Tierwohl

Tierwohl in der ökologischen Landwirtschaft: Herausforderungen und Lösungen

Mehr Platz, Auslauf und artgerechte Fütterung – Bio steht für mehr Tierwohl. Doch reicht das? Studien zeigen: Trotz besserer Haltungsbedingungen gibt es auch im Ökolandbau noch Schwachstellen, etwa bei der Tiergesundheit. Neue Konzepte sollen helfen, das Wohl der Tiere weiter zu verbessern.

Die intensive Nutztierhaltung steht seit Jahren schon im Fokus kritischer Diskussionen – sowohl von Seiten der Tierschutzverbände als auch von Seiten der Wissenschaft. Bereits 2015 veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein Gutachten, das die Haltungsbedingungen vieler Nutztiere als "nicht mehr zukunftsfähig" einstufte. Seitdem wird intensiv darüber debattiert, welche Maßnahmen erforderlich sind, um das Tierwohl zu verbessern.

Was genau versteht man unter Tierwohl?

Die Wissenschaft beschreibt "Tierwohl" als den Zustand eines Tieres in Bezug auf seine Gesundheit und sein Wohlbefinden. Dieses Wohlbefinden hängt davon ab, ob ein Tier seine natürlichen Bedürfnisse ausleben und dabei positive Empfindungen haben kann. Tierwohl kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein – von einem niedrigen Niveau, bei dem das Tier leidet oder krank ist, bis hin zu einem hohen Niveau, bei dem es nicht nur gesund, sondern auch in einem positiven emotionalen Zustand ist.

Warum wir bislang so wenig über das Tierwohl wissen

Ein zentrales Problem im Bereich Tierwohl besteht darin, dass es bislang keine einheitliche Bewertung darüber gibt, wie es unseren Nutztieren tatsächlich geht – weder in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch innerhalb der Wissenschaft. Ob sich das Tierwohl im Vergleich zu früher verbessert oder verschlechtert hat, wird unterschiedlich eingeschätzt.

Was derzeit fehlt, ist also eine objektive Berichterstattung zum Stand und zur Entwicklung des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Zwar existieren bereits Daten zu einzelnen Aspekten, jedoch ergibt sich daraus kein umfassendes Gesamtbild. Entweder werden nur bestimmte Tierarten und Produktionsformen berücksichtigt oder es erfolgt keine spezifische Auswertung im Hinblick auf das Tierwohl.

Es gibt Möglichkeiten, wie man Tierwohl messbar machen kann

Im Rahmen des Projekts NaTiMon wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren Methoden entwickelt, mit denen das Tierwohl flächendeckend erfasst, bewertet und auf nationaler Ebene anschaulich dargestellt werden kann. Ziel war es, eine objektive Einschätzung der Tierwohlsituation zu ermöglichen und Veränderungen im Zeitverlauf sichtbar zu machen.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat entschieden, den Ansatz eines Nationalen Tierwohl-Monitorings vorerst nicht weiterzuverfolgen. Auf europäischer Ebene gibt es jedoch seit Ende 2023 neue Entwicklungen: Die EU-Kommission hat die "Working Group on Animal Welfare Policy Indicators" eingesetzt. Diese Arbeitsgruppe hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Auswahl von gut messbaren Tierwohlindikatoren für die wichtigsten Nutztierarten zu erarbeiten. Diese Indikatoren sollen künftig regelmäßig europaweit statistisch erfasst werden.

Wie steht es um das Tierwohl im Ökolandbau?

Hohe Tierwohlstandards sind ein zentrales Thema für den Ökolandbau und für zahlreiche Konsumentinnen und Konsumenten ein wichtiges Kaufargument für Bio-Lebensmittel. Wie eine Studie des Thünen-Instituts belegen konnte, zeigen Öko-Tiere im Durchschnitt ein besseres emotionales Wohlbefinden und Tierverhalten als konventionelle Tiere. Das liegt in erster Linie daran, dass die Tiere auf ökologisch wirtschaftenden Betrieben anders gehalten werden.

Ökologische Tierhaltungsbetriebe müssen ihre Tiere mindestens nach den Vorgaben der EU-Öko-Verordnung halten. Diese schreibt vor, dass Nutztiere ihre natürlichen Verhaltensweisen ausleben können. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie mehr Platz im Stall haben und ins Freie können: Kühen muss Weidegang ermöglicht werden und Schweinen ein Auslauf, in dem sie mit frischer Luft und Tageslicht in Kontakt kommen.

Bei der Haltungsform-Kennzeichnung des Handels haben Bio-Fleischwaren und -Milchprodukte eine eigene Stufe.

Öko-Tiere werden darüber hinaus mit Futter versorgt, das ihren natürlichen Anforderungen entspricht: So müssen Rinder zum Beispiel mindestens 60 Prozent faserreiche Futtermittel wie Heu, Silage oder Grünfutter in der Ration haben. Schmerzhafte routinemäßige Eingriffe am Tier wie beispielsweise das Kupieren der Schwänze bei Schweinen oder das Stutzen der Schnäbel bei Puten sind in der ökologische Tierhaltung verboten.

