der männlichen Embryos werden nicht ausgebrütet. Diese ‚industrielle‘ Lösung wird von einem überwiegenden Teil der Betriebe, auch von EU-Bio-Betrieben, so praktiziert. Die meisten deutschen Bio-Verbände haben sich allerdings gegen die In-Ovo-Selektion entschieden und ziehen die Bruderhähne auf."
Beim Konzept "Bruderhahn" wird das männliche Küken normaler Legerassen aufgezogen, obwohl es sich wirtschaftlich nicht lohnt und die Aufzucht über die Eier der Legehenne mitfinanziert werden muss. Das Problem der einseitigen Zucht auf Mastgewicht oder Legeleistung wird durch Bruderhähne allerdings nicht gelöst.
Beim Zweinutzungshuhn hingegen werden alle Küken ausgebrütet und aufgezogen. Unabhängig welches Geschlecht das Tier hat, gilt: Alle Tiere sind wertvoll. Die Hähne wachsen langsam und in Ruhe zu kräftigen Tieren heran und können zur Fleischproduktion verwendet werden. Die Hennen legen genug Eier, damit sich die Haltung der Tiere, bei fairen Preisen, für die Bäuerinnen und Bauern lohnt. Nach der Legezeit wird das Huhn geschlachtet und zum Suppenhuhn verarbeitet.
Tierwohl und Tiergesundheit: Wie Inga Günther deutlich macht, wird bei der ökologischen Zucht von Zweinutzungshühnern der natürliche genetische Konflikt zwischen hohem Ei-Ertrag und hoher Mastausbeute akzeptiert und bis in die Vermarktung hinein als Vorteil kommuniziert. Günthers Motto des Zweinutzungshuhn-Gedankens lautet: "Weniger ist mehr". Weniger einseitige Spezialisierung auf Ei und Fleisch bedeutet, dass die Tiere seltener Gefahr laufen, an hochleistungsbedingten Krankheiten zu leiden.
Tierwohl und natürliche Leistungsgrenzen werden von vornherein in der Zucht berücksichtigt. Zweinutzungshuhn-Rassen sind oft langlebiger und robuster als konventionelle Hühnerrassen. Sie können somit gut im Freiland gehalten werden. Die Freilandhaltung setzt die Tiere Wind, Wetter, Hitze und Feuchtigkeit aus. Zweinutzungshühner haben eine höhere Futteraufnahme-Kapazität und höhere Körpermasse. Sie sind folglich weniger empfindlich gegenüber schwankenden Umwelteinflüssen. Patrick Birkl vom K & P Hendlhof in der Steiermark beispielsweise hält seine jungen Bresse Gauloise-Hühner draußen, da sie selbst die kalte Jahreszeit gut verkraften. Die Freilandhaltung dient wiederum als Visitenkarten für die Vermarktung.
Zugute kommt ihnen dabei ihr Wesen. Sie zeigen sich deutlich unempfindlicher und stressresistenter gegenüber äußeren Einflüssen. Zweinutzungshennen wird zudem ein entspanntes sowie soziales Verhalten zugeschrieben und sie scheinen weniger Verhaltensstörungen an den Tag zu legen wie Hennen herkömmlicher Legerassen.
Haltung und Zucht auf kleinbäuerlichen Betrieben: Zweinutzung passt perfekt zu Bauernhöfen, die Kreislaufwirtschaft leben. Das bedeutet unter anderem, dass diese Höfe im Sinne der flächengebundenen Tierhaltung nur so viele Tiere halten, wie ihre Felder und Wiesen ernähren können und der Mist der Tiere den Boden fruchtbar hält. Im Ökolandbau ist dies durch die EU-Öko-Verordnung geregelt.
Nicht nur die Haltung, auch die Zucht von Zweinutzungshühnern wird in Deutschland auf kleinbäuerlichen Betrieben vorangetrieben. Dies wurde einerseits von der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ) initiiert, andererseits von den vom Bundesprogramm für Ökologischen Landbau (BÖL) geförderten Verbundsprojekten "RegioHuhn" und "ÖkoGen" weiterentwickelt.
Potenzial für Direktvermarktung: Es bietet sich die Möglichkeit, Eier und Fleisch auf dem eigenen Hof zu vermarkten und mit Storytelling eine emotionalere Bindung der Kundschaft zu erzielen – für mehr Transparenz und Authentizität.