Die Haltungsbedingungen der Öko-Verbände gehen oft noch über die der EU-Öko-Verordnung hinaus. Die meisten ökologischen Anbauverbände führen außerdem einmal jährlich eine Tierwohlkontrolle auf den Betrieben durch.

Viele freiwillige Tierwohl-Initiativen entstammen dem Biolandbau

Über die gesetzlichen und verbandsrechtlichen Vorgaben hinaus, werden auf zahlreichen Bio-Betrieben häufig auch freiwillige Initiativen für mehr Tierwohl durchgeführt. Dazu zählen zum Beispiel die mutter- und kuhgebundene Kälberaufzucht, die Aufzucht von Bruderkälbern, sowie die stressfreie Schlachtung auf dem Herkunftsbetrieb.

Herausforderungen im Ökolandbau bezüglich des Tierwohls

Verschiedene Studien der vergangenen 20 Jahren zeigen jedoch, dass die Bio-Landwirtschaft ihre hohen Tierwohlziele trotz deutlich besserer Haltungsbedingungen noch nicht flächendeckend und nicht für alle Tierwohlbereiche erreichen konnte. Insbesondere im Bereich Tiergesundheit bestehen – abgesehen von der Klauen- und Gliedmaßengesundheit – noch ähnliche Probleme wie in der konventionellen Tierhaltung.

Die tiergerechten Haltungsbedingungen in der ökologischen Landwirtschaft bieten zwar gute Voraussetzungen, sind aber noch kein Garant für mehr Tierwohl. Entscheidend ist auch, wie der einzelne Tierhaltungsbetrieb mit den Tieren umgeht und sie betreut.

Tierbezogene Indikatoren als Schlüssel zur Verbesserung des Tierwohls

Studien zeigen, dass es sehr wichtig ist, tierbezogene Indikatoren in die Kontrolle und die rechtlichen Produktionsbestimmungen einzubeziehen. Mit diesen Indikatoren wird gemessen, wie es dem Tier tatsächlich geht.

Tierbezogene Indikatoren kommen im Ökolandbau aber bislang nur bei Verbands-Betrieben zur Anwendung, die der AG Tierwohl angehören. Dazu zählen Bioland, Biokreis, Naturland, Gäa und Ecoland. Auf diesen Betrieben wird einmal jährlich zusätzlich zur offiziellen Bio- und Verbandskontrolle eine Tierwohlkontrolle durchgeführt. Bei Demeter findet eine ähnliche Tierwohlkontrolle stichprobenartig statt.

Bei der Tierwohlkontrolle der AG Tierwohl werden die Bereiche Ernährungszustand, Pflegezustand, Tiergesundheit und Freiheit von Verletzungen und Technopathien (haltungsbedingte Schäden durch mangelhafte oder nicht passende Stalleinrichtung), Zustand von Haltungsumwelt und Fütterung, Tierverluste und Schlachtbefunde überprüft.

Für jeden dieser Bereiche sind spezielle Prüfkriterien definiert, die im "Leitfaden zur Tierwohl-Kontrolle 2025" genauer beschrieben werden. Für jedes Kriterium gibt es Grenzwerte für geringe, deutliche und schwerwiegende Überschreitungen. Zudem wird bei der Auswertung unterschieden, ob Verstöße wiederholt auftreten oder mehrere Bereiche betreffen.

Sind auf einzelnen Betrieben Verbesserungen nötig, gibt es dafür Handlungsempfehlungen wie Beratung, Maßnahmenpläne und Nachkontrollen. Kommt es auf Dauer nicht zu den notwendigen Verbesserungen, sind Sanktionen – bis hin zur Kündigung des Betriebs – die Folge.

Wie arbeitet der Ökolandbau daran, das Tierwohl weiter zu verbessern?

Im vom Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL) geförderten Verbundprojekt "ÖkoTier" arbeitet man daran, die Tierwohlkontrolle mit tierbezogenen Prüfkriterien in absehbarer Zeit auf allen ökologischen Tierhaltungsbetrieben zu etablieren. Dafür wird ein praxisnahes Prüfkonzept entwickelt, das auf den Arbeiten der AG Tierwohl aufbaut.

Dabei soll der Aufwand für die Betriebe sowohl zeitlich als auch finanziell vertretbar bleiben. Neben der Abstimmung der Indikatoren und der Entwicklung eines praxistauglichen Bewertungssystems liegt ein weiterer Fokus auf Schulungs- und Qualifizierungskonzepten für Kontrolleurinnen und Kontrolleure.

Perspektivisch soll das Prüfkonzept erst für alle Bio-Verbandsbetriebe und anschließend für alle tierhaltende EU-Bio-Betriebe in Deutschland verpflichtend werden. Nach Ansicht der Projektbeteiligten wäre es zudem sinnvoll, wenn die EU-Kommission ein solches Konzept in die EU-Öko-Verordnung aufnimmt, um die Tierwohlziele europaweit voranzutreiben.

Text: Jörg Planer


Letzte Aktualisierung 30.04.2025

